Außer Atem: Das Berlinale Blog

Feier des Schmerzes: Sally Potters "The Roads not Taken" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
26.02.2020.


Die Vorspänne der Filme werden immer länger. Bis die Geldgeber aus aller Welt genannt sind, vergeht in Sally Potters Film eine beträchtliche Zeit, in der das Telefon so unablässig klingelt wie die Türklingel. Doch während die Zuschauer schon Nerven zeigen, liegt Leo wie gelähmt in seinem Bett, in einer schäbigen Wohnung in Brooklyn direkt an der Hochbahn, und starrt an die Decke. Javier Bardem spielt diesen Leo, der in seiner Welt versunken ist, dement und depressiv. Erinnerungen blitzen auf, an die geliebte Dolores (Selma Hayek). Auf Spanisch sagt er zu ihr, dass er nicht mitkomme, zu dieser Feier des Schmerzes, zu diesem Zirkus, reiner Aberglauben sei das.

Dann steht seine Tochter Molly vor ihm. Elle Fanning ist ganz blonder Engel, sie liest ihm jeden Wunsch von den Lippen ab. Das muss sie auch, denn er brabbelt nur Unverständliches vor sich her, auf das sie sich keinen Reim machen kann: Er will zu Dolores, er will nach Hause, wo ist Nestor. Schweres ist ihm widerfahren, seine Tochter kennt die Vergangenheit ihres Vaters nicht. Aber sie steht zu ihm. Sie bringt ihm zum Arzt, wechselt seine Hosen, wenn er sich eingenässt hat, bringt ihn ins Krankenhaus, wenn er aus dem Taxi stürzt.

Leos Flashbacks wechseln zwischen den aufgewühlten Zeiten mit Dolores und Bildern aus Griechenland. TABERNA steht zumindest in Filmgriechisch auf dem Lokal. Hierhin hat er sich geflüchtet, um in Ruhe schreiben zu können. Hat er seine Familie für ein Buch im Stich gelassen? Seine Tochter, die sich jetzt so aufopferungsvoll um ihn kümmert? In einem Moment wahrer Schmonzettenhaftigkeit haucht die junge blonde Touristin, die an seine Tochter erinnert: Das ist das Traurigste, was ich je gehört habe.

Zögerlich nur rückt der Film mit Informationen heraus, alles bleibt angedeutet und vage. Bilder von der geliebten Dolores in Gold und Rot, Bilder von der griechischen Insel in Blau, dazwischen Molly und die zweite Frau, Rita, im kalten Licht der Wirklichkeit und die Straßen New Yorks in buntem Neonlicht. Alles in Großaufnahme. Diese Bilder füllen nicht einmal den kleinen Bildschirm, geschweige denn eine große Kinoleinwand.

So verschachtelt Sally Potter die Geschichte auch anlegt, so wenig kann sie darüber hinwegtäuschen, wie dünn die Angelegenheit ist. Der einer Gedichtzeile von Robert Frosts berühmten Gedicht entnommene Titel gerinnt zu reiner Sentimentalität. Nicht mal Bardem ist eine Freude. Während er den senilen Endfünfziger gibt, belässt es Fanning beim immergleichen mitfühlenden "It's okay, Dad". Selbst wenn sie am Telefon ihren Auftrag verliert, weil sie sich um ihren Vater gekümmert hat, statt zum superwichtigen Meeting zu kommen, bleibt sie nett und freundlich. Erst nach dem Auflegen schreit sie das obligatorische "Fuck". Das ist auf geradezu peinliche Art konventionell und konformistisch, ebenso wie die Lacher, auf die der Film mit einer irritierenden Gehässigkeit zielt. Etwa wenn die Exfrau ihren Mann hänselt, er habe sie verlassen, als sie die erfolgreichere Schriftstellerin wurde. Grauenvoll. Was ist nur aus der Regisseurin von "Orlando" geworden?

The Roads Not Taken. Regie: Sally Potter. Mit Javier Bardem, Elle Fanning, Salma Hayek und Laura Linney, Britannien 2020, 85 Minuten (Alle Vorführtermine)