Außer Atem: Das Berlinale Blog

Durchschaut die Finanzmatrix: Carmen Losmanns "Oeconomia" (Forum)

Von Thekla Dannenberg
27.02.2020.


Carmen Losmanns
Dokumentation "Oeconomia" stürzt sich in die Welt der Finanzwirtschaft, was filmisch immer eine recht undankbare Aufgabe ist, aber natürlich ein lobenswertes Unterfangen. Der Film wird bereits heiß diskutiert, denn Losmann versucht den Zusammenhang zu belegen zwischen Wirtschaftswachstum, Vermögensbildung und Verschuldung. Harter Stoff. Sie trifft sich dafür mit dem kritischen Arbeitskreis Wirtschaft in Frankfurt und befragt Chefvolkswirte, Finanzvorstände und Investmentberater. Da viele nicht mit ihr reden wollte, baut sie auch die Absagen und Ablehnungen mit ein.

Mit Grafiken und einem vereinfachten Monopoly erklärt Losmann erst einmal, dass nicht nur die Zentralbanken Geld schaffen und damit über die berühmte Geldmenge entscheiden, wie das gemeinhin gelehrt wird, sondern auch die Geschäftsbanken. Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, wird der aus dem Nichts in die Bilanz verbucht. Das Geld ist nicht schon vorher da. Solches Buchgeld macht 90 Prozent der gesamten Geldmenge aus, das Bargeld nur zehn Prozent. Wichtige Klarstellung, die auch Peter Praet, einer der EZB-Direktoren, bestätigt, mit dem Losmann sprechen durfte im imposanten Hochhaus der Europäischen Zentralbank.

Doch Losmann will noch auf etwas anderes hinaus. Wenn die Wirtschaft wächst, werden Kredite vergeben, laute eine Regel, die auch umgekehrt gelte: Wenn Kredite vergeben werden, wachse die Wirtschaft. Also werden Kredite vergeben, damit die Wirtschaft wächst! Und noch konsequenter: Es werden Kredite vergeben, damit andere Gewinne machen können. Die Gewinne der einen, sind die Schulden der anderen. Die Gewinne von heute, sind die Schulden von morgen. Und die Staatsverschuldung sei die größte Profitquelle: "Der zentrale Akteur im Kapitalismus ist der Schuldner", leuchtet als Erkenntnis auf Losmanns filmischen Laptop.

Man bemüht sich ihrer Beweisführung zu folgen, aber natürlich ist die Materie viel zu kompliziert, um in 90 Minuten entlarvt zu werden. Bei bestimmten Mechanismen, die Losmann anspricht, horcht man auf: Erst sollen sich die Staaten verschulden, öffentliche Investitionen sind ja gut, dann werden sie von den Kapitalmärkten bestraft, wegen ihrer schlechten Bonität. Erst werden sie benutzt, dann verramscht. Und klar: Gewinne werden von den oberen zehn Prozent abgeschöpft, die anderen bleiben auf den Kosten sitzen.



Aber vielleicht wäre es auch alles eine Nummer kleiner gegangen. Vielleicht ist ja auch nicht das Problem, dass es Schulden gibt, sondern dass manche Menschen überhaupt nicht die Chance bekommen, einen Kredit aufzunehmen. Ist das nicht viel ungerechter?

Schwer zu sagen, wie schlagkräftig Losmanns Beweisführung ökonomisch wirklich ist. Das müssen Leute beurteilen, die in der Materie drin stecken. Als Zuschauerin verliert man allerdings bald das Vertrauen in sie. Die Schaubilder, Zirkelschlüsse und Erkenntnissätze erinnern an die Wahnsysteme, mit denen jemand erklärt, er habe die Matrix durchschaut. Und entweder bestätigen die Interviewpartner Losmann dies oder sie werden von ihr vorgeführt. All die Herren in ihren feinen Anzüge, wie machen die sich lächerlich, wenn sie nicht verstehen, wovon Losmann spricht. So hinterlässt man verbrannte Erde. Der Rest ist Echokammer: Ganz genau. So ist es. "Wissenschaft dient der Verschleierung von Macht." Der Glaubwürdigkeit des Films hätte es gut getan, wenn er auch Menschen gelten ließe, die das anders sehen.

Oeconomia. Regie: Carmen Losmann. Dokumentarische Form. Deutschland 2020, 90 Minuten (Alle Vorführtermine)