Magazinrundschau - Archiv

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Magazinrundschau vom 05.03.2024 - Wired

Im Zuge der NSA-Enthüllungen vor nun auch schon wieder über zehn Jahren verschlüsselten viele Kommunikationsanbieter ihre Angebote und Apps zum Schutz der Privatsphäre ihrer Kunden. Schön und gut, aber mit den Smartphones in unseren Taschen hat sich das im Grunde auch schon wieder erledigt, schreibt Byron Tau. Zumindest gilt dies, wenn man die Standortübermittlung aktiviert hat und durch Werbeeinblendungen finanzierte Apps nutzt, die auf diesen Standort zugreifen können. Das ist bei den meisten Dating-Apps üblich ist - aber auch bei ganz normalen Wetter-Apps. Anhand dieser nur vorderhand anonymisierten Daten lassen sich jedoch komplexe Nutzerprofile erstellen, die zahlreiche, de facto entanonymsierte Rückschlüsse gestatten - bis hin zum Privatadresse, persönlichen Netzwerken und (nicht nur, aber auch sexuellen) Vorlieben. Und der Clou: Da Werbe-Einblendungen innerhalb von Sekundenbruchteilen digital "versteigert" werden, haben auch jene Anbieter Zugriff auf diese Daten, deren Werbung am Ende doch nicht eingeblendet wird. "Die größten amerikanischen Firmen haben Milliarden von Dollars in dieses System fließen lassen. Angesichts eines kommerziell erhältlichen Silos mit derart angereicherten und detaillierten Daten, haben auch die Regierungen dieser Welt ihre Geldbeutel geöffnet, um diese Informationen über quasi jedermann einzukaufen, anstatt sie sich mit Hackermethoden oder über geheime Gerichtsbeschlüsse zu erarbeiten. ... Nachdem es ein Datenset aus Russland gekauft hatte, bemerkte ein Team, dass sie damit Telefone in der Entourage des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin tracken konnten. Die Handys bewegten sich überall dorthin, wo sich auch Putin hinbewegte. Sie schlossen, dass die fraglichen Geräte nicht Putin selbst gehörten; die russische Staatssicherheit und die Spionageabwehr waren klüger als das. Stattdessen gingen sie davon aus, dass sie Putins Fahrern, seinem Sicherheitspersonal, politischen Weggefährten und anderem Personal rund um den russischen Präsidenten gehörten. Die Handys dieser Leute waren über Werbedaten verfolgbar." Doch "nichts davon ist nur eine abstrakte Sorge", denn "die Chancen liegen gut, dass es auch über Ihre Bewegungsmuster ein detailliertes Log gibt, das abgesaugt und in einer Datenbank hinterlegt ist, auf die zehntausende Fremde Zugriff haben. Darunter Geheimdienste. Darunter ausländische Regierungen. Darunter Privatdetektive. Darunter sogar schnüffelnde Journalisten."

Außerdem: Lauren Goode spricht mit Jensen Huang, dem Geschäftsführer des Chipherstellers Nvidia, der die KI-Revolution mit seiner Rechenpower maßgeblich befeuert. Der russische Journalist Vadim Smyslov erzählt von seinem einjährigen Exil nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, von seiner Rückkehr nach Hause - und seinem erneuten Weg ins Exil. Hemal Jhaveri porträtiert den Schauspieler Javier Bardem, der aktuell in "Dune: Teil 2" (unsere Kritik) zu sehen ist.

Magazinrundschau vom 30.01.2024 - Wired

Ein neuer Space Race ist längst im Gange - auch wenn es diesmal nicht um den Mond, sondern nur um einen Bereich unmittelbar vor unserer Haustüre geht: Knapp 9000 Satelliten befinden sich derzeit im niedrigen Orbit um die Erde, etwa 30 Prozent davon starteten alleine im letzten Jahr, berichtet Khari Johnson - und Elon Musk, dem via Starlink knapp 50 Prozent all dieser Satelliten gehören, ist auf dem besten Weg, ein Monopol zu errichten, während Amazon mit vergleichbaren Projekten bereits mit den Hufen scharrt. Dabei legte der 1967 von 20 Nationen - darunter die USA und die UdSSR unterzeichnete - Weltraumvertrag einst fest, dass das All der gesamten Menschheit gehöre und nur zum Vorteil aller Menschen genutzt werden dürfe. Das Nachsehen haben heutige Schwellenländer, für die es immer drängender wird, sich einen Platz am Himmel zu sichern. "Nach Ansicht von immer mehr Anwälten, Akademikern und Funkionären auf der ganzen Welt ähnelt diese zunehmende Dominanz im Orbit etwas, was man nur zu gut kennt: einer kolonialen Landnahme. Manche Wissenschaftler mutmaßen gar, dass damit der Weltraumvertrag verletzt werde. Nur einer von vielen Gründen, warum einige Akteure im globalen Süden sich für die orbitale Zukunft rüsten, indem sie sich nicht nur anstrengen, Satelliten zu starten, sondern auch, indem sie ihre Kompetenzen im Bereich des Weltall-Rechts ausbauen." Denn "mit jedem Schwung von 50 Starlink-Satelliten, die SpaceX ins All bringt, und mit jeder neuen Nation und jedem neuen kommerziellen Akteur, der seinen Claim im Orbit absteckt, erscheinen tatsächliche juristische Auseinandersetzungen unvermeidbarer - und was hier auf dem Spiel steht, könnte sehr schnell sehr kostenempfindlich werden. Man bedenke ja bloß, dass neben den tausenden Satelliten im niedrigen Erdorbit mehr als eine Million Stücke Weltraummüll mit Geschwindigkeiten von 17500 Meilen pro Stunde herumfliegen."

Magazinrundschau vom 12.12.2023 - Wired

Laura Kipnis porträtiert den TV-Autor Joe Weisberg, dessen Serie "The Americans" (2013-2018) gerade einen neuen Popularitätsschub erfährt und der vor kurzem mit der Miniserie "The Patient" einen weiteren Erfolg feierte. "Irgendwas an diesen Serien treibt mich um, und das nicht nur weil sie sich anfühlen wie Fallstudien in amerikanischer Paranoia", schreibt Kipnis dazu. "The Americans" etwa handelt von einem Ehepaar im Kalten Krieg, bei dem es sich in Wahrheit um Spionage-Schläfer der Sowjetunion handelt. "In einer Zeit, in der die meisten Fernsehserien sich auf moralische Federpflege spezialisieren (...) wringen einen Weisbergs Serien einen geradzu psychologisch und spirituell aus. Sie wollen ihr Publikum stolpern lassen." Das Besondere an Weisberg: Er war zuvor ein paar Jahre lang CIA-Mitarbeiter - und entschied sich für diesen Weg einst aufgrund einer tiefempfundenen Abscheu gegenüber der Sowjetunion, wie sie in den Achtzigern unter den Eindrücken des Kalten Kriegs zentraler Bestandteil der us-amerikanischen Kultur gewesen ist. "Es war erst eine Psychotherapie, die Weisberg dazu befähigt hat, Figuren mit einem komplexen Innenleben zu schreiben - das sei ihm nicht gelungen ehe er begriffen hatte, dass er selber ein solches habe, sagt er. Das bedeutete auch, dass er sich damit auseinandersetzen musste, welche falschen Fronten er in seinem Leben aufgebaut hat und wie viel er vor sich selbst verstecken musste. Er begann darüber nachzudenken, dass seine kindliche Identifikation mit den unterdrückten Bürgern der Sowjetunion ein Weg gewesen ist, seinen Zorn über Repression in seiner eigenen Familie zu externalisieren. Von klein auf war ihm beigebracht worden, negative Gefühle nicht zuzulassen. Er konnte sich mit seinen Eltern nicht anlegen, aber er konnte daran mittun, die Sowjet-Führerschaft zu Fall zu bringen, die die freie Meinungsäußerung ihrer Bevölkerung unterdrückte. Anders ausgedrückt: Einen Feind auszumachen, half ihm dabei, sich mit seiner eigenen dunklen Seite nicht auseinandersetzen zu müssen." Mittlerweile schlägt diese Obsession freilich in ihr Gegenteil um, erfahren wir außerdem: In seinem "memoir-artigem Buch 'Russia Upside Down: An Exit Strategy for the Second Cold War' aus dem Jahr 2021 behauptet Weisberg, dass er (und wir) die Sowjets fundamental falsch verstanden hätten: Der KGB sei bemerkenswert unkorrupt gewesen, die Bolschewiken hätten Pogromen ein Ende bereitet und die Sowjets dem Holocaust Einhalt geboten, als sie die Wehrmacht in Osteuropa zurückgeschlagen hatten. ... Diese vielen Verkehrungen ins Gegenteil und Bilanzkorrekturen gestalten die Lektüre sonderbar, als würde man jemanden dabei beobachten, wir er mit seinen eigenen Überzeugungen in den Boxring steigt und sich dabei ständig selbst ins Gesicht schlägt."

Magazinrundschau vom 05.09.2023 - Wired

In den meisten aktuellen Diskussionen nimmt KI den Status des absolut Bösen ein. Dass KI aber auch ein Werkzeug sein kann, um die Welt zu verbessern, gerät dabei rasch aus dem Sinn. Camille Bromley wirft einen Blick auf Experimente, die es gestatten sollen, die Sprache von Walen besser zu verstehen. Die Walforscherin Michelle Fournet arbeitet genau daran. "Sie hat ihren Katalog an Buckelwal-Rufen dem Earth Species Project zur Verfügung gestellt, einer Gruppe von Technologen und Ingenieuren, die daran arbeiten, mithilfe von KI ein künstliches 'Whup' [die typische Begrüßungsfloskel von Buckelwalen] zu erstellen. Und sie beabsichtigen nicht nur, die Stimme eines Buckelwals zu emulieren. Die Mission der Non-Profit-Organisation besteht darin, menschliche Ohren für das Geplauder des gesamten Tierreichs zu öffnen. In 30 Jahren, behaupten sie, kommen Naturdokus auch ohne einlullende Voiceovers im Stil von Richard Attenborough aus. Die Gespräche der Tiere werden einfach Untertitel haben. Und so wie die Ingenieure heute kein Mandarin oder Türkisch mehr können müssen, um einen Chatbot für diese Sprachen zu erstellen, werde es künftig auch möglich sein, einen Bot zu programmieren, der Buckelwalisch spricht - oder Kolibrinisch, Fledermausisch und Bienesisch. Die Idee, die Kommunikation der Tiere zu dechiffrieren ist kühn, vielleicht auch unglaublich, aber eine Zeit der Krise bedarf kühner und unglaublicher Maßnahmen. Überall wo Menschen sind, also wirklich überall, verschwinden die Tiere. Die Wildtierpopulation ist im Schnitt in den letzten 50 Jahren um 70 Prozent gesunken. ... Aza Raskin, ein Mitbegründer von Earth Species Project, ist der Überzeugung, dass die Möglichkeit, Tiere zu belauschen, einen Paradigmenwechsel nach sich ziehen wird, der nichts geringerem als der Kopernikanischen Wende gleichkommt. 'KI ist die Erfindung der modernen Optik', sagt er mit spürbarem Vergnügen. Was er damit meint: So wie die Astronomie des 17. Jahrhunderts mit verbesserten Teleskopen neuentdeckte Sterne wahrnehmen konnte und die Erde ein für allemal aus dem Zentrum des Universums rückte, wird auch KI die Wissenschaft dabei unterstützen, mehr zu hören als die Ohren es ihnen gestatten: dass Tiere sinnhaft sprechen und dies auf mehr Arten als wir es uns vorstellen können. Dass ihre Fähigkeiten und ihre Leben nicht unter unseren stehen. 'Dieses Mal werden wir hinaus ins Universum blicken und feststellen, dass die Menschheit nicht in seinem Zentrum steht', sagt Raskin."

Hier hören wir das Whup eines Buckelwals. Ob es sich um ein formelles "Guten Tag" oder um ein joviales "Servus" handelt, muss die Wissenschaft noch klären.

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Magazinrundschau vom 29.08.2023 - Wired

Eine Epidemie ist im vollen Gange, aber kaum jemand sieht sie - buchstäblich: Die Rede ist von Kurzsichtigkeit, die in den letzten Jahrzehnten in den Industrienationen dramatisch zugenommen hat, und einige Betroffene sogar erblinden lässt. Liegt's am hohen Smartphone-Gebrauch oder schlicht an der Genetik? Nein, das sind populäre Mythen - es liegt vor allem am Dopamin-Mangel, der alle Gesellschaften trifft, deren Leben sich immer mehr in geschlossenen Räumen abspielt, erfahren wir in Amit Katwalas Reportage. Insbesondere in Asien, wo ein rigides Erziehungssystem die Kinder jahrelang von früh bis spät büffeln lässt, grassiert die Kurzsichtigkeit unter Minderjährigen. Eine zentrale Rolle bei dieser Beobachtung und für die Gegenmaßnahmen nimmt dabei der Forscher und Arzt Pei-Chang Wu ein: Er "überzeugte den Direktor der Schule seines Sohnes Maßnahmen zu ergreifen und die Kinder pro Tag sechsmal nach draußen zu scheuchen, was zu sechseinhalb Stunden mehr Aufenthalt im Freien pro Woche führte. Als Wu zu Beginn des Programms im Februar 2009 Messungen vornahm, lag die Häufigkeit von Kurzsichtigkeit unter den Sieben- bis Elfjährigen an der Schule seines Sohnes und an jener Schule, die er zur Kontrolle hinzugenommen hatte, bei 48 Prozent. Ein Jahr später wurden an der Kontrollschule doppelt so viele neue Fälle von Kurzsichtigkeit registriert wie an der Schule seines Sohnes. ... Die Ergebnisse des in Taiwan infolge installierten Tian-Tian-120-Programms waren sofort zu sehen und beeindruckend. Nach Jahren eines Aufwärtstrends erlebte die Häufigkeit von Kurzsichtigkeit an taiwanesischen Grundschulen 2011 eine Spitze von 50 Prozent. Danach senkte sie sich. Binnen weniger Jahre lag sie bei 46,1 Prozent. ... Dem Internationalen Myopie-Institut zufolge werden 2050 zehn Prozent der Bevölkerung extrem kurzsichtig sein. Wiederum 70 Prozent von diesen werden pathologische Kurzsichtigkeit haben, die zu Blindheit führen kann. Wir sprechen hier von bis zu 680 Millionen Menschen, die vom Verlust der Sehkraft oder Blindheit betroffen sind, mit katastrophalen Folgen für Volkswirtschaften und Gesundheitssysteme."

Magazinrundschau vom 22.08.2023 - Wired

Mit der kometenhaften Entwicklung der Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz in den letzten Monaten ist auch der gute alte Turing-Test Geschichte, schreibt Ben Ash Blum (was der Turing-Test ist, erklärt Wikipedia in aller Kürze sehr gut). Wäre es daher nicht langsam Zeit, Künstlicher Intelligenz Subjektstatus zuzugestehen? Von dämonisierender "Entmenschlichung" der Maschinen-Intelligenz hält Blum jedenfalls nichts - und Alan Turing wäre wohl auf seiner Seite, meint er. Denn "KIs zu entmenschlichen, amputiert uns von unseren mächtigsten kognitiven Werkzeugen, um über KIs nachzudenken und sicher mit ihnen zu interagieren. ... Schmähbegriffe wie 'stochastische Papageien' bestätigen zwar unser Selbstbild, wie einzigartig und überlegen wir sind. Aber sie zerstören auch unsere Fähigkeit, zu staunen und ersparen es uns, schwerwiegende Fragen nach der Subjektivität in Maschinen und in uns selbst zu stellen. Alles in allem sind ja auch wir stochastische Papageien, die auf komplexe Weise all das remixen, was wir von unseren Eltern, unseren Freunden und Lehrern gelernt haben. Auch wir sind verschwommene JPEGs aus dem Netz, die auf nebulöse Weise Wikipedia-Fakten in unsere Abschlussarbeiten und Magazinartikel erbrechen. Wenn Turing in einem Fenster mit ChatGPT plaudern würde und in einem anderen mit mir an einem durchschnittlichen Morgen vor dem ersten Kaffee, wäre ich dann gar so selbstsicher, wen von uns beiden er eher als vernunftbegabt einschätzen würde?"

Magazinrundschau vom 27.06.2023 - Wired

Im Juli kommt Christopher Nolans Film "Oppenheimer" in die Kinos: Der neue Film des Blockbuster-Autorenfilmers - natürlich gedreht im großen Imax-Format - verspricht eine düstere Reise in die zerrissene innere Welt des Atombomben-Erfinders Robert Oppenheimer, der seinerzeit nicht ganz genau vorhersagen konnte, ob eine Atombombe womöglich die gesamte Atmosphäre des Planeten in Flammen setzen oder ob ihre Wirkung beschränkt bleiben würde. Dieser Film kommt genau zur richtigen Zeit, findet Maria Streshinsky - nicht nur, weil Russlands Angriff auf die Ukraine die längst eingemottet geglaubte Angst vor einem atomaren Krieg wieder aktuell gemacht hat, sondern auch weil der Siegeszug Künstlicher Intelligenz  düsterste Fantasien befügelt. Der Regisseur gibt sich im Gespräch mit Streshinsky allerdings gelassen: "Wenn wie die Ansicht stützen, dass KI allmächtig ist, dann stützen wir die Ansicht, dass sie Leute ihrer Verantwortung für ihr Handeln entheben kann - militärisch, sozioökonomisch, wie auch immer. Die größte Gefahr, die von KI ausgeht, ist die, dass wir ihr diese gottähnlichen Eigenschaften andichten und uns selber damit ziehen lassen. Ich weiß nicht, was die mythologische Grundlage dafür ist, aber in der ganzen Menschheitsgeschichte zeigt sich diese Neigung, falsche Idole zu schaffen, etwas nach unserem eigenen Bild zu schaffen und dann zu behaupten, wir haben gottähnliche Macht, weil wir das getan haben."

Magazinrundschau vom 04.04.2023 - Wired

Computer sind digital. Denkt zumindest der Laie. Die Frühgeschichte der Computerei griff allerdings auf Analogtechnik zurück. Und diese könnte ein Comeback erfahren, wie Charles Platt zunächst sehr ungläubig feststellen muss. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein nostalgisches Revival unter verschrobenen Hobbyraum-Nerds mit Lötkolben, sondern um ernstzunehmende Forschungsprojekte: Start-Ups im Silicon Valley, aber auch IT-Platzhirsche wie IBM erforschen gerade die Möglichkeiten analoger, zeitgenössischer Computerei und machen auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte. Aber warum zum Teufel interessieren sich all diese Player wieder für eine an sich doch obsolete Technologie? "Weil sie so wenig Energie verbraucht", verrät der Computerhistoriker Lyle Bickley Platt. Er "erklärte mir, dass der Prozess, wenn, sagen wir, mit roher Kraft vorgehende, auf natürlichen Sprachen basierende K.I.-Systeme Millionen von Wörtern aus dem Internet destillieren, extrem energieintensiv ist. Das menschliche Gehirn läuft mit einer kleinen Menge Elektrizität, sagt er. Etwa 20 Watt (soviel wie eine Glühbirne). 'Aber wenn wir dasselbe mit digitalen Computern versuchen, reden wir von Megawatt.' Für eine Anwendung dieser Art, ist Digital 'einfach nicht funktionabel. Es ist einfach nicht klug, das so zu machen.'" Mike Henry vom Start-Up Mythic führt das weiter aus und spricht von dem "gehirn-artigen neuralen Netzwerk, das GPT-3 speist. 'Das hat 175 Milliarden Synapsen', erzählt Henry und vergleicht dabei die Prozesselemente mit den Verbindungen zwischen Neuronen im Gehirn. 'Jedes Mal, wenn Du das Modell laufen lässt, um eine bestimmte Sache zu machen, musst Du 175 Milliarden Werte laden. Richtig große Datencenter-Systeme können da fast nicht mehr mithalten.' ... Was die Geschäftstauglichkeit betrifft, wird der entscheidende Faktor die Rentabilität sein. Mit Künstlicher Intelligenz wird sich in Zukunft sehr viel Geld verdienen - und mit smarten Medizinmolekulen, agilen Robotern und mit einem Dutzend weiterer Anwendungen, die die schwammige Komplexität der physischen Welt modellieren. Wenn Energieverbrauch und Wärme-Abstrahlung wirklich teure Probleme werden und es günstiger wird, eine gewisse digitale Last auf miniaturisierte Analog-Ko-Prozessoren zu verlagern, dann wird es auch niemanden mehr jucken, dass analoge Computerei früher einmal von deinem mathe-besessenen Opa auf einer großen Stahlbox mit Vakuumröhren betrieben wurde."

Magazinrundschau vom 07.03.2023 - Wired

Der Umstieg vom Verbrennermotor zum elektronischen Antrieb kommt mit seinen eigenen ökologischen Kosten, schreibt Vince Beiser. Überall werden Metalle gesucht, um die Akkus zu produzieren: "Benötigt werden atemberaubende Mengen natürlicher Ressourcen. Um ausreichend elektrische Fahrzeuge zu produzieren, um ihre fossile Stoffe verbrennenden Gegenstücke zu ersetzen, braucht es Milliarden Tonnen von Kobalt, Lithium, Kupfer und andere Metalle. Um diesen explodierenden Bedarf abzudecken, durchforsten Bergbaufirmen, Autohersteller und Regierungen den Planeten nach potenziellen Minen oder bauen bereits bestehende aus - von den Wüsten in Chile bis zu den Regenwäldern Indonesiens. Die möglicherweise reichhaltigste Quelle von allen - der Ozeanboden - bleibt indessen unerschlossen. Der Geologische Dienst der USA schätzt, dass in einer einzigen Region des Pazifiks 21 Milliarden Tonnen polymetallischer Knoten liegen und damit mehr Metalle (wie Nickel und Kobalt) als in allen anderen Vorräten auf dem Festland." Der Abbau ist derzeit noch untersagt, doch The Metals Company ist drauf und dran, das internationale Gesetz zu beugen, wenn nicht zu brechen - und will 2024 mit dem Abbau beginnen: "Dieser Ausblick führte zu einem Aufschrei des Entsetzens. Umweltschutzorganisationen, Wissenschaftler und sogar einige Unternehmen, die im Markt für Batterie-Metalle auftreten, fürchten die potenziell verheerenden Folgen, die ein Abbau am Meeresboden nach sich ziehen könnte. Die Ozeane beherbergen einen großen Teil der Biodiversität der Welt, steuern einen ansehnlichen Brocken zur Ernährung der Menschheit bei und sind zugleich einer der größten Kohlendioxidspeicher der Welt. Keiner kann absehen, wie sich ein solch beispielloser Eingriff auf die vielen Lebensformen auswirken würde, die in der Tiefsee leben, aber auch auf das Leben im Meer weiter oben oder auf den Ozean selbst. Das Europäische Parlament und Länder wie Deutschland, Chile, Spanien und viele Inselnationen im Pazifik haben sich Dutzenden Organisationen angeschlossen, um sich zumindest für einen zeitweises Moratorium über den Tiefsee-Bergbau auszusprechen. Firmen wie BMW, Microsoft, Google, Volovo und Volkswagen haben sich dazu verpflichtet, keine Tiefsee-Metalle zu kaufen, solange deren Umwelteinfluss nicht besser durchdrungen werden."

Magazinrundschau vom 28.02.2023 - Wired

Wikipedia in allen Ehren, aber die ältere crowdgesourcte Wissensdatenbank im Netz ist eindeutig die Internet Moviedatabase - kurz IMDb -, das für Filmfans unverzichtbare Online-Filmlexikon, dessen schier unfassbare Informationshöhe und -dichte seit den frühen Neunzigern auf der Arbeit von Abermillionen von Beiträgern aufbaut. Dies ist vor allem das Verdienst von "Supercontributors", die im hohen sechs- bis siebenstelligen Bereich Wissen (von simplen Credits bis zu ausformulierten Biografien) zur Verfügung gestellt haben. Einige von ihnen stellt Stephen Lurie in seiner Reportage vor - darunter etwa den Filmnerd, der in den Sechzigern Tonnen von Hollywood-Pressemappen gesammelt und diese im hohen Alter für die IMDb ausgewertet hat. Die jüngste Generation wählt aber längst andere Mittel, um auf einen der begehrten "Top-Contributor"-Plätze zu gelangen: Eine Userin namens Ines Pape macht ihn mit ihren 22 Millionen Updates ziemlich stutzig: "Supercontributors mögen in die Hall of Fame vorstoßen, indem sie Prosa schreiben, aber um an die Spitze zu gelangen, muss man programmieren können. Zwar sind mir Ines Papes Methoden nicht bekannt, aber der Topcontributor des letzten Jahres hat mir erzählt, wie er das geschafft hat." Und zwar "schrieb Simon Lyngar Programme, um von den Schnittstellen von Spotify und norwegischen Rundfunkanstalten Daten zu ziehen, und zwar insbesondere Podcast-Daten, um sie zur IMDb beizusteuern. Heute, erzählt er, 'kann ich mein Programm am Morgen starten, es macht alles auf eigene Faust. Wenn ich von der Universität nach Hause komme, habe ich 100.000 weitere Aktualisierungen unter meinem Namen beigesteuert.' Einige der Contributors, die in den Foren der Website solche Automatisierungen diskutieren, sehen das gar nicht. Für sie handelt es sich dabei um eine Schummelmethode, um nach vorne zu kommen. ... IMDb selbst schürft als Firma derzeit noch keine Informationen auf diese Idee, aber man kann sich kaum vorstellen, dass eine Amazon-Tochter solche Werkzeuge liegen lässt, wenn sie ihren Wert unter Beweis gestellt haben."