Efeu - Die Kulturrundschau

Jede seiner Figuren schweigt anders

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07.10.2023. Die SZ begeistert sich für Wes Andersons unsagbar kluge Verfilmung von Roald-Dahl-Geschichten. In der FAZ trauert die Schriftstellerin Iris Hanika um die Musen, die derzeit Zwangsarbeit in Russland verrichten. Die FAS fragt entsetzt, warum amerikanische, deutsche, italienische und französische Verlage so gar kein Problem mit dem Antisemitismus von Bernardo Zannonis Tierfabel "I miei stupidi intenti" haben. Die Welt geht mit der britischen Künstlerin Sarah Lucas Spaghetti Bolognese frühstücken. Und: Die Theaterregisseure Thomas Ostermeier, Marius von Mayenburg und Falk Richter erinnern sich an ihre erste Begegnung mit Literaturnobelpreisträger Jon Fosse.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.10.2023 finden Sie hier

Film

Kapitalismuskritik mit Benedict Cumberbatch: Wes Anderson Dahl-Hommage für Netflix

Hin und weg ist SZ-Kritikerin Susan Vahabzadeh von den vier Kurzfilmen nach Geschichten von Roald Dahl, die Wes Anderson - vor kurzem noch mit "Asteroid City" (unsere Resümees) im Kino - für Netflix gedreht hat. "Die Filme spielen in einer merkwürdigen Vergangenheit, in einer stilisierten Nachkriegszeit, Ralph Fiennes ist in allen zu sehen, als Roald Dahl und manchmal auch in anderen Rollen. Die Kulissen werden vor unseren Augen verschoben, als seien die Filme in Puppenhäusern gedreht, und die Schauspieler erzählen eigentlich mehr, als sie spielen; die Folter in 'Der Schwan' sieht man nur als stilisierte Gesten." Und aus "Ich sehe was, was du nicht siehst" mit Benedict Cumberbatch wird "bei Wes Anderson nachgerade ein Stückchen moderne Kapitalismuskritik, spielerisch und betrachtet wie aus der Perspektive eines Kindes, das zwar unsagbar klug ist, vom Leben aber noch nicht darüber belehrt wurde, dass es meistens anders läuft, als man denkt. Vielleicht war die Vergangenheit nie so, wie sie bei Wes Anderson aussieht - aber genau so hätte sie sein sollen."

Was besseres als den deutschen Humor findest Du überall: "Last Exit Schinkenstraße" von und mit Heinz Strunk (li.)

Bei Amazon ist "Last Exit Schinkenstraße" zu sehen, die neue (in der FAZ besprochene) Serie von und mit Heinz Strunk, der hier auf dem Ballermann in Mallorca einen Unterhaltungskünstler spielt, dem Fortuna kaum je einmal zuzwinkert. Das Schicksal glückloser Menschen liege ihm einfach, sagt Strunk im Gespräch mit der Welt - zugleich versteht er seine Comedy-Serie auch als Generalansage an den deutschen Humor: "Ich finde Comedy in Deutschland gerade richtig schlimm scheiße. Aber als älterer weißer Mann immer nur zu meckern, dass das nichts taugt, bringt es ja auch nicht. Besser ist zu beweisen, dass es was Gutes gibt. ... Deutsche Comedy ist für mich der ganz jährlich verlängerte Arm des rheinländischen Karnevals. Wenn ich durchs Fernsehen zappe, bin ich bestürzt über das deutsche Comedyprogramm." Aber "das Komischste ist immer das unfreiwillig Komische. Der auf Pointe konstruierte Witz ist für mich nicht so doll. Man soll dem Volk aufs Maul schauen."

Weitere Artikel: In der NZZ resümiert Andreas Scheiner das Zurich Film Festival. Besprochen werden Jialing Zhangs Dokumentarfilm "Total Trust" über die Überwachungsindustrie in China (Tsp) und die zweite Staffel der Amazon-Serie "Loki" (Zeit).
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Design

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Anders als bei den vergangenen Ausstellungen über Alexander McQueen und Christian Dior setzt das Victoria & Albert Museum bei seiner aktuellen Coco-Chanel-Ausstellung (mehr dazu bereits hier) die Exponate in Kontexte statt sie nur zu präsentieren, freut sich Eva Ladipo in der FAZ: "Die Chanel-Mode dient als Medium, die bewegte Geschichte ihrer Urheberin zu erzählen, und dabei offenbart sich im Umkehrschluss die erstaunliche Erkenntnis, dass die Diva nichts verborgen hat. Sie hat die Tragik ihres Lebens, die Widersprüche, den Liebeskummer, die Scham und ihre Arbeitswut nicht versteckt. Sie hat die Welt vielmehr offen daran teilhaben lassen. ...  Ihre Mode ist wie ein Tagebuch, in dem sich ihre Verletzungen, ihre Wünsche, Träume und ihr unbedingter Willen nachlesen lassen. ... Es gibt Bilder aus ihrer Zeit als Gefährtin reicher Männer, auf denen sie deren Klamotten trägt: Hosen, Hemden, Jacken. Dazu die kurzen Haare. Sie wollte nicht aussehen wie die aufgedonnerten anderen Nebenfrauen, sondern eher wie deren Herren. Das Androgyne hat sich in ihren Kollektionen immer erhalten. Ein weiteres Erbe aus dieser Zeit ist Cocos Anglophilie und ihr lebenslanger Gebrauch von britischem Tweed."
Archiv: Design
Stichwörter: Mode, Chanel, Coco, Dior

Literatur

In einem wütenden, sehr langen und mäandernden Essay für "Bilder und Zeiten" der FAZ legt die Schriftstellerin Iris Hanika dar, warum ihr seit Russlands Angriff auf die Ukraine keine schöne Literatur mehr aus der Feder kommt: "Die Musen wurden nach Russland verschleppt und leisten dort Zwangsarbeit. Kein Stück ist zu bizarr, keine Phantasie zu outriert, man kann alles sagen, man ist an keine Wirklichkeit gebunden, auch an keine physikalischen Realien. Man kann sagen, dass Raketen kurz vor dem Ziel die Richtung wechseln und dann von der anderen Seite her einschlagen als von der, aus der sie gekommen sind; man kann vorschlagen, eine Atombombe auf London zu werfen, damit die da endlich mal die Klappe halten; man kann, um das Ukrainertum auszurotten, überlegen, ukrainische Kinder zu ertränken, wenn die partout nicht einsehen wollen, dass es die Ukraine gar nicht gibt, solche Sachen. Alles Gewaltphantasien, die ich weder ausbreiten will noch kann, denn ich versuche stets, sie sofort zu vergessen, sobald ich sie gehört habe, weil ich nicht aushalte, wie brutal das alles ist."

In Italien etablierte sich Bernardo Zannonis mit der Tierfabel "I miei stupidi intenti" 2021 als neues Wunderkind der italienischen Literatur. Dass die Tiergeschichte durchsetzt ist mit antisemitischen Stereotypen, Motiven und Anspielungen, kümmerte die Rezensenten nicht, wie Karen Krüger in der FAS entsetzt berichtet. Die Empörung der kleinen jüdischen Gemeinde Italiens nahm man nicht zur Kenntnis, der Autor redete sich raus. In Amerika und Frankreich hatten Verlage und Kritiker überhaupt kein Problem mit dem Buch. In Deutschland ist es vor kurzem unter dem Titel "Mein erstaunlicher Hang zu Fehltritten" bei Rowohlt erschienen, und der Verlag wusste offensichtlich, was für eine heiße Kartoffel er da in Händen hielt. Der im Original "Solomon" genannte Fuchs, der als "Wucherer" tätig ist, heißt nun anders und ist "Pflandleiher". Ferner "wurden auch Stellen verändert, die eindeutig eine Verbindung zum Judentum ziehen oder es negativ porträtieren. Im italienischen Original fragt Solomon seinen Schüler Archy, ob er wisse, welches Ende der Mann genommen habe, der 'am Sabbat Holz' sammelte. Damit verweist er auf eine Geschichte der Thora im Buch Numeri, das vom Volk Israel in der Wüste handelt: Der Mann, der am Sabbat Holz sammelte, wurde zur Strafe gesteinigt. In der deutschen Übersetzung von Zannonis Roman ist 'Sabbat' mit 'samstags' übersetzt. Noch deutlicher ist der Eingriff an der oben schon zitierten Stelle, an der Archy es nicht wagt, offen zu zweifeln: 'Solomon hätte es nicht verstanden, er hätte mich geschlagen, wie die Juden die Ungläubigen'. In der deutschen Ausgabe ...ließ man den zweiten Teil des Satzes einfach weg."
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Daniel Kehlmanns neuer, in der FAZ besprochener Roman "Lichtspiel" erzählt vom Filmemacher Georg Wilhelm Pabst, der neben Fritz Lang und F.W. Murnau zu den großen Regisseuren des deutschen Stummfilms zählte, dann in die USA migrierte, nur um am Ende doch wieder nach Deutschland zurückzukehren, um für Goebbels' gleichgeschaltete Filmindustrie zu arbeiten. Für die SZ hat Felix Stephan mit dem Schriftsteller gesprochen, der ihm durchaus zustimmt, dass dies sein moralischster Roman sei. "Ich finde es falsch, was Pabst gemacht hat. Aber als Erzähler ist es wichtig, dass man auch das Verhalten, das man falsch findet, so nachvollziehbar wie möglich macht." Doch "erzählerisch ist noch nichts geleistet, wenn man sagt: Das ist falsch. Beim Erzählen geht es darum, eine Welt entstehen zu lassen, und da kommt dann auch eine gewisse Lust ins Spiel. So schlimm ich diese Welt finde, so sehr macht es mir Spaß, von ihr zu erzählen. Diesen moralischen Kompromiss geht man wiederum als Erzähler ein." Die historische Phase, in der Film als Kunst entdeckt wurde, habe ihn schon immer fasziniert, erzählt Kehlmann im WamS- Gespräch Mara Delius. Von der insbesondere im großen Serien-Hype Anfang des Jahrhunderts oft laut gewordenen These, dass Film und Serie die Literatur in Sachen Gegenwartsdiagnose überholt habe, hält er jedoch nichts: "Literatur kann immer noch etwas, was Film gar nicht kann und nie können wird: denken. Film bleibt immer eine Außenperspektive, kann aber natürlich eine Unmittelbarkeit in der Emotion herstellen, wie Literatur das nicht kann. Der Film kann sehen und hören. Aber Literatur kann denken; als Leser denkt man mit dem Kopf eines Anderen." Zahlreiche Filmwissenschaftler und Filmtheoretiker werden dies sicher wutentbrannt anders sehen.

Weitere Artikel: "Wenn schon Kulturreligion, dann so", kommentiert taz-Redakteur Dirk Knipphals den Literaturnobelpreis für Jon Fosse (unser Resümee), dessen schwermütige Literatur schon sehr "für die Leonard-Cohen-Momente des Lebens" gedacht ist. Der Schriftsteller Jan Brandt staunt in "Bilder und Zeiten" der FAZ über Joseph Roths ersten Roman "Das Spinnennetz", der vor 100 Jahren als Feuilletonroman erschien, aber unvollendet abgebrochen wurde: Mit seiner Darstellung rechtsextremer und antisemitischer Netzwerke entpuppte sich der Text im Nachhinein als geradezu prophetisch. Für "Bilder und Zeiten" der FAZ schaut sich Andreas Platthaus nochmal in Ruhe die Quoten der Wettbüros für die üblichen Literaturnobelpreis-Verdächtigen an. Die FAZ dokumentiert im "Literarischen Leben" die Dankesrede des Schriftstellers Arno Geiger zur Auszeichnung mit dem Rheingau-Literaturpreis.

Besprochen werden unter anderem Terézia Moras "Muna oder Die Hälfte des Lebens" (taz), Sylvie Schenks "Maman" (FR) und Tim Parks' "Hotel Milano" (Tsp).
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Musik

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In der Rue de Verneuil im Pariser Viertel Saint-Germain-des-Prés wurde das Wohnhaus von Serge Gainsbourg der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und wer dort durch die Flure und Räume spaziert, rechnet jeden Moment damit, dass ihm der Sänger von hinten auf die Schulter tippt, schreibt Sinziana Ravini in der SZ: "Durch dieses labyrinthische, dunkle Haus zu schlendern, dessen Wände mit schwarzem Samt bespannt sind, fühlt sich an, als spaziere man durch einen Traum. Oder ein Bordell. Oder eine Freimaurerloge, ein Antiquitätengeschäft, den Tempel einer verstorbenen Gottheit, die gerade durch ihre Abwesenheit noch präsenter ist. ... Auf einem Glastisch stehen Aschenbecher und Trockenblumen. Auf einer kleinen Bartheke liegen ein paar Zigaretten, Whiskeyflaschen, ein gebrauchtes Métro-Ticket. Es wirkt, als hätte Serge Gainsbourg gerade schnell das Zimmer verlassen, um Eiswürfel oder Zitronen für neue Drinks zu holen."

Weiteres: Die FR erinnert - online ohne Autorenzeile - an den Siegeszug von Autotune, den Cher vor 25 Jahren losgetreten hat. Besprochen werden das Konzert von The National in Berlin (taz), ein Konzert von Magdalena Kožená und Mitsuko Uchida in Berlin (Tsp) und Loraine James' neues Album "Gentle Confrontation" (taz).
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Bühne

In der FAZ erinnert sich der Dramatiker Marius von Mayenburg, wie er zum ersten Mal Stücke des neuen norwegischen Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse las. Das war um 2000, das "Blut-und-Sperma-Theater" erreichte seinen Höhepunkt auf deutschen Bühnen. Doch bei Fosse passierte fast nichts, es gab nur Menschen, die versuchten zu kommunizieren: "Wie Ibsen wurde auch Fosse oft imitiert. Wirklich geglückt ist das selten. Zu eigen, zu wenig erlernbar ist Fosses grimmiger Humor, seine jeden überflüssigen Laut schluckende Traurigkeit, die Musikalität seiner Sprache. Viel zu sagen, ohne viele Worte zu machen, das Große im Kleinen sichtbar werden zu lassen - bei Fosse ist das keine stilistische Prätention, sondern psychologisch exakte Figurensprache. Jede seiner Figuren schweigt anders."

An dieses Schweigen erinnert sich in der SZ auch sehr gut der Regisseur Falk Richter: "Als Regisseur dirigiert man also vor allem dieses Schweigen. Man findet fünfzig verschiedene Abstufungen von Angsttönen, unzählige Varianten davon, wie Menschen kurz vorm Handeln doch noch davor zurückschrecken und in sich versinken." Bei Thomas Ostermeier war es vor allem die Musikalität der Stücke, die ihn beeindruckte, erzählt er im Interview mit der Zeit: "Er hat einfach ganz anders geschrieben als die damals sehr gehypten angelsächsischen Dramatikerinnen und Dramatiker. Da trat auf einmal eine Stimme auf, die sich an musikalischen Kriterien orientierte, an kompositorischen Prinzipien, wo die Figuren eher aus dem Nichtsagen oder dem Nichtgesagten bestehen statt aus dem, was sie in den Dialogen sagen. Und das, was da entsteht, ist ein eigentümlicher Flow aus Wiederholungen und Andeutungen und vielen abgebrochenen Sätzen. Dieser Flow führt dazu, dass man, wie bei guter Musik, fortgetragen wird. Jon sagt immer, er sei ursprünglich und erst mal Gitarrist, also Musiker. Und dass etwa Bachs Fugen auch eine Grundlage für sein Schreiben darstellen würden."

In der FAZ kann Wiebke Hüster nicht verstehen, dass das Bayerische Staatsballett, das Semperoperballett und das Hessische Staatsballett immer noch Arbeiten des israelischen Choreografen Ohad Naharin aufführen, obwohl der trotz des Krieges noch mit dem Moskauer Stanislawski-Theater kooperiert. Naharin begründet das damit, dass er ja auch in Israel aufgeführt werde, erklärt Hüster und zitiert den Choreografen: "'Die gegenwärtige israelische Regierung ist für den regelmäßigen Missbrauch der Menschenrechte gegen die eigenen Bürger verantwortlich und begeht in den besetzten Gebieten täglich Kriegsverbrechen gegen das palästinische Volk. Das sind Fakten. Und da ich es gestatte, dass meine Stücke in Israel von einer israelischen Company getanzt werden, sollte ich erlauben, dass meine Werke unter jedem anderen Regime, das vergleichbare Abscheulichkeiten begeht, zur Aufführung kommen.' Naharin hat seine Position deutlich gemacht. Dass aber ein deutsches Staatsballett diese Haltung unterstützt, indem es Werke dieses Choreographen einkauft und aufführt, während sich Russlands Theater mit Naharins Namen schmücken und ihn unausgesprochen, aber für alle Welt erkennbar als Russlands Unterstützer reklamieren können, bleibt unverständlich."

Besprochen werden  Theresa Thomasberger Inszenierung von Svenja Viola Bungartens "Die Zukünftigen" am Staatstheater Mannheim (bisschen gleichförmig, findet der mäßig angeregte nachtkritiker Steffen Becker), Julia Hölschers Adaption von Martin Kordićs Roman "Jahre mit Martha" fürs Staatstheater Nürnberg ("Ihr Abend ist so kurz wie leicht, und voller feiner Nuancen", applaudiert Egbert Tholl in der SZ), Jessica Weisskirchens Inszenierung von Ewald Palmetshofers "Edward II. Die Liebe bin ich" als Sadomaso-Trip am Deutschen Theater Berlin ("Bei all dem Gegiere und Gefummel fragt man sich bald, was die eigentlich wollen. Wirklich Macht? Sex? Oder nur spielen?", seufzt nachtkritiker Georg Kasch), Tatjana Gürbacas Inszenierung von Puccinis "Il trittico" an der Wiener Staatsoper (FAZ-Kritiker Reinhard Kager fand "die Buhs für die Regiemannschaft vollkommen ungerecht").
Archiv: Bühne

Kunst

Sarah Lucas, Honey Pie, 2020. Collection Frank Gallipoli © Sarah Lucas. Courtesy Sadie Coles HQ. Foto: Robert Glowacki


Boris Pofalla trifft für die Welt die britische Künstlerin Sarah Lucas kurz vor der Eröffnung ihrer Ausstellung in der Tate Britain zum Frühstück mit Spaghetti Bolognese und Spiegeleier auf Schinken mit Fritten. "Sarah Lucas' Ansatz ist ein britisch-trockener Arbeiterklassenfeminismus, der nicht nach Hörsaal, sondern nach Bier und Zigaretten riecht und zu lässig ist, um seine Referenzen auszustellen - die es allerdings sehr wohl gibt. Andrea Dworkins Bücher, erzählt sie, haben die Kunststudentin politisiert. Die amerikanische radikale Feministin schrieb gegen Pornografie im Besonderen und Männer im Allgemeinen an. Ihr Furor geht Lucas ab, ihre Kunst ist ambivalenter und definiert Sexualität nicht als per se negativ. ... In der Tate hat Lucas Dutzende sogenannte Bunnies versammelt, langbeinige Wesen mit spinderdürren Beinen und schlaffen Brüsten (manchmal gleich Dutzende auf einmal). Die Bunnies sind ihr Markenzeichen, sie bestanden ursprünglich aus mit Textil gefüllten Netzstrümpfen und Unterwäsche. Die neueren sind bunter und im Material dauerhafter, schlingen ihre langen Extremitäten aber weiterhin um Stuhlbeine, wirken mal eingesunken und mal lasziv, mal erschöpft und dann wieder aufgekratzt. Jedes Bunny ist anders, das versteht man erst in der Ansammlung so richtig."

Weitere Artikel: In der NZZ stellt Philipp Meier das Künstlerpaar Silvia Gertsch und Xerxes Ach vor. In monopol berichtet K. Erik Franzen über ein Gespräch des Kurators Hans Ulrich Obrist mit Katharina Grosse im Münchner Haus der Kunst. Taliban gibt es nicht nur in der muslimischen Welt, das steht fest: Ein amerikanischer Tourist hat zwei antike römische Skulpturen im Israel Museum in Jerusalem zerschmettert, meldet Hyperallergic: "Der Mann bezeichnete die Skulpturen als 'götzendienerisch und im Widerspruch zur Thora', erklärte die israelische Polizei."

Besprochen wird die Schau "Alles auf einmal: Die Postmoderne, 1967-1992" in der Bundeskunsthalle Bonn (taz), Marion Kollbachs Film über den Maler Philip Guston (monopol), Joachim Bosses Performance "Diktat" im Napoleon Komplex, Berlin (monopol) und eine kapitalismuskritische Ausstellung des Künstlerduos Famed im Chemnitzer Museum Gunzenhauser (monopol).
Archiv: Kunst