Magazinrundschau - Archiv

Literaturnaja Gazeta

20 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 2

Magazinrundschau vom 01.09.2003 - Literaturnaja Gazeta

In dem Artikel "Architekten einer neuen Ordnung" wird den Amerikanern angesichts ihrer aggressiven Suche nach verbündeten "Zivilisatoren" in der westlichen Welt vor und während des Irakkrieges "bolschewistisches Jakobinertum" unterstellt, "wenngleich in kapitalistischer Ausprägung". "Die Bolschewisten waren auch von der Annahme ausgegangen, dass sich der Sozialismus durch Ausschalten der Gegner durchsetzen lassen würde, aber sie hatten sich geirrt." Die Popularität von George Bush ist aus dem Grunde bereits im Sinkflug begriffen, meint Literaturnaja Gazeta zu wissen: "Jeder Soldat, der im Irak jetzt noch stirbt, kostet Bush bei den Wahlen einen halben Prozentpunkt. 18 Tote haben den Vorsprung des US-Präsidenten in der Wählergunst von 61 Prozent auf 52 Prozent schrumpfen lassen."

Nach seinem großen Erfolg mit dem "Tschetschenientagebuch" im Jahr 2001 liefert der russische General Gennadi Troschew auch in seinem dieser Tage erscheinenden neuen Buch "Der Rückfall Tschetschenien" eine "detaillierte Analyse der Ereignisse in der Kaukasusrepublik". In ihrer aktuellen Ausgabe druckt die Literaturnaja Gazeta ein Kapitel als Vorabveröffentlichung, in dem es allerdings weniger um Tschetschenien, sondern vielmehr um den Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte, Wladimir Putin, und um dessen Führungsstil geht: "Bei Versammlungen ermahnte er die Funktionäre nicht nur einmal zur Ehrlichkeit. Er bestand darauf, dass Zahlen nicht geschönt werden sollten, weil die Wahrheit wichtiger als alles andere sei, um sich ein objektives Bild der Lage machen zu können." In seinem positiven Porträt beschreibt Troschew Putin weiter als "streng und beharrlich", als "Mann mit Herz", der seine Versprechen hält und seinem Land etwas gibt, was es lange Jahre nicht kannte: eine - wie auch immer geartete - "Ordnung".

Und schließlich noch ein kulturelles Highlight: Am 6. September versammeln sich im Rahmen des zweiten "Moskauer Poesiefestivals", das einer gemeinsamen Initiative der Stadtverwaltung und der Literaturnaja Gazeta zu verdanken ist, zeitgenössische Poeten, die in Russland im Augenblick von sich reden machen, zu einem gemeinsamen Lesemarathon im Zentrum von Moskau. Eigens aus diesem Anlass erscheint eine Gedichtsammlung mit dem Titel "Geräusche des Himmels".

Magazinrundschau vom 25.08.2003 - Literaturnaja Gazeta

Aus Tschechien berichtet Iwan Kraus von den Blüten, die das Kultursponsoring in dem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs von der Marktwirtschaft scheinbar völlig vereinnahmten osteuropäischen Land treibt. Wie sonst ist es möglich, dass in der Schlüsselszene einer "Hamlet" - Inszenierung das Firmenlogo von Volkswagen neonfarben auf der Bühnenleinwand aufleuchtet? Befremdlich auch die moderne "Romeo - und - Julia" - Umsetzung, in der "Romeo mit seinem Kostüm für Marlboro und Mercedes Benz Reklame läuft (?) während Tibalt das BMW-Emblem zur Schau trägt und die Angebetete mit ihrer Robe für Puma wirbt."

In dem Artikel "Verbannt und vergessen" macht Natalja Airapetowa auf das harte Schicksal der "nicht weniger als 400.000 aus Tschetschenien geflüchteten Russen" aufmerksam, denen im Gegensatz zu den geflohenen Inguschen bei ihrer bevorstehenden Rückkehr in das verwüstete Heimatland "jede Art von Kompensationszahlungen für zerstörte Wohnungen" verweigert werden. Sie tragen "die historische Verantwortung für alles - für Stalin, für Jelzin und für alle Dummheiten und Vergehen, die Jelzins Gefolgsleute begangen haben, als sie beschlossen, einen kleinen siegreichen Krieg anzuzetteln." Die tschetschenischen Politiker reduzieren die Tragweite des Problems und damit die Eigenverantwortung "auf einige 200.000 russisch sprechende Kriegsflüchtlinge."

Magazinrundschau vom 18.08.2003 - Literaturnaja Gazeta

In dem Artikel "Die Privatisierung unserer Meinung" erklärt Dmitri Kaljuschny, warum er den Glauben an die Meinungsfreiheit in Russland verloren hat. Vor allem im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Dezember kann die drohende "Zwangsumwandlung des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstitutes in eine Aktiengesellschaft" nur als Affront gegen die "unabhängige Meinungsbildung" verstanden werden, wenn in Zukunft "Vertreter des Arbeitsministeriums, des Finanzministeriums und der Präsidialverwaltung im Aufsichtsrat sitzen." Es scheint, als würden die Gespenster der Vergangenheit in Russland noch immer ihr Unwesen treiben: "In puncto Wahrheitsverzerrung ist diese Form von Demokratie dieselbe wie in den dunkelsten Zeiten unter Breschnew, als die Wahlbeteiligung bei 100 Prozent lag und 99,9 Prozent der Wähler für die Kandidaten stimmten."

Anatoli Drusenko analysiert, warum Russland "im schlimmsten Fall erst in fünfzehn Jahren" der Welthandelsorganisation WTO beitreten kann. "Experten schätzen, dass zu diesem Zweck mehr als eintausend Gesetze und Bestimmungen geändert werden müssten." Außerdem "würde der Beitritt zur WTO den russischen Markt für Warenimporte öffnen statt Investitionen aus dem Ausland zu fördern. (?) In einem ersten Schritt muss daher die russische Wirtschaft modernisiert werden." Andernfalls könnten in den nicht kompetitiven Branchen "tausende, wenn nicht Millionen von Arbeitsplätzen verloren gehen." Drusenkos zentrales Argument jedoch sind die Rohstoffpreise. Bei einer von der WTO "vorgeschriebenen Anpassung der Energiepreise an das Weltmarktniveau werden Dreiviertel der russischen Industrieproduktion nicht mehr konkurrenzfähig sein."

In der Rubrik "Lesesaal" empfiehlt die Literaturnaja Gazeta ein "sehr aufschlussreiches kulturwissenschaftliches Sachbuch" mit dem Titel "Schriftsteller und Selbstmord" von Grigori Tschchartischwili, bekannt unter dem Pseudonym Boris Akunin. Der mittlerweile auch im Westen zum Bestseller-Autor avancierte, "hochintelligente" Krimispezialist hat sich offenbar schon in seinem früheren Leben als Japanologe erfolgreich mit dem Weg ins Jenseits befasst. Immerhin erscheint das 500-Seiten-Opus mit dem düsteren Thema soeben in der dritten Auflage, bislang leider nur auf Russisch!

Magazinrundschau vom 11.08.2003 - Literaturnaja Gazeta

In ihrer aktuellen Ausgabe befasst sich die Literaturnaja Gazeta mit Anspruch und Wirklichkeit in eigener Sache. Der "Dinosaurier unter den russischen Zeitungen", von A. C. Puschkin im Jahre 1830 gegründet, sieht in der Tatsache, dass "ihm einerseits Zionismus und andererseits Antisemitismus unterstellt wird", eine Bestätigung seiner Objektivität, Toleranz und Weltoffenheit: "In unserer Wochenzeitung drucken wir Schriftsteller verschiedenster Couleur und publizieren regelmäßig Texte von führenden russischen Literaten der Gegenwart, selbst wenn sie heute in Israel, Amerika oder Deutschland leben." Die bereits 1947 um die Ressorts Wirtschaft und Politik erweiterte, ursprünglich "rein literarische" Wochenzeitung "hat sich der Erneuerung des konstruktiven Dialogs zwischen Intellektuellen und Kulturschaffenden mit unterschiedlichsten politischen Ansichten verschrieben."

Mit der Veröffentlichung zweier inhaltlich divergierender Einschätzungen zur Lage in Tschetschenien stellt die Literaturnaja Gazeta ihre Meinungsvielfalt unter Beweis. Natalja Airapetowa thematisiert in ihrem Artikel die "Operation Bumerang", mit der der tschetschenische Feldkommandeur Schamil Bassajew "Wladimir Putin und dem russischen Volk den Kampf ansagt". Auch hinter dem Selbstmordanschlag auf das russische Militärkrankenhaus in Mosdok wird Bassajew vermutet. "Die tschetschenischen Kämpfer und ihre Drahtzieher im Westen haben alles getan, um den Südkaukasus von Russland abzuspalten."

In einem Interview mit dem Redakteur Sergej Gromow macht der umstrittene russische Politologe und Philosoph Gejdar Dschemal, der zugleich Ko-Vorsitzender der "Islamischen Partei der Wiedergeburt" ist, neben dem "postsowjetischen Establishment" den von Moskau eingesetzten provisorischen Präsidenten Tschetscheniens, Achmad Kadyrow, für die "Eskalation des Tschetschenienkrieges" verantwortlich. Kadyrow strebe eine Kandidatur für das Amt des tschetschenischen Präsidenten an und brauche "die Fortführung des Konfliktes als Hebel zur Einflussnahme im Kreml", um sich und seinem Clan die Vorherrschaft in der Region zu sichern. Dschemal kommt zu dem Schluss, dass "der Tschetschenienkrieg die Agonie einer längst überholten sowjetischen Staatsstruktur ist. Russland muss (?) endlich in eine neue Phase seiner Geschichte eintreten."

Magazinrundschau vom 04.08.2003 - Literaturnaja Gazeta

In dem Artikel "Verbrechen ohne Strafe" berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter der Moskauer Miliz (der anonym bleiben möchte) aus den Niederungen des russischen Rechtsstaates: "Die Bestechlichkeit der Politiker und Beamten" spiegele sich "in jeder staatlichen und sogar in jeder gesellschaftlichen Struktur" wider, sei es in den unterschiedlichsten Ministerien, "in der Staatsduma oder in der Staatsanwaltschaft, in der Akademie der Wissenschaften oder in zahlreichen Schriftstellerverbänden." Zur Beseitigung dieser Missstände schlägt er einen Vier-Punkte-Plan vor: "Die Oligarchen, die jetzigen Herrscher über unsere Bodenschätze, müssten eine ihren Einnahmen entsprechende (?) progressive Steuer zahlen (?), die ausschließlich dem Sozialwesen zugute kommt." Außerdem müssten die widerrechtlich "aus Russland ausgeführten Gelder zurückgeholt (?) und in die Umstrukturierung der russischen Wirtschaft gesteckt werden." Wichtig wäre zudem "die Verschlankung des Beamtenapparates und die Kürzung der Beamtenvergünstigungen." Immerhin werde "jeder höhere Beamte innerhalb weniger Jahre wenn schon nicht Oligarch, so doch zumindest Millionär." Und schließlich "müsste der Krieg in Tschetschenien beendet werden." Um das Vertrauen des Volkes wieder zu gewinnen, wäre die Regierung allerdings gut beraten, den ersten vor dem zweiten Schritt zu tun und endlich einen konkreten Einblick in "ihre Pläne für den russischen Staat der Zukunft" zu gewähren, schreibt der ehemalige Milizionär.

Magazinrundschau vom 28.07.2003 - Literaturnaja Gazeta

Sergej Markedonow kommt in seinem Artikel "Krieg der freien Bürger" zu dem Schluss, dass "die Intellektuellen in großem Maße die Schuld daran tragen, dass die russische Gesellschaft den Terrorismus nur aus der Entfernung wahrnimmt und dem Tschetschenien-Konflikt gleichgültig gegenübersteht." Dabei werde insbesondere nach den Selbstmordattentaten in Moskau Anfang Juni eines immer deutlicher: "Ein schwacher Staat ist nicht in der Lage, die Grundrechte und Grundfreiheiten seiner Bürger zu garantieren. (?) Wir müssen endlich einsehen, dass ein starker Staat und eine bürgerliche Gesellschaft einander nicht ausschließen." Wahr sei vielmehr, dass "die jedem Demokraten und liberal denkenden Menschen heiligen Begriffe - Freiheit, Eigentum, Rechtsstaatlichkeit - ohne den Staat oder außerhalb des Staates nicht umsetzbar sind."

In der Rubrik "Skandal" zweifelt die Literaturnaja Gazeta an der Glaubwürdigkeit des russischen Schriftstellers Viktor Jerofejew. In einem Interview mit der Welt hatte dieser sich in einer Reihe mit Wladimir Sorokin gestellt, dessen Bücher im Herbst letzten Jahres verboten worden waren: "Ein Teil dieser Strategie war der öffentlich erhobene Vorwurf, Schriftsteller wie Pelewin, Sorokin und ich würden mit schlechten, unmoralischen, perversen Büchern die russische Jugend verderben. (?) Das ist ein altes Muster der russischen Politik: Erst wird jemand zum Feind, am besten zum ideologischen Feind erklärt, dann wird der Unmut des Volkes über die schlechte Lage des Landes auf ihn gelenkt." Im Gegensatz zu Sorokin aber fungiere der "verfolgte" Jerofejew nun als "offizieller Vertreter des Gastlandes" der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, und "die Spesengelder, Tagespauschalen und anderen Auslagen" des "tapferen Oppositionellen" werden "vom russischen Presseministerium erstattet", höhnt die Literaturnaja.

Weitere Artikel: Im Interview fordert der Verfassungsrechtler Alexander Jakowlew Nachbesserungen in der Sozial- und Steuergesetzgebung Russlands: "Der räuberische Kapitalismus in Russland ist nur möglich, weil es die Alternative einer Beilegung von Vermögensstreitigkeiten im Rahmen eines funktionierenden Staatsapparates nicht gibt." Vor allem "muss im Gesetz verankert sein, dass es rentabler ist, Geld in Russland anzulegen als im Ausland." Andernfalls kann es passieren, dass ein Industriemagnat wie Roman Abramowitsch lieber "einen Londoner Fußballverein kauft", als das Geld in die heimische Wirtschaft zu investieren. Schließlich gewährt Nadeschda Gorlowa noch einen Einblick in die beliebteste Website der Russen. Unter dem russischen Ableger von livejournal versuchen sich "an die zehntausend russische User" als Nachwuchs-Dostojewskis und -Tschechows. Das Forum scheinen "vorwiegend russischsprachige User zu nutzen, die das Schicksal ins Ausland verschlagen hat, was einmal mehr beweist, dass 'Sprache Heimat ist'."

Magazinrundschau vom 21.07.2003 - Literaturnaja Gazeta

Alexej Kiwa preist "das chinesische Reformmodell", das sich im Vergleich zu dem seinerzeit von Jelzin eingeschlagenen Reformweg als Erfolg auf der ganzen Linie erwiesen habe. China hat es geschafft, sein Potenzial unter Bewahrung "einer ethisch und moralisch intakten Gesellschaft" zu nutzen, schreibt er. "Eigeninitiative, Selbstständigkeit und Unternehmergeist von kleinen und mittleren Betrieben im Produktionssektor" haben "allen Schichten der Gesellschaft zu Wohlstand verholfen". In Russland dagegen hat das "liberal-autoritäre Modell" der staatlich gelenkten Wirtschaft zur Herausbildung einer Zweiklassengesellschaft, zu Korruption und Kriminalisierung geführt. In China werde einem Werteverfall vorgebeugt: "Das Krebsgeschwür, insbesondere die Metastasierung, wird adäquat therapiert. (?) Wie sonst ist es zu erklären, dass es in China bei einer zehnmal größeren Bevölkerung nicht mehr Haftinsassen gibt als in Russland"?

Beim diesjährigen Internationalen Tschechow-Bühnenfestival in Moskau gaben sich vergangene Woche neben 16 Theaterensembles aus Europa und Asien auch hochrangige deutsche Regisseure, wie etwa "der radikale ("radikalny") Frank Castorf und der noch radikalere Christoph Marthaler" die Ehre (mehr hier).

Waleri Burt sieht mit Schrecken "Galerien in Diskotheken und Museen in Kasinos umgewandelt", nachdem der russische Kulturminister "per Gesetz die Privatisierung russischer Kulturdenkmäler unabhängig von deren Zustand und deren künftiger Erhaltung erlauben will." Denn "ist es nicht oft so, fragt sich Burt, "dass finanzieller Reichtum geistigem Reichtum diametral entgegensteht?" Wenn auch "in Frankreich, Italien, Deutschland und anderen Ländern der Verkauf von ganzen Schlössern" gängige Praxis ist, gibt es doch im Gegensatz zu Russland "ausgesprochen hohe Auflagen", die mit dem Erwerb einer solchen Immobilie verbunden sind. Eine Nachbesserung des Gesetzes tut also Not, sonst könnte die Ermitage schon bald in ein Freudenhaus und das Bernsteinzimmer in eine After-Work-Lounge umfunktioniert werden.

Magazinrundschau vom 14.07.2003 - Literaturnaja Gazeta

In dem Artikel "Was für ein Messias?" warnt Wjatscheslaw Daschitschew die USA vor zu großer Selbstherrlichkeit. Amerika ist von der internationalen Gemeinschaft abhängiger als gemeinhin angenommen: "Stellen Sie sich vor, Russland, China, Indien, Indonesien und Brasilien (?) wenden sich als Reaktion auf die anhaltende amerikanische Hegemonialpolitik vom Dollar als Reservewährung ab. Dies würde unweigerlich zum wirtschaftlichen Zusammenbruch der USA führen und deren Vormachtstellung untergraben. Es ist ja kein Geheimnis, dass Amerikas Macht in entscheidendem Maße (?) von der unkontrollierten Dollaremission abhängt." Aus "politischen und wirtschaftlichen Überlegungen" ist Russland "ohnehin gut beraten, sich Europa zuzuwenden und in naher Zukunft der immer stabiler werdenden Eurozone beizutreten."

Wladimir Poljakow prangert in einem Artikel über die Tagung der Agrarpartei in der Duma "die Misswirtschaft im Agrarwesen und die Kriminalisierung der russischen Lebensmittelindustrie" an. "Warum die russische Intelligenz zu einem derart wichtigen Sachverhalt schweigt", ist ihm unbegreiflich, zumal die tieferen Ursachen hausgemacht zu sein scheinen: "Hohe Getreideexporte führen zu einem Mangel an Futtermitteln, (?) und für jede Tonne Fleisch, die Russland importieren muss, geht ein Arbeitsplatz verloren." Bedrohlich scheint ihm zudem, dass "kaukasische, vor allem tschetschenische Gruppierungen alle einunddreißig Gemüsegroßmärkte unter Kontrolle haben." Poljakow behauptet sogar, "dass einige Duma-Abgeordnete den Wahlkampf 1999 mit Finanzhilfen aus der Lebensmittelindustrie gewonnen haben."

An Flüssignahrung scheint es der russischen Bevölkerung allerdings nicht zu mangeln. In dem Artikel "Wir kriegen schon, was wir wollen!" schildert Eduard Grafow einen kuriosen Sachverhalt: "In Russland werden pro Jahr offiziell 865 Millionen Liter Alkohol hergestellt. Allerdings werden inoffiziell von der Bevölkerung 2.147 Millionen Liter pro Jahr getrunken." (?) "Jetzt wissen Sie, wie viel Alkohol pro Jahr 'inoffiziell' erzeugt und dann auf dem Schwarzmarkt verkauft wird." Schade eigentlich um die entgangenen Steuereinnahmen!
Stichwörter: Alkohol, Indonesien, Wahlkampf, Duma

Magazinrundschau vom 07.07.2003 - Literaturnaja Gazeta

Warum hatte Che Guevara in der damaligen Sowjetunion keine Freunde? Was unterschied ihn denn von Fidel Castro?, überlegt Aleksej Warlamow. "Der Name Che Guevara war in der Sowjetunion mit einem inoffiziellen, halb geheimen Verbot belegt. (?) Während die sowjetische Führung mit Fidel Castro mehr schlecht als recht übereinkommen und ihn dazu bringen konnte, nach ihren Regeln zu spielen, war Guevara nicht nur unbeugsam, sondern auch das Beispiel eines echten Revolutionärs und damit ein stummer Vorwurf für unsere hinfällige, korrupte Führungsriege, (?) die alle Ideale verraten hatte. Er war völlig zu Recht vom sowjetischen Weg enttäuscht, und dem hatte unsere Führung nichts entgegenzusetzen, nur den berüchtigten Vorwurf, 'er habe die Revolution exportiert'."

Auf dem diesjährigen Moskauer Filmfest sorgte ausgerechnet ein deutscher Beitrag, Wolfgang Beckers Film "Good-bye Lenin", für Aufsehen. Erstaunlich, "mit welcher Eleganz, mit welchem Einfallsreichtum und trockenem Humor das doch eigentlich quälende Thema des Verhältnisses von Gegenwart und Vergangenheit" vor postsozialem Hintergrund in diesem Film umgesetzt wurde, findet das russische Magazin.

Leider findet sich in dieser Ausgabe der Literaturnaja Gazeta kein Artikel zur Pressefreiheit in Russland, obgleich erst kürzlich die einzige private russische Fernsehstation abgeschaltet wurde. Nach der jüngsten Änderung des Mediengesetzes muss sich auch eine unabhängige Wochenzeitung ihre Themenwahl neuerdings sehr genau überlegen.

Magazinrundschau vom 30.06.2003 - Literaturnaja Gazeta

Unter der Überschrift "'Idioten' unserer Zeit" kritisiert Anna Jakowlewa die umstrittene russische Verfilmung des Romans "Der Idiot" von Dostojewski, die in Russland als "Kulturereignis dieses Sommers" gefeiert wird. Die zehnteilige Fernsehserie von Wladimir Bortko wird dem Grundkonzept Dostojewskis nicht gerecht, da die Leinwandinterpretation der Charaktere deren psychologisches Profil überbetont und so die tiefe Symbolhaftigkeit der Figuren verloren geht: "Wer nicht versteht, dass seine Helden keine Menschen, sondern Ideen sind, der hat Dostojewski nicht verstanden. (?) Die Deutung von Dostojewskis Helden als psychologische Typen läuft auf die Darstellung menschlicher Konflikte anstelle des Widerstreits von Ideen und Wahrheiten hinaus. Aus diesem Grund kommen Ausländer, die die russische Mentalität anhand von Dostojewskis Romanen begreifen wollen und sie in der Tradition des westeuropäischen sozial-psychologischen Romans deuten, häufig zu dem Schluss, dass das typisch russische Leben ein Skandal ist und alle Russen aufgeblasene Außenseiter, Hysteriker, psychisch Kranke, Alkoholiker oder gar Prostituierte sind. Und das nennen sie dann 'das Geheimnis der russischen Seele'." (Mehr zum Film - aber nur auf Russisch - hier und hier).

In der Rubrik "Zeitgeschichte" fragt sich Swetlana Pogorelskaja in dem Artikel "Der deutsche Brain Drain", wie es möglich sein kann, dass aus einem nicht eben wenig zukunftsträchtigen Land wie Deutschland allein in einem Jahr (2002) 622 000 "meist jüngere und vor allem hoch qualifizierte Arbeitskräfte auswandern."

Zu guter letzt wird die Ausstellung "300 Jahre Sankt Petersburg: Fotografien von Menschen und Palästen" aus der Petersburger Ermitage ans Herz gelegt, die noch bis zum 27. Juli 2003 im Somerset House in London zu sehen ist.