Mord und Ratschlag

Agenten in Israel

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
06.09.2002. Agenten in Israel: In Franco Mimmis historischem Krimi "Unser Agent in Judäa" versucht Roms Geheimdienstchef, einen Sektenführer namens Jesus zu manipulieren. Uri Adelman provoziert in seinem Krimi "Gleichung mit einem Unbekannten" mit der Idee, dass Demokratie einen Geheimdienst braucht.
"Anhänger judaisierender Sekten" habe Kaiser Tiberius aus Rom gewiesen, schreibt der römische Historiker Gaius Suetonius Tranquillus (Sueton, um 70 bis 120 n. Chr.). Fromme Gelehrte wollten glauben, damit seien schon die Christen gemeint. Es ist aber zu früh. Tiberius starb im Jahr 31, nach heutigem Stand eher zwei Jahre vor als ein Jahr nach Jesus. Dass Jesus zu Lebzeiten in Rom bekannt war oder gar Anhänger in wahrnehmbarer Zahl hatte, ist äußerst unwahrscheinlich.

Das weiß auch Franco Mimmi, der nicht nur seinen Sueton, sondern auch die anderen einschlägigen römischen und jüdischen Historiker, die Bibel und, was Herrschaftstechnik betrifft, den Macchiavelli gelesen hat. Für seinen Roman "Unser Agent in Judäa" treibt er jedoch ein Spiel, dessen technische Grundlage die Ratlosigkeit des Pontius Pilatus ist. Der Präfekt verzweifelt fast an seiner Provinz Judäa, die er für die schwierigste des ganzen römischen Reichs hält. Ständig hat er mit religiös motivierten, teils messianischen Aufständischen zu kämpfen. Die militanten Juden wollen die Besatzer und ihren Kaisergott loswerden, dessen Divinität die religiös toleranten Römer doch selbst nicht so ernst nehmen. Bei ihnen darf jeder glauben, was er will. Pilatus lässt viele Rebellen kreuzigen, aber immer neue kommen nach. Da fällt seinem Geheimdienstchef, dem schlauen, gebildeten Griechen Afranius, ein gewisser Jesus auf, der im Unterschied zu Zeloten, Essenern und anderen Radikalen Frieden und Sanftmut predigt sowie die tröstende Aussicht auf ein besseres Leben nach dem Tod. Afranius erkennt, dass diese Lehre, nun ja, das Opium fürs Volk sein kann, das der Staat so dringend braucht, und überzeugt Pilatus: Der Geheimdienst muss Jesus fördern und vor seinen gewaltbereiten Landsleuten schützen, und zwar ohne dass er es merkt. Pilatus informiert Tiberius, der traut ihm nicht und schickt ihm zur Überwachung seinen Vertrauten Aduncus auf den Hals, ebenfalls einen erfahrenen Geheimdienstler. Die Ereignisse eskalieren.

Der historische Roman hat einen schlechten Ruf. Schon grundsätzlich ist es problematisch, wirklichen Menschen erfundene Äußerungen und Gedanken anzudichten. Im Einzelnen kommen oft Naivität oder verkrampfter Witz hinzu: Die Romanfiguren haben Ideen und folgen Handlungsmustern, die zu ihrer Zeit gar nicht in der Welt waren, sondern die der Autor aus der seinigen an sie heranträgt. Franco Mimmi vermeidet diese Fehler, indem er die Flucht nach vorn antritt: Er tut erst gar nicht so, als würden seine Juden, Griechen und Römer reden wie vor 2000 Jahren, sondern gibt ihnen eine manchmal geradezu jargonhaft heutige Sprache ("Die Sadduzäer waren die privilegierte Klasse und hatten als solche das größte Interesse an Ausgleich und Stabilität"). Mimmi lässt die genretypische schlechte Imitation des Vergangenen weg, übrig bleibt das, was uns an Jesus und Pilatus tatsächlich nahe ist. Jesus war ein Prediger unter Tausenden, der Vordere Orient quoll über von hysterischen Sekten; Mimmi erklärt, warum diese eine sich durchgesetzt hat. Auch Pilatus ahnt, dass sein Geheimdienst, indem er den scheinbar richtigen Mann gekonnt unterstützt hat, auf lange Sicht einen furchtbaren Fehler begangen hat. Das Debakel für die heidnische Welt und ihre Staaten hätte nicht größer sein können.


Von Fehlern eines Geheimdiensts handelt auch Uri Adelmans Roman "Gleichung mit einem Unbekannten". Das Geschehen reicht zurück bis 1974. Damals, zwei Jahre nach dem Massaker während der Olympischen Spiele in München und ein Jahr nach dem Jom-Kippur-Krieg, sollen drei Mossad-Agenten in Detroit den syrischen Terroristen Antoine Chamissi töten. Der entkommt aber, erschossen werden sein Leibwächter und ein paar Tage später der Mossad-Mann Jiftach Herz. Amos Sadeh, das zweite Mitglied des Kommandos, wird entlassen, wer das dritte war, erfährt der Leser zunächst nicht. Alles wird vertuscht, bis in den neunziger Jahren Sadehs Sohn Juval verschwindet. Sein Bruder Gil, als junger Juradozent in New York tätig, fliegt nach Israel zurück und recherchiert. War es Unfähigkeit, die zu der Katastrophe von 1974 führte, oder war es Verrat? Die damals über Leichen gingen, sind jedenfalls immer noch dazu bereit.

Der 1958 geborene, unter anderem als Krimilektor tätige Adelman ist ein Könner. Sein Roman wird gerade verfilmt, und so liest er sich auch: Szenen und Erzählperspektiven wechseln, wie es der Spannung dient; die rasanten Dialoge werden nicht durch lange innere Monologe verschleppt; Rätsel, Gewalt, Liebe und Satire tariert Adelman effektvoll aus. Unverhüllt und erfolgreich ist der Roman auf Wirkung berechnet.

Das sind so die Sachen, die ein Schriftsteller bewusst macht. Man kann "Gleichung mit einem Unbekannten" aber versuchsweise auch als historische Quelle lesen. Dann wäre vielleicht gerade das Wichtigste dem Autor so selbstverständlich, dass er gar nicht mehr daran gedacht hätte, es hinzuschreiben. Unexpliziert erschiene Israel als unvollkommene, sympathische Demokratie, die von derart widerlichen Feinden umgeben ist, dass auch die Linke niemals Lust hatte, systemkritisch zu sein. Gil Sadeh stört es überhaupt nicht, dass sein Vater einer Organisation angehört hat, die ausländische Staatsbürger außergerichtlich hinrichtet; schlimm fände er nur, wenn der Alte dabei versagt hätte. Es gibt keine weltanschaulichen Generationenkonflikte, die Familien halten zusammen. Niemand will effeminierte Männer. Eine Einrichtung wie der "Raum des Gedenkens" im "Pantheon für die Gefallenen der Nachrichtendienste" wäre in Deutschland undenkbar. Das, mit allen Gründen und Implikationen, ist die Geschichte, ist der Unterschied.


Franco Mimmi: "Unser Agent in Judäa". Roman. Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2002, 395 Seiten, Taschenbuch, 8,50 Euro

Uri Adelman: "Gleichung mit einem Unbekannten". Roman. Aus dem Hebräischen von Marcus Lemke. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002, 425 Seiten, gebunden, 22,00 Euro
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