9punkt - Die Debattenrundschau
Wie Schnee in der Sonne
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Europa
So ganz lässt sich die These vom intakten britischen Parteiensystem aber nicht aufrechterhalten, zumindest nicht in Schottland, wo Labour seine einstige Vormachtstellung verlieren wird, schreibt Jamie Maxwell in politico.eu: "Den Umfragen zufolge ist Labour auf dem besten Weg, sechs seiner sieben schottischen Sitze... am Donnerstag an die Scottish National Party (SNP) zu verlieren - was den virtuellen Zusammenbruch einer politischen Organisation markiert, von der einst gesagt wurde, dass man ihre schottischen Stimmzettel eher wiegen als zählen sollte."
"Was ist mit Präsident Macron passiert?", fragt unterdessen die ukrainische Journalistin Anastasia Rodion in der taz, aus Anlass eines Ukraine-Gipfels mit Wladimir Putin, Wolodymyr Selenski, Angela Merkel und Macron: "Anfangs ließ er noch Vertreter russischer propagandistischer Fernsehsender aus seinen Pressekonferenzen entfernen. Jetzt redet er offen über die Notwendigkeit der Wiederherstellung der strategischen Partnerschaft mit Russland, über den 'Glauben an Europa von Lissabon bis Wladiwostok' sowie den Hirntod der Nato. In der Ukraine begreifen die Menschen, dass die Unterstützung Frankreichs wie Schnee in der Sonne schmilzt."
Dass derzeit die Waffen in der Ukraine schweigen, ist natürlich gut. Dennoch stimmt der Pariser Gipfel zum Ukraine-Konflikt auch Maxim Kireev auf Zeit online zeigt wenig optimistisch. Denn das Minsker Abkommen wurde nicht angetastet: "Das Minsker Papier, unterzeichnet im Februar 2015, war für die damalige Führung der Ukraine eine Art Rettungsanker, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Es sieht für die abtrünnigen Gebiete im Osten nicht nur eine weitläufige Autonomie innerhalb der Ukraine vor. Unter Punkt neun steht zudem, dass die Regierung in Kiew militärische Kontrolle über die abtrünnigen Gebiete samt der alten Grenze zu Russland erst dann erhalten würde, wenn dort Regionalwahlen stattgefunden haben. Das würde bedeuten, dass diese nach russischen Spielregeln abgehalten würden. ... Mit der Umsetzung des Minsker Abkommens kann Russland die abtrünnigen Teile der Ostukraine als eine Art Stachel fest im ukrainischen Fleisch verankern."
Geschichte
Anders als andere Historikerkollegen wie Christopher Clark, der im Hohenzollern-Streit ein Gutachten im Auftrag der Hohenzollern schrieb, erkennt Richard Evans in der FAZ sehr wohl ein Wirken der Hohenzollern pro Hitler, manifestiert vor allem im "Tag von Potsdam", dem Staatsakt in der Garnisonkirche, der am 21. März 1933 das Bündnis der alten Eliten mit den Nazis besiegelte: "Dass die Unterstützung der Nazis durch die Hohenzollern auf einer Illusion basierte, nämlich der Vorstellung, Hitler werde deren Restauration erleichtern, taugt nicht als Argument. Auch die bekannte Unbeliebtheit des Kronprinzen in der Öffentlichkeit ist in diesem Kontext nicht sonderlich bedeutsam. Was zählte, war die Symbolik des Tags von Potsdam und die Beteiligung mehrerer Mitglieder der Hohenzollern-Familie an dieser Feier."
Medien
Internet
Der Webtheoretiker und -Aktivist Ethan Zuckerman macht sich in der Columbia Journalism Review unterdessen Gedanken über die Frage, ob sich die Idee des offenen Internets auch auf soziale Medien übertragen lässt. Sein Modell für ein "public service"-Angebot wäre die Wikipedia, die immerhin gezeigt hat, dass ein kollektiver Aufbau eines gesicherten Wissens möglich ist: "Ein gemeinnütziges Web erlaubt uns, Dienste zu imaginieren, die es jetzt nicht gibt, weil sie nicht kommerziell tragfähig sind, die aber womöglich zu unserem Nutzen, zum Nutzen der Bürger in einer Demokratie, existieren sollten. Wir haben eine Welle von Innovationen bei Tools gesehen, die uns unterhalten sollen, aber sehr viel weniger Innovation um Tools, die uns erziehen und unseren Wirkungskreis erweitern oder die marginalisierte Stimmen verstärken."
Statt von einer Zerschlagung Googles zu träumen, sollte Europa lieber eine eigene Suchmaschine bauen, meint Adrian Lobe in der Welt. Wie die aussehen soll in einer Gesellschaft, die lieber über das redet, was sie nicht zu finden wünscht, als über neue Möglichkeiten, die sich eröffnen, sagt Lobe nicht. Man versteht auch nicht, wer diese Suchmaschine bauen soll: die Staaten? Abgesehen davon, dass die Idee einer staatlich kontrollierten Suche doch eher nach Russland oder China klingt, hat das bis jetzt ja auch nicht geklappt: "2006 versuchten Deutschland und Frankreich mit dem gemeinsamen Suchmaschinenprojekt Quaero eine Konkurrenz zu Google aufzubauen. Quaero hätte eine europäische Antwort auf Google sein sollen, ein binationaler Champion nach dem Vorbild von Airbus. Doch das Projekt, das von Frankreichs damaligem Staatspräsidenten Jacques Chirac angetrieben wurde, scheiterte an der Finanzierung - und daran, dass Deutschland mit der Suchmaschine Theseus einen nationalen Alleingang wagte. Es wäre interessant gewesen zu beobachten, wie sich eine Euro-Suchmaschine gegenüber der US-Konkurrenz entwickelt hätte."