9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2024

Was sind das für Menschen?

17.05.2024. In der NZZ wirft der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg dem Westen und insbesondere Deutschland vor, Auschwitz als seine Offenbarung zu betrachten. Ebenfalls in der NZZ fordert der Ökonom Amos Michael Friedländer eine asiatische Nato. Im taz-Gespräch erzählt Amir Kazemi, Cousin des im Iran hingerichteten Majid Kazemi, wie die Familie noch auf der Beerdigung verhöhnt wurde. Zeit Online fragt die progressive Linke, wieso sie nicht auch für die Opfer autokratischen Machthaber im Globalen Süden auf die Straße geht.

Willkommenes Alibi

16.05.2024. Jüdische Intellektuelle wie Judith Butler wollen sich durch ihre Israelkritik bei ihren Mitstreitern beliebt machen - die werden sich ihrer allerdings entledigen, sobald das Ziel erreicht ist, schreibt Michael Wolffsohn in der NZZ. Jungle World schaut sich an, wie ausgerechnet Jean Améry von Israelkritikern als Kronzeuge missbraucht wird. In der FAZ hält der Historiker Bernd Greiner nichts von den erneuten Diskussionen über "Abschreckung". In der Zeit streiten die HU-Professorin Manuela Bojadzijev und der bayrische Wissenschaftsminister Markus Blume über den Dozentenaufruf.

Tiefe exegetische Abgründe

15.05.2024. Das Vorgehen des Berliner Senats gegen den Protest an der FU ist "geschichtsblind", meint der Rechtswissenschaftler Nils Jansen in der FAZ: Bei der Deutung verschiedener Geschichtsbilder gibt es kein Wahr und kein Falsch. In der Jüdischen Allgemeinen fordert Ahmad Mansour, die Leitungen der von den antiisraelischen Protesten betroffenen Universitäten müssen ihr Amt niederlegen. Ebenda wirft Mirna Funk dem deutschen Staat vor, die Juden nicht ausreichend zu schützen. In der Berliner Zeitung fragt die schwarze Queerfeministin Michaela Dudley ihre Community: Wo bleibt die Solidarität mit Israelinnen?

Röntgen schon länger

14.05.2024. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie empört sich über die Verurteilung der Dozenten, die ein Camp antiisraelischer Studenten auf dem Campus der FU Berlin als Beitrag zur Meinungsfreiheit verstanden wissen wollten. Die FAZ fragt: Könnten wir auch mal über die Gedanken hinter dieser Meinung reden? In der FR fragt Wolfgang Kraushaar, welche Folgen unsere Staatsräson eigentlich hätte, würde der Iran Israel ernsthaft angreifen. Auf ZeitOnline glaubt der Philosoph Dag Nikolaus Hasse weder an ein jüdisch-christliches noch an ein von einer bestimmten Kultur geprägtes Europa: Er setzt auf Vielvölkerstädte.

Derartige Triggerthemen

13.05.2024. Die antiisraelischen Studenten an den Unis in Europa und Amerika begnügen sich nicht mit ihren "From the River to the Sea"-Rufen, sie wollen, dass ihre Universitäten die Zusammenarbeit mit israelischen Unis einstellen - mehrere Artikel und 3sat-"Kulturzeit" thematisieren diese BDS-Forderungen. Das Trinity College in Dublin ist schon eingeknickt, berichtet die taz. In Harvard zirkuliert immerhin ein offener Brief von Professoren gegen einen solchen Boykott. In der FAZ kommt der Rechtsprofessor Jan Thiessen nochmal sehr kritisch auf den Berliner Dozentenaufruf zurück.

Die anderen sind mächtiger

11.05.2024. Gibt es noch Wege aus dem Getümmel? Wohl nicht. Dana Vowinckel will den protestierenden Studenten in der SZ durchaus Friedenswillen unterstellen - aber sie sieht auch ihren Antisemitismus. In der FAZ analysiert der israelische Historiker Gad Arnsberg die tiefe existenzielle Verunsicherung, die der 7. Oktober für Israel bedeutet. Der Berliner Dozentenaufruf empört Philp Peyman Engel in der Jüdischen Allgemeinen. Aber die Dozenten sind auch empört. Auch sonst steht es übel: Richard Herzinger lotet die "antifaschistische" Camouflage des Kreml aus. Der Brexit war ein Flop. Die Georgier wehren sich umsonst.

Großartige Orte für politischen Aktivismus

10.05.2024. Wir kabbeln uns weiter: Die FU Berlin hat ihren Campus von Pro-Hamas-Studenten geräumt, dagegen protestieren zuerst hundert,  jetzt 300 Berliner Hochschuldozenten plus 600 Unterstützer von andern Unis in einem offenen Brief. Das ist selbst Ronen Steinke in der SZ zu viel, der nichts dagegen hat, einen Campus zu räumen, "wenn Demonstranten auch noch verschlossene Hörsäle aufbrechen und Feueralarme zerschlagen". Yascha Mounk beschreibt im Spectator die Hintergründe der Proteste an der Columbia University. Außerdem: In der FAZ benennt Martin Sabrow die "eigentliche Brisanz" von Claudia Roths geschichtspolitischen Konzepten.

Da ist viel Platz am Lagerfeuer

08.05.2024. Wäre die Geschichte der DDR aufgearbeitet worden, wären die Ostdeutschen nicht so pro-russisch, glaubt Anne Rabe in der SZ. Die Zeit lässt  Khola Maryam Hübsch von der Ahmadiyya-Sekte und den Autor Hamed Abdel-Samad über die Begriffe Kalifat und Scharia streiten. Der Ruf nach der Vernichtung Israels wird jedenfalls nicht Frieden bringen, ruft Spiegel-Kolumnist Richard C. Schneider den pro-Hamas Demonstranten entgegen.

Diese romantische Vergaffung

07.05.2024. In der NZZ staunt der Schriftsteller Sergei Gerasimow über die "Faschizophrenie" Putins, der sanitäre Zonen in Charkiw einrichten will. In der FR geißelt der amerikanisch-palästinensische Historiker Rashid Khalidi Israel als "siedlungskoloniales Projekt". In der Welt wundert sich Mirna Funk nicht über die antiisraelischen und antisemitischen Demonstrationen: Juden, die sich wehren, sind unbeliebt. Derweil wächst im Iran der Druck auf Frauen, das Kopftuch tragen zu müssen, berichtet die FAZ. Die taz stellt die Organisation "Men Having Babies" vor, die liebende Leihmütter an schwule Männer vermittelt.

Diese latente Bedrohung

06.05.2024. Nein, die Berliner Republik ist nicht Weimar, aber den Vergleich ziehen die Zeitungen nach den jüngsten Ausbrüchen politischer Gewalt schon. Wie ist es zu erklären, dass der leidenschaftlichste Ausbruch studentischen Aktivismus' seit den 1960er Jahren der Delegitimierung Israels gilt, fragt der Autor Yossi Klein Halevi in der Times of Israel. Die Ruhrbarone lesen den eigentlich weggesperrten Bericht des Bundesinnenministeriums zur Muslimfeindlichkeit. "Muslim Interaktiv" und extreme Rechte sind Teile eines Problems, schreibt Volker Weiß in der SZ.

Es beginnt eine große Verheerung

04.05.2024. Gäbe es die Hamas nicht, wäre keiner dieser Menschen tot, sagt der Antisemitismusforscher Jeffrey Herf in der taz - und ist bestürzt über das Bündnis heutiger "Linker" mit Nachfolgern der Nazis. Bei der Debatte um das richtige Fleischessen zur Verhinderung des Klimawandels boxen Hedwig Richter und FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube jetzt ohne Handschuhe. Die FAZ informiert auch über Gefahren, die von Gagausien ausgehen. Für Welt-Autor Thomas Schmid verkörpert Claudia Roth die Tendenz zu einer Verstaatlichung der Geschichtsdebatten.

Die Grenzen unseres Handelns

03.05.2024. In der taz erzählt die mexikanische Journalistin Teresa Montaño, wie es ist, vom eigenen Staat entführt zu werden. Was die Lautstärke des Schweigens betrifft, da dürften die Islamverbände einen Rekord halten, meint Spiegel online. Es ist nicht so sehr die Frage, ob Iwan Iljin ein Faschist war, sondern wie seine Philosophie Putin beeinflusst, meint die NZZ. Warum gibt es in Baden-Württemberg Religions- aber nicht Ethikunterricht, fragt hpd.de. Und Macron wiederholt: Bodentruppen nicht ausgeschlossen.

Das Versprechen der Gewaltlosigkeit

02.05.2024. In der FAZ macht sich Dror Wahrman große Sorgen um Israel: Der Zusammenhalt in der Gesellschaft schwinde immer mehr. Der Campus der Columbia-Universität wurde geräumt - für die Demokraten könnten die Proteste zum Verhängnis werden, meint die Zeit. Auf Spon verteidigt Jürgen Zimmerer Claudia Roths Konzept für eine neue Erinnerungskultur. Postkoloniale Linke können es einfach nicht ertragen, dass ein demokratischer Staat wie Israel auch mal Gewalt anwenden muss, um seine Bevölkerung zu schützen, ruft Gesa Lindemann auf Zeit Online. Ein Polexit ist unwahrscheinlich, beruhigt Andrzej Leder in der FR.