Magazinrundschau - Archiv

Gentlemen's Quarterly

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Magazinrundschau vom 26.09.2023 - Gentlemen's Quarterly

Im November wird Martin Scorsese 81, in den USA startet demnächst sein neues Epos, "Killers of the Flower Moon" - erneut ein dreieinhalbstündiges Drama. Wie viel Energie noch in ihm steckt, um danach nochmal einen solchen Film zu drehen, weiß er selber nicht genau, wie er in diesem tollen, sehr altersmelancholischen Porträt von Zach Baron verrät. Es ist eine Rückschau aufs Erreichte, auf Jahre der Tränen und der Triumphe - und eine Bilanz all dessen, wovon man sich verabschieden muss, wenn die Lebenszeit knapp wird. Um markige Statements ist Scorsese, der seine Filme heute nicht mehr in Hollywood produziert, sondern von Streamingdiensten finanzieren lassen muss, aber auch weiterhin nicht verlegen:  "'Die Filmbranche ist am Ende', sagt Scorsese. 'Oder anders gesagt, jene Filmbranche, von der ich - wann, vor 50 Jahren? - ein Teil war. Man könnte auch im Jahr 1970 jemanden fragen, der Stummfilme gedreht hat, was seiner Ansicht nach passiert ist.' Aber natürlich hat Scorsese Theorien. Die Studios, sagt er, sind nicht 'länger daran interessiert, individuelle Stimmen zu unterstützen, die persönliche Gefühle, Gedanken oder Ideen ausdrücken - und das mit einem großen Budget. Was passiert ist? Die haben das schön in die Schublade gesteckt, auf der 'Indiefilme' steht.' ... Mit der Überfülle von Franchise-Filmen und Comicverfilmungen, die man derzeit vor allem im Kino sehen kann, hat er Probleme. 'Die Gefahr besteht darin, was das mit unserer Kultur anstellt', sagt Scorsese. 'Weil es jetzt Generationen gibt, die denken, dass Filme sich darauf beschränken, dass es das ist, was Filme eben sind. ... Sie denken das bereits. Was nur heißt, dass wir umso stärker zurück kämpfen müssen. Und das muss von der Graswurzel aus losgehen. Es muss von den Filmemachern selbst kommen. Wir haben da die Safdie Brothers, wir haben Christopher Nolan, wissen Sie, was ich meine? Und wir müssen sie von allen Seiten treffen, von allen Seiten, niemals aufgeben. Lass mal sehen, was Du hast. Geh raus und tu es. Leg los, erfinde die Sache neu. Beschwer Dich nicht. Aber es ist einfach die Wahrheit: Wir müssen das Kino retten.'"

Magazinrundschau vom 01.11.2022 - Gentlemen's Quarterly

Auf ein Interview mit dem eigenbrötlerischen Schriftsteller Alan Moore hatten wir kürzlich erst hingewiesen, nun bringt auch GQ ein episches Gespräch mit ihm. Anlass auch weiterhin: Moores aktueller Erzählungsband "Illuminations". Darin findet sich unter anderem auch eine Geschichte romanartiger Länge, in der der früher sehr zurecht als großer Comic-Innovator gefeierte Autor mit der Comicindustrie abrechnet, von der er sich vor wenigen Jahren auch offiziell abgewendet hat, um nur noch seiner thomas-pynchon-artigen Literatur zu frönen. "Diese Zeit in den Comics, wegen der sich die meisten an mich erinnern - wie lange war dieses Zeitfenster eigentlich? Vielleicht fünf Jahre? Zwischen 1982 und 1987, um den Dreh. Das ist 35 Jahre her." Damals "versuchte ich, mein Bestes zu geben, um die Comicindustrie und in einem gewissen, wenn auch geringerem Maß das Comicmedium neu aufzustellen und zwar nach meinen Vorstellungen. Ich habe Ideen eingeführt, von denen ich glaubte, sie könnten dem Medium dienlich sein und es in neue Bereiche vordringen lassen." Aber "ich hatte den Eindruck, dass die Leute aus Arbeiten wie 'Watchmen' oder 'V wie Vendetta' nicht etwa die Erzähltechniken für sich mitnehmen, was für mich das wichtigste daran gewesen ist. Stattdessen war es nur dieser erweiterte Spielraum mit Gewalt und sexuellen Anspielungen. Möpse und Gedärm. Als ich 'Marvelman' und 'Watchmen' schrieb, ging es mir um eine Kritik am Superheldengenre. Ich wollte damit zeigen, dass jeglicher Versuch, diese Figuren in einer Art realistischem Kontext umzusetzen, grotesk und albtraumhaft sein würde. Aber das war offenbar nicht die Botschaft, die die Leute daraus zogen. Die schienen wohl zu denken, oh, yeah, düstere, depressive Superhelden, na das ist ja mal cool. Als ich Rorschach [ein maskierter Vigilant, eine der Hauptfiguren in 'Watchmen'] erfand, dachte ich mir, naja, das wird ja wohl jedem klar sein, dass das Satire ist. Ich mache aus diesem Typen einen murmelnden Psychopathen, der ganz eindeutig müffelt, sich von kalten Bohnen ernährt und wegen seiner abscheulichen Persönlichkeit keine Freunde hat. Mir war überhaupt nicht klar, dass so viele Leute im Publikum eine solche Figur bewundernswert finden würden. Mir wurde gesagt, das ist jetzt so fünf bis zehn Jahre her, dass 'Watchmen' in der rechten Szene der USA viele Anhänger hat."

Weitere: Christian Bale denkt im großen Gespräch über sich, sein Leben und Hollywood nach. Außerdem plaudert Daniel Radcliffe, den man als "Harry Potter" kennt, über seinen neuen Film, in dem er keinen geringeren als Weird Al Yankovic spielt.

Magazinrundschau vom 03.05.2022 - Gentlemen's Quarterly

Corona war für viele Unternehmen ein herber Schlag. Aber einige Unternehmer witterten auch neue Geschäftsideen. David Kushner erzählt von einer im schönen Ponta do Sol, einem antiken Dorf auf der subtropischen Insel Madeira. Hier versammeln sich jeden Tag eine handvoll digitale Nomaden und begrüßen den Morgen mit einer Runde Yoga. "Sie sitzen auf einer steinernen Terrasse, einige hundert Meter über dem Atlantik, der lautstark gegen die Lavafelsen unter ihnen prallt. Rosa-orangefarbenes Licht breitet sich über den weiten blauen Horizont aus, weit hinter den grünen, terrassenförmig angelegten Bergen und den kaskadenförmigen Wasserfällen. Aber das sind keine Trust-Funder auf Urlaub. Es sind internationale Auswanderer der Profiklasse, die während der Pandemie hierher gezogen sind, um zu leben und zu arbeiten. ... Während Länder von Aruba bis Georgien versuchen, Nomaden anzulocken, um ihre von einer Pandemie geplagten Volkswirtschaften anzukurbeln, geht diese winzige Insel vor der Küste Nordwestafrikas mit gutem Beispiel voran. Barrett und die anderen Besucher hier sind Teil von Digital Nomads Madeira, einem einzigartigen Programm, das auf ihre Bedürfnisse eingeht: Es hilft ihnen bei der Suche nach Mietwohnungen, stattet sie mit einem hochmodernen Coworking Space im Stadtzentrum aus und organisiert über einen privaten Slack-Kanal soziale Veranstaltungen, wie die heutige Yoga-Session. Dies ist die Vision des ehrgeizigen Gründers des Programms, Gonçalo Hall. Der stämmige, gesellige 34-Jährige aus Lissabon, der 'immer in Badeshorts' unterwegs ist, wie er mir erzählt, ist einer der führenden Evangelisten für die aufstrebende Nomadennation. Mit einer Investition von gerade einmal 35.000 Dollar von der lokalen Regierung gründete er im Februar letzten Jahres Digital Nomads Madeira, nachdem die Tourismuswirtschaft der Insel stark zurückgegangen war. Innerhalb von sechs Monaten hatten die Nomaden eine lebendige, nachhaltige Gemeinschaft geschaffen - und der lokalen Wirtschaft zu einem Neustart verholfen. Micaela Vieira, Projektleiterin von Startup Madeira, einem mit staatlicher Unterstützung betriebenen Gründerzentrum, sagt, dass die Nomaden schätzungsweise 1,5 Millionen Euro pro Monat erwirtschaftet haben. 'Sie haben enorm geholfen', sagt sie."

Magazinrundschau vom 29.03.2022 - Gentlemen's Quarterly

Nicolas Cage - einst gefeierter Jungschauspieler, dann seit den Nullerjahren der Absturz in den Direct-to-DVD-Billigfilm. Der Hintergrund: Ein erheblicher Schuldenberg nicht zuletzt bei der US-Steuerbehörde nach grotesken Fehlinvestitionen und schlecht beratenen Privatvergnügungen. Während Brad Pitt und Leonardo DiCaprio ihre Filmografie in den letzten 15 Jahren mit bedachtem Blick kuratierten und nur eine erlesene Handvoll Filme drehten, lieferte Cage im selben Zeitraum annähernd 50 Filme, berichtet Gabriella Paiella in ihrem anekdotenreichen Porträt eines Exzentrikers, der in den letzten Jahren vom Internet in unzähligen Memes als Maskottchen für den Irrsinn der Gegenwart entdeckt wurde. Aber: Der Schuldenberg ist abgebaut, mit "Pig" (mehr dazu hier) hat er zudem ein künstlerisches Comeback im Independentfilm hingelegt (aber: irrsinnig ist er natürlich auch weiterhin - man schaue sich das Magazincover an). Das will er jetzt weiterverfolgen, sagt er: "Er denkt nach über diesen Neubeginn, der ihm zugestanden wurde. Wie er in seinem Blockbuster-Run wohl niemals so etwas wie 'Pig' gedreht hätte, die Performance, die seinen langjährigen Bannfluch in der öffentlichen Wahrnehmung nun definitiv gebrochen hat. Darüber, wie dies nach mehr als hundert Filmen endlich der Film war, bei dem er sich voll gereift fühlte. Er erinnert sich daran, was ein alter Freund ihm mal mit auf den Weg gab: 'Sean Connery sagte immer: Du musst wissen, wie man einen Raum betritt. Wenn Du einen Raum betrittst, dann fällst Du auf. Ich denke, mit diesem Film habe ich den Raum betreten.' Cage möchte weiter Indiefilme drehen: 'Mir machen Filme wie 'Pig' und 'Leaving Las Vegas' mehr Freude als 'National Treasure'', sagt er. Bei Nachfragen, ob 'National Treasure 3' wohl passieren wird, winkt er ab. ... Vielleicht tut er sich nach 'Peggy Sue hat geheiratet' von 1986 auch erstmals wieder mit seinem Onkel Francis Ford Coppola zusammen. Sie sprechen gerade über eine kleine Rolle in Coppolas angekündigtem Epos 'Megalopolis' (mehr dazu hier). 'Ich lege meinen Fokus darauf, einfach extrem selektiv zu sein, so selektiv wie ich es nur sein kann', sagt er. 'Ich möchte jeden Film so drehen, als sei er mein letzter'." Und ein netter Bonus: Nicolas Cage reagiert auf die groteskesten Online-Mythen, die sich um ihn ranken - und bestätigt dabei die eine oder andere Geschichte als wahr:

Magazinrundschau vom 22.02.2022 - Gentlemen's Quarterly

Francis Ford Coppola ist zwar schon 82 Jahre alt, aber in den letzten Jahren rank und schlank geworden - und dies vor allem auch, um sich die nötige Zeit und Fitness zu verschaffen, um sein seit vielen Jahrzehnten gehegtes Herzensprojekt auf der Zielgeraden doch noch zu verwirklichen: "Megalopolis", eine aufwändig erzählte, philosophische Dreiecksgeschichte, die nichts weniger als grundsätzliche Fragen der Menschheit klären soll. Im Porträt von Zach Baron präsentiert sich der New-Hollywood-Auteur voller Tatendrang und als echter Haudegen, der alles auf eine Karte setzt: "Nun, wenn ich Disney wäre oder Paramount oder Netflix und ich müsste 120 Millionen Dollar besorgen und ich müsste damit langsam mal zu Potte kommen, also Dinge zusagen und Leute bezahlen, wie würde ich das anstellen? Sie machen das alle auf dieselbe Weise: Sie nehmen einen Kredit auf, nicht wahr? Nun, ich bin kreditwürdig." Wobei Coppola in den Achtzigern jahrelang an den Schulden zu knabbern hatte, die er mit seinem Flop "One From the Heart" einfuhr. Aber "'was für ein Risiko sollte das schon sein? Um was geht es dabei schon für mich? ... Selbst im Fall von 'One from the Heart' wären Sie erstaunt, wie viele Leute sich den Film noch immer ansehen. Und wie viele Filme hat 'One from the Heart' beeinflusst? ... Eine finanzielle Bruchlandung könnte mir nicht gleichgültiger sein. Es kümmert mich nicht.' Letztes Jahr verkaufte er einen ansehnlichen Teil seines Weinimperiums, um einen Teil davon als Sicherheit für den Kredit einzusetzen, um endlich 'Megalopolis' zu drehen. 'Wenn ich schon 120 Millionen meines eigenen Geldes investiere - was ich im Grunde schon getan habe, ich habe es hier, es fehlt nur die Unterschrift -, dann soll es sich für die Menschheit wenigstens lohnen."

Magazinrundschau vom 14.09.2021 - Gentlemen's Quarterly

Wo sind eigentlich die Hippies geblieben? David Jacob Kramer entdeckt die letzten Residuen einer großen Utopie in den nordkalifornischen Wäldern: "Ende der 1960er bis Mitte der 70er gingen fast eine Million junge Menschen aufs Land. Nirgendwo war der Drang, sich wieder mit der Natur zu verbinden, stärker als in San Francisco, wo Scharen junger Menschen aus einer von Heroin, Hektik und schlechten Vibes verseuchten Stadt flohen. In Oakland jagte die Polizei Black Panthers, in Berkeley ging das Militär mit Tränengas auf Studenten los. Vietnam-Veteranen suchten Therapie für ihr Trauma, Marxisten wollten ihre Ideale auf die Probe stellen, manche wollten einfach nur high sein. Die Bewegung hatte ihr Epizentrum zwischen der Bay Area und der Grenze zu Oregon, einer Region, in der Land billig war, entwertet durch Abholzung und wirtschaftlichen Abschwung. Tausende kooperativer Gemeinschaften wie die Table Mountain Ranch entstanden entlang der Küste und in den Wäldern im Landesinneren. Die Bewohner brachten sich die Landwirtschaft selbst bei, praktizierten freie Liebe und bauten ihre eigenen Häuser. Ein grandioses soziales Experiment, aber das Versprechen war meist rosiger als die Wirklichkeit. Die meisten fanden die Arbeit zu hart und die Armut zu trist und kehrten bald in die Stadt und in ein konventionelleres Leben zurück. Doch einige hielten jahrzehntelang durch, und eine Handvoll von ihnen lebt noch immer in Gemeinden, die über ganz Nordkalifornien verstreut sind. ... Zwar sind sie die letzten Vertreter einer verblassenden Utopie originelle Charaktere, doch bleibt die Frage, was sie uns hinterlassen."
Stichwörter: Hippies, Trauma, Landwirtschaft

Magazinrundschau vom 03.08.2021 - Gentlemen's Quarterly

Tommy Orange, selbst ein Nachfahre amerikanischer Ureinwohner, porträtiert Wes Studi, einen der wenigen wirklich namhaften gewordenen Schauspieler indigener Herkunft im US-Kino. Man kennt ihn als furchterregenden Gegenspieler in "Der mit dem Wolf tanzt" und als Ermittler aus Michael Manns "Heat". Er selbst "sieht es jedoch nicht so, dass er je einen Schurken gespielt hätte. 'Ich spiele diese Typen so, als würden sie davon ausgehen, das Richtige zu tun', sagte er mir vor kurzem in einer Zoom-Schalte. 'Ihrem eigenen Verständnis nach sind sie keine Schurken. Sie tun, was sie tun müssen, um ihr Leben aufrecht zu erhalten oder ihre Interessen zu wahren. Und ich denke, das ist einfach nur menschlich.' Und genau das ist der Punkt. Wes Studi schenkte uns in jeder seine Rollen einen Menschen. Er bewegte uns jenseits karrikaturenartiger Darstellungen. Damit gelang ihm ein Durchbruch dahingehend, dass er auch Figuren spielen konnte, die nicht spezifisch als Native Americans gecastet waren. ... Dennoch, sagt er, waren es spezifische Natives-Rollen, insbesondere in Westernfilmen, die seine Karriere stützten. 'Wir Natives empfinden so eine Hass-Liebe zu Western', sagt er. Aber er erkennt durchaus an, dass sie 'es Menschen, die wie Natives aussehen, gestatten, einen Fuß in die Tür der Branche zu bekommen.' ... Dass Wes in Filmen mitspielt, die nichts mit dem Erbe der amerikanischen Ureinwohner zu tun haben, ist etwas, das wir sehnlichst herbeiwünschen: dass es uns gestattet ist, Rollen zu spielen, ohne unsere Authentizität als Indianer unter Beweis stellen zu müssen. Wir wollen als US-Bürger rüberkommen, ohne dass irgendwer infrage stellt, ob wir wohl auch echte Indianer seien, nur weil es möglich ist, so aufzutreten wie jeder andere auch."

Magazinrundschau vom 23.02.2021 - Gentlemen's Quarterly

Gabriella Paiella unterhält sich mit Patricia Lockwood - als Twitterin ("es ist Frivolität, die ich online gern auslebe") nicht weniger bekannt denn als Autorin - über deren neues Buch "No One Is Talking About This", das in weiten Strecken um die sozialen Medien kreist. An einem Punkt des Gesprächs geht es um den Sturm auf das Kapitol, der zwei verschiedene Twitterstreams auslöste: der eine superernst politisch, der andere voller lustiger Meme. "Es waren zwei gleichzeitige Streams, und noch seltsamer wurde es für mich", sagt Lockwood, " durch die Tatsache, dass ich an diesem Tag Interviews gab. Ich gebe zu, dass ich einige der verstörendsten Interviews meines Lebens gegeben habe. Aber ich habe auch amerikanische Interviewer erlebt, die sich über Zoom einschalteten, und es war absolut wie auf dem Friedhof, düstere Gesichter. Ich sprach mit Leuten in Britannien und sie sagten: "Also, das war urkomisch. Wir haben das hier alle genossen. Dieser Wolfs-Typ!" Mich hat dieses sehr langsame Rinnsal der Geschichte interessiert. Es war wie: 'Oh, ein paar Typen treiben sich im Kapitol herum. Jetzt bewegen sie sich zielstrebiger. Jetzt schlagen sie die Fenster und Türen ein.' Zu dem Zeitpunkt musste ich zum Friseur, weil ich ein Fotoshooting für ein Interview hatte. Und ich fragte mich: 'Stirbt Nancy Pelosi gerade, während ich mir den Pony schneiden lasse?' Ich denke, es ist gesund, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt von Twitter zurückzuziehen. Aber in Zeiten wie diesen sagt man sich: 'Okay, ich springe in das Portal und sehe, was passiert, weil es eine Million Augen sind.' Nur so kann man alle Seiten erleben. Die absurden Seiten und die tragischen Seiten. Es ist nicht so, dass es ein komplett lustiges Ereignis war, offensichtlich. Es ist auch nicht so, dass es komplett tragisch war. Und das Portal hat sich wirklich zu einem Ort entwickelt, an dem wir all diese Seiten erleben können - es ist der einzige Ort, an dem man das tun kann."

Magazinrundschau vom 26.01.2021 - Gentlemen's Quarterly

Sehr fesselnd liest sich Joshua Hammers Reportage über die Jagd des UN-Kriegsverbrechertribunals nach dem ruandischen Kriegsverbrecher Félicien Kabuga. Der schwerreiche Immobilientycoon war einer der Hauptverantwortlichen für den Völkermords an den Tutsi: Er betrieb das berüchtigte Radio Milles Collines und stattete die Hutu-Milizien mit Hunderttausenden von Macheten aus. Im Mai 2020 wurde er in Paris gefasst, vor allem dank der Arbeit des australischen Ermittlers Bob Reid. Aber trotzdem liest sich irritierend, wie naheliegend sein Versteck war: "Wie eine Handvoll weiterer hochrangiger Kriegsverbrecher schaffte es auch Kabuga zu entkommen. Er verschwand aus dem Gedächtnis. Menschen viel es zunehmend schwerer, sich an sein Äußeres zu erinnern. Einige hielten ihn für tot. Aber natürlich war Kabuga am Leben. Er wurde still und leise begünstigt von einem ausgeklügelten und achtsamen Kader von Unterstützern - einem Netzwerk, das einige seiner dreizehn Kinder umfasste. Über die Jahre hinweg manövrierten ihn seine Söhne und Töchter über Grenzen und hielten ihn immer seinen Verfolgern einen Schritt voraus. Dies erforderte permanente Konzentration, aber auch Ressourcen und die Verbindungen eines einst mächtigen Magnaten. Seine Kinder mieteten Wohnungen für ihn, verschafften ihm gefälschte  Pässe und schützen seine Identität. Als er älter wurde, sorgten sie für ihn. Zwangsläufig wurden sie in sein Lügengeweben hineingezogen. Einer dieser vertrauten Beschützer war Kabugas Sohn Donatien Nshimyumuremyi, der glaubte, er helfe einem unschuldigen Mann der unverdienten Verfolgung zu entkommen und möglicherweise auch den Tutsi-Feinden, die es darauf abgesehen hätten, seinen Vater zu ermorden. Vor nicht allzu langer Zeit traf ich Donatien in einer warmen Nacht in Paris in einem der Außenbezirke. Während wir draußen in einem Cafe saßen, erzählte er vorsichtig von den Täuschungsmanövern, die er und seine Familie zwei Jahrzehnte lang betrieben hatten. Am Ende würde er auch erklären, wie alles aufgeflogen war: 'Wir hatten niemals darauf vertraut, dass er in Sicherheit sein würde', erzählt Donatien. 'Es gab Momente, in denen man normal sein konnte und nicht dran denken musste. Es war nicht immer in unserem Kopf. Aber ich schwöre, wir waren niemals locker.'" 26 Jahre nach dem Völkermord war Hammer klar, dass "nichts, schon gar nicht ein Schuldspruch vor dem Tribunal in Arusha, den Glauben der Familie an die Unschuld ihres Vaters erschüttern würde. Sie lebten in einer Blase alternativer Fakten, unempfindlich gegen Skepsis, zusammengehalten von ethnischer Solidarität, unerbittlicher Propaganda, Leugnung und familiärer Liebe und Loyalität."

Magazinrundschau vom 02.06.2020 - Gentlemen's Quarterly

Gabriella Paiella porträtiert den großartigen Steve Buscemi, dessen markantes Gesicht lange Zeit das Aushängeschild des amerikanischen Independentkinos gewesen ist und der mit der HBO-Serie "Boardwalk Empire" endgültig den Rang eines auch im Mainstream bekannten Superstars erlangt hat. Keine schlechte Karriere für einen, der mal als Feuerwehrmann angefangen hat: "In Buscemis bisherigem Werk gibt es ein wiederkehrendes Thema, das er fest entschlossen hinter sich lassen will. 'Ich kann einfach nicht mehr so gut mit Gewalt umgehen wie früher', sagt der Mann, dessen berühmtester Filmtod darin bestand, in 'Fargo' mit einer Axt in Stücke geschlagen und schließlich in einen Hackschnitzler geschoben zu werden. Nachdem er in 'The Sopranos' vermöbelt wurde, versprach er sich zumindest halbherzig, keine Rollen mehr anzunehmen, in denen er ermordet wird ('Wenn man von Tony Soprano um die Ecke gebracht wurde, was kann noch folgen? Da sollte wirklich Schluss sein.') Und dann gibt es da das Problem, selbst den Killer zu spielen. In 'Boardwalk Empire' gibt es diese eine Szene, in der Nucky einem Teenager in den Hinterkopf schießt, die ihn innehalten ließ. 'Mir fiel es schwer, die Gefühle abzuwehren, dass es tatsächlich ich selbst war, der den Abzug drückt', sagt er."
Stichwörter: Buscemi, Steve, Gewalt, Hbo, Sopranos