Magazinrundschau
Werben Sie gute Spione an
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
04.03.2008. Die London Review of Books sorgt sich um den Second-hand-Journalismus von Zeitungen. Prospect macht uns bekannt mit der chinesischen Intellektuellenszene. Al Ahram erklärt, warum die Ägypter am liebsten Fahnen made in China kaufen. Caffe Europa fragt: wo war Tariq Ramadan, als Milan Kunderas Bücher auf der Buchmesse in Kairo verboten wurden. Der Guardian macht Bekanntschaft mit Luthers PR-Mann. Die Gazeta Wyborcza untersucht das Selbstbewusstsein polnischer Arbeitnehmer.
London Review of Books (UK), 06.03.2008

Weitere Artikel: Andrew O'Hagan erzählt in allen Details, die er herausfinden konnte, die Geschichten von Anthony Wakefield und John Spahr, eines britischen und eines amerikanischen Opfers des Irakkriegs, die beide am 2. Mai 2005 ums Leben kamen. Als Korrespondent in Israel hat Yonatan Mendel erlebt, wie die israelischen Journalisten immer dann, wenn es um den Konflikt mit den Arabern geht, ihre Unparteilichkeit verlieren. Jeremy Harding denkt über "atrocity museums" nach, Museen also, die Gräuel ausstellen. Peter Campbell hat die große Peter-Doig-Retrospektive in der Tate Britain besucht.
Rue89 (Frankreich), 01.03.2008
Rue 89 stellt das Buch "Triomphe de la vulgarite" (Editions de l?Olivier) über Sarkozys Frankreich vor, und dessen Autor Marc-Vincent Howlett, Philosoph und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Angewandte Künste, der zwar noch nicht so bekannt sei, dessen "Wut, treffsichere Rhetorik und präzise Attacken" jedoch sehr viel versprechend seien. "Nicolas Sarkozy ist in keiner Weise ein neuer oder innovativer Politiker. Howlett zeigt mit heiterer Schärfe, was für ein Sarkozy ist: 'Er gibt sich gern für jemanden anderen aus. Er könnte Putin und/oder Busch sein. Er will uns überzeugen, dass er das Gesicht der Welt verändern wird, indem er der Welt ins Gesicht sieht; doch was er ansieht, ist nicht die Welt. Giscard d'Estaing wollte Frankreich tief in die Augen blicken. Nicolas Sarkozy schaut auf seine Amtsgenossen.' Das Neue an diesem Essay ist, dass es darin weder um Vermenschlichungstaktik und 'Bling-Bling', die Einwanderungspolitik und Diskriminierung, noch um den enthemmten Liberalismus geht, wenn er die Vulgarität des neuen Bewohners des Elysee-Palasts angreift. Sondern um Sarkozys Verhältnis zur Macht und zur Geschichte."
Prospect (UK), 01.03.2008

Weitere Artikel: Trevor Phillips bespricht Shelby Steeles Buch "Obama, ein gefesselter Mann", in dem der konservative schwarze Autor erklärt, dass Barack Obama das Versprechen eines geeinten Amerika nicht wird halten können: die riesigen Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß seien auf Dauer nämlich nicht vergessen zu machen. Robert Reich wiederum hat nichts dagegen, dass Amerika bei Barack Obama Inspiration für einen Neuanfang sucht. Jonathan Wolff kommentiert die Tatsache, dass Großbritannien heute mehr Leute ins Gefängnis sperrt denn je zuvor.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 27.02.2008

New Yorker (USA), 10.03.2008

Weitere Artikel: Lauren Collins porträtiert Michelle Obama, die die Rolle der amerikanischen Politikerehefrau derzeit neu erfindet. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Raj, Bohemian" von Hari Kunzru und Lyrik von Dan Chiasson und Stephen Dunn.
Janet Malcolm beschreibt das boshafte Vergnügen an der Lektüre von Cecily von Ziegesars Bestseller-Serie "Gossip Girl" (deutsch: "Ist es nicht schön, gemein zu sein?") über weibliche Teenager der New Yorker Oberschicht. John Lanchester bespricht einen Band über Düfte: "Perfumes: The Guide" (Viking), geschrieben vom wunderbaren Luca Turin (mehr hier). Und David Denby sah im Kino den Thriller "The Bank Job" von Roger Donaldson und Jacques Rivettes Verfilmung einer Balzac-Novelle "Die Herzogin von Langeais" ("Ne touchez pas la hache"), die letztes Jahr auf der Berlinale lief.
Nur im Print: Porträts des Ehepaars Isabel und Ruben Toledo, Künstler und Modedesignerin, sowie eines Pariser Designers, der Iggy Pop nacheifert, und ein Bericht über neuen technischen Schnickschnack.
Caffe Europa (Italien), 01.03.2008
David Bidussa erinnert Tariq Ramadan und alle jene, die die Einladung israelischer Schriftsteller zur Buchmesse in Turin kritisierten, daran, dass es in den arabischen Ländern immer noch weit mehr zu kritisieren gibt als in Norditalien. "Die Attitüde von Tariq Ramadan und der Vereinigung der arabischen Schriftsteller ist nicht so sehr fragwürdig in dem, was sie sagen, sondern vor allem durch das, was sie nicht verteidigen, nämlich die Freiheit. In den Tagen, in denen Tariq Ramadan den Boykott der Buchmessen von Turin und Paris forderte, wurde Milan Kundera auf der Buchmesse in Kairo zensiert und seine Bücher nicht zugelassen. Keiner von denen, die sich als große Verteidiger der Freiheit präsentieren und die Unterdrückung geißeln - allen voran Tariq Ramadan - keiner hat sich die Zeit genommen, hat Worte gefunden oder einen Weg, aus dem Klagechor über Israel auszuscheren, um in Kairo für die Freiheit des Buches einzutreten."
Guardian (UK), 01.03.2008

Die Briten bewundern John Milton, doch sie lieben ihn nicht, bedauert die Schriftstellerin Claire Tomalin, die ihn für den aufregendsten britischen Dichter hält, kein Gedicht könne mit "Paradise Lost" mithalten: "Milton bringt einen zum Nachdenken, er zieht einen in die Auseinandersetzung über Macht, Gut und Böse, über Verantwortung, Unschuld und das Recht zu wissen. Er zeigt Gott, der uns dieses Recht vorenthält, aber wir wissen, dass Milton selbst dieses Recht in seinem wütenden Essay "Areopagitica" über die Freiheit der Presse verteidigt hat."
Nepszabadsag (Ungarn), 01.03.2008
Der Medienwissenschaftler Peter György porträtiert den umstrittenen polnischen Künstler Artur Zmijewski, der eine Ausstellung in Budapest hat. Gezeigt wird unter anderem das Video "80064", in dem ein Auschwitz-Überlebender seine Häftlingsnummer neu tätowieren lässt (mehr hier und hier): "All die Provokationen Zmijewskis, seine mit kühlem Kopf durchdachten, komplizierten Werke zielen auf die polnische Gesellschaft ab - auf das Land, das sich als Opfer eines schrecklichen Krieges versteht. Denn Abwehrhaltung und Verdrängung können nicht mit humanistischer Pädagogik aufgelöst werden. Zmijewski will - so scheint es - eine Gesellschaft mit weniger Lügen, Selbstmitleid und Gratisstolz... Filme wie 'Roman eines Schicksallosen' oder 'Der Pianist' sind Musterexemplare für eine scheiternde humanistische Pädagogik, die Erlösung und Katharsis verspricht, selbst wenn es dafür keinen Grund gibt. Die ungleich kompliziertere und risikoreichere Ästhetik, die Zmijewski verfolgt - die in ihren Werken neue Zusammenhänge und Horizonte schafft - zwingt zur Selbsterkenntnis. Sie beruhigt uns nicht, sondern sorgt für Verwirrung und bringt uns aus der Fassung."
Spectator (UK), 01.03.2008

Gazeta Wyborcza (Polen), 04.03.2008
Nach Jahrzehnten politisch missbrauchter Klassenkampfrhetorik und der wilden Transformationsperiode scheint sich das Selbstverständnis der polnischen Arbeitnehmer zu stabilisieren, konstatiert im Interview der Soziologe Juliusz Gardawski. Als "Arbeiterklasse" oder gar "Proletariat" will sich kaum jemand bezeichnen, aber "in den Umfragen wird eine klare Trennung zwischen Herrschenden und Beherrschten sichtbar. Wenn man dann aber nach Konflikten fragt, wird über Ideologie gesprochen, nicht über ökonomische Interessen. Konflikte über Eigentum oder Kapital gibt es scheinbar nicht". Die unter anderem durch Migration entspannte Arbeitsmarktsituation hat immerhin dazu geführt, dass sich die Menschen immer mehr trauen, für ihre Rechte einzutreten - ein wichtiger Akt war vor kurzem ein Streik in der Supermarktkette "Tesco", der erste dieser Art bei einem privaten Arbeitgeber.
Times Literary Supplement (UK), 29.02.2008
George Brock liest eine Reihe von Neuerscheinungen zu Nordirland, die ihm vor allem Antwort auf das große Rätsel gaben, warum eigentlich die IRA bereit war, zu relativ wenig Bedingungen so viel preiszugeben: Sie war heillos vom MI5 unterwandert, selbst Freddie Scappaticci, Chef der gefürchteten Sicherheitsabteilung der IRA, arbeitete für die Briten. "Wenn es Lehren aus dem Anti-Terror-Kampf in Ulster zu ziehen gibt, dann diese: "Werben Sie gute Spione an. Werben Sie noch mehr an. Dann lassen Sie die Zeit für Sie arbeiten. Die Morde, das lange Warten und die Komprosmisse der Exit-Strategie werden die Moderaten zermürben. Dann warten Sie noch ein wenig. Danach dürfen die Politiker kommen."
Warum sieht alle Welt Lateinamerika nach links driften?, fragt sich David Gallagher vom vom chilenischen Centro de Estudios Publicos. In Argentinien übernimmt Cristina Kirchner das Präsidentenamt von ihrem Mann Nestor und wird in peronistischer Tradition weiterregieren - also "weniger Marx als Mussolini". Und in Venezuela? "Hugo Chavez finanziert populistische, anti-kapitalistische Politiker in ganz Lateinamerika, kein Land ist immun gegen seinen Einfluss. Mit seinem 'bolivarischen' Traum von der Einheit des Kontinents unter seiner Ägide ist er der neue Imperialist der Region. Seltsamerweise kommt Chavez damit durch, sich als Mann der Linken zu verkaufen. Dabei ist sein autoritärer Populismus näher am Faschismus. Die großen Nutznießer seiner bolivarischen Revolution sind Chavez' eigene Megalomanie und eine neue Brut sogenannter Boligarchen."
Warum sieht alle Welt Lateinamerika nach links driften?, fragt sich David Gallagher vom vom chilenischen Centro de Estudios Publicos. In Argentinien übernimmt Cristina Kirchner das Präsidentenamt von ihrem Mann Nestor und wird in peronistischer Tradition weiterregieren - also "weniger Marx als Mussolini". Und in Venezuela? "Hugo Chavez finanziert populistische, anti-kapitalistische Politiker in ganz Lateinamerika, kein Land ist immun gegen seinen Einfluss. Mit seinem 'bolivarischen' Traum von der Einheit des Kontinents unter seiner Ägide ist er der neue Imperialist der Region. Seltsamerweise kommt Chavez damit durch, sich als Mann der Linken zu verkaufen. Dabei ist sein autoritärer Populismus näher am Faschismus. Die großen Nutznießer seiner bolivarischen Revolution sind Chavez' eigene Megalomanie und eine neue Brut sogenannter Boligarchen."
Odra (Polen), 04.03.2008
Über die gerade in Frankfurt/Main gezeigte Ausstellung "Hans Poelzig (1869-1936). Architekt-Lehrer-Künstler" schreibt Mateusz Hartwich: "Die sehr gelungene und gestaltete Ausstellung kontextualisiert klug das Werk Poelzigs. Auf abstrakterer Ebene zeigt sie die ambivalenten Verbindungen zwischen Avantgarde und Gebrauchskunst - im 20. Jahrhundert nicht selten politisch missbraucht. Sie mythologisiert den Modernismus nicht, und macht aus ihrem Helden keine Gottheit. (...) Es ist auch gelungen, den typischen Fehler für Architekturausstellungen zu vermeiden: die Fetischisierung von Plänen, die oft nur für Eingeweihte lesbar sind." Etwas bedauerlich sei jedoch, dass das Architekturmuseum in Wroclaw/Breslau, das sich mit den Bauten der Moderne in dieser Stadt (u.a. Poelzigs) intensiv auseinandersetzt, lediglich als Leihgeber fungierte und nicht in die Konzeption einbezogen wurde.
New York Times (USA), 02.03.2008

Außerdem schreibt Elizabeth Weil über eine immer stärkere Tendenz zur Geschlechtertrennung an amerikanischen Schulen. Und Andrew Meier porträtiert den exzentrischen russischen Romancier und Politiker Edward Limonov.
In der Book Review bespricht Patrick Cockburn das Buch "Dreams and Shadows - The Future of the Middle East" (Auszug), in dem die Reporterin Robin Wright ein recht optimistisches Bild über die gemäßigte Opposition in vielen arabischen Staaten entwirft: "Der islamische Extremismus ist nicht mehr die wichtigste, interessanteste oder dynamischste Kraft im Nahen Osten." Und hier das erste Kapiel aus Stephen Kings neuem Roman "Duma Key".