9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Religion

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.07.2023 - Religion

Genüsslich zitiert Inge Hüsgen bei hpd.de eine (hier bereits erwähnte) Umfrage, die besagt, dass fast drei Viertel der Menschen in Deutschland (74 Prozent) das Einziehen der Kirchensteuer als nicht mehr zeitgemäß betrachten. "Wie die Befragung weiter zeigte, denken viele Kirchenmitglieder über einen Austritt nach. 43 Prozent von ihnen gaben an, dass die Kirchensteuerzahlungen sie zum Austritt bewegen könnten. Nur der Missbrauchsskandal hat größeres Potenzial, die Gläubigen aus den Kirchen zu treiben: Immerhin 49 Prozent würden deshalb ihrer Glaubensgemeinschaft den Rücken kehren. Als weitere Gründe wurden schwindender Glaube (25 Prozent) und Reformstau (20 Prozent) genannt." Trotz der sinkenden Mitgliederzahlen sind die Kirchensteuern wegen der guten wirtschaftlichen Lage Deutschlands auf ein Rekordniveau von 13 Milliarden Euro gewachsen.
Stichwörter: Kirchensteuer

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.07.2023 - Religion

"Fast drei Viertel der befragten Deutschen haben jetzt in einer repräsentativen Umfrage erklärt, sie hielten die Kirchensteuer für nicht mehr zeitgemäß", schreibt Alexander Kissler in der NZZ. Aber: "Im vergangenen Jahr sprudelte diese Quelle mit insgesamt über 13 Milliarden Euro reichlich. Das Plus gegenüber 2021 betrug 247.000 Euro, ein neuer Gipfel wurde erreicht Allein bei den Katholiken stiegen die Steuereinnahmen seit 2010 dank einer florierenden Wirtschaft um über 40 Prozent, während im selben Zeitraum die Mitgliederzahl um etwa 15 Prozent zurückging."

Matthias Kamann macht sich in der Welt trotzdem große Sorgen. Trotz Denkmalschutzmitteln und staatlicher Zuschüsse würden historische Kirchen oder christliche Museen zu einem großen Teil von Kirchen und deren Mitgliedern finanziert, schreibt er, und fragt sich, wie die Finanzierung religiöser Kulturtraditionen angesichts des Mitgliederschwunds künftig vonstatten gehen soll. Die Staatsleistungen will er zwar beenden, schlägt aber gleich auch eine neue Form der Subvention vor. Es sei zu überlegen, "ob man die Staatsleistungen vom Kopf der Enteignungstheorien auf die Füße gesamtgesellschaftlicher Aufgaben stellt, die von den Kirchen nicht mehr zu erfüllen sind. Anders gesagt: Die Länder zahlen weiterhin Geld, aber dafür wird eine nachvollziehbare Grundlage geschaffen, die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben entspricht."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.07.2023 - Religion

Es sind inzwischen so viele Menschen aus den Kirchen ausgetreten, dass sie nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Da drängt sich die Frage auf, ob den Kirchen in Deutschland nicht die Privilegien gestrichen werden sollten, schreibt Wirtschaftskolumnist Rainer Hank in der FAS. Dies gilt auch für karitative Einrichtungen wie Krankenhäuser und Kindergärten, die der Caritas oder der Diakonie zugeordnet sind. Theologen sehen eine solche Diskussion zwar kritisch, weil der sozialarbeiterische Aspekt von Kirche verloren ginge. Aber das ist für Hank ein Scheinargument: "Was viele nicht wissen: Die kirchliche Nächstenliebe speist sich nicht mit kirchlichem Geld, sondern zum weitaus größten Teil aus Zuwendungen des Staats, aus Gebühren der Kunden (Eltern, Pflegebedürftige, Kranke) und aus Spenden. Ein katholischer Kindergarten erhält Mittel vom Staat und nimmt Preise von den Eltern. Das Gehalt der Erzieherinnen wird zwar formal von der Kirche bezahlt, die es sich aber vom Staat zurückholt."
Stichwörter: Kirchenaustritte

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.07.2023 - Religion

Die Attacke auf Salman Rushdie im letzten Jahr steht nicht isoliert da. Der Terrorismusexperte Liam Duffy resümiert in Unherd noch einmal alle Verbrechen, die in Zusammenhang mit Khomeinis Mordaufruf  stehen, und weitere Verbrechen gegen Blasphemie wie etwa das Attentat auf Charlie Hebdo. Auch in Britannien gab es Vorfälle, etwa gegen den Film "The Lady of Heaven,", eigentlich eine fromme Schmonzette, die aber das Gesicht des Propheten zeigt: "Verglichen mit dem Modell der Gewalt, das in der Manchester Arena und im Bataclan entfesselt wurde, inspiriert die Gewalt gegen 'Gotteslästerer' eine viel breitere Anhängerschaft von Sympathisanten, Apologeten und Relativisten - genau der Sauerstoff, den der Terrorismus zum Überleben braucht. Diese Apologetik hat sich bisweilen sogar bis in die westlichen Medien ausgedehnt. Terroristen lernen, und sie werden die massive weltweite Kontroverse, die auf die Ermordung von Samuel Paty folgte, nicht übersehen haben. Kurz gesagt, Gewalt gegen Gotteslästerer gilt ihnen nicht nur als gerecht und als Pflicht, mit ihr kann man sich auch besser als Verteidiger des Islam aufspielen."

In Frankreich sprach Bildungsminister Pap Ndiaye vor einem Ausschuss, der sich mit dem Mord an Samuel Paty befasste, das Wort "Islamismus" nicht aus - er beließ es bei "Obskurantismus", notiert Stefan Frank in Mena-Watch. Er verweist auf Stéphane Simons Buch "Les derniers jours de Samuel Paty", das zeige, wie alleingelassen Paty in den Tagen vor den Mord von Kollegium und Polizei war. Simon erzähle auch, dass Paty in seiner freiwilligen Unterrichtsstunde über die Charlie-Hebdo-Karikaturen darüber sprechen wollte, dass man unterschiedliche Sichten auf Religion haben könne. Genau dies ist aber eine Provokation, sagt der Historiker Günther Jikeli in Franks Artikel: "Islamisten forderten eine 'Zensur nicht nur jeglicher Kritik des Islams', sondern überhaupt einer Diskussion über verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. 'Eine Gleichstellung des Islams mit anderen Religionen und damit eine Relativierung des Wahrheitsanspruchs des Islams lehnen sie ab.'"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.06.2023 - Religion

Wer sich gefragt hat, was aus Lamya Kaddor geworden ist: Sie ist jetzt religionspolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. In einem Gastbeitrag der FAZ verteidigt sie die Ampelkoalition gegen die Behauptung der CDU, sie sei "religiös unmusikalisch" und schreibt gleich als erstes den denkwürdigen Satz: "Die Bundesregierung hat ein genuines Interesse daran, der Bedeutung von Religion durch eine achtsame, von religiöser Bildung geprägte Politik zu entsprechen." Nebenbei erfährt man in Kaddors Artikel, dass es neben der Antidiskriminierungsbeauftragten der Bundesregierung (Ferda Ataman), der Antirassismusbeauftragten der Bundesregierung (Reem Alabali-Radovan), dem Antisemitismusbeauftragten (Felix Klein), bald vielleicht auch der Beauftragten zur Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit (Saba-Nur Cheema?) nun mit Frank Schwabe auch noch einen Beauftragten für Religionsfreiheit gibt, übrigens eine Erfindung der CDU, wie Kaddor erläutert.

Außerdem: In ihrer FAZ-Multikulti-Kolumne erklärt das Powerpaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel heute außerdem noch, "wie Judentum und Islam mit dem Sterben umgehen".

9punkt - Die Debattenrundschau vom 29.06.2023 - Religion

522.000 Menschen sind im Jahr 2022 aus der Katholischen Kirche ausgetreten, melden die Zeitungen, ein absoluter Rekord. Die Zahlen seien zwar auch in der Evangelischen Kirche beträchtlich, dennoch hat sich die Entwicklung deutlich "entkoppelt", kommentiert Tobias Schrörs in der FAZ: "Der rasante Niedergang ist ein katholisches Problem und eine Folge des Umgangs mit der Missbrauchskrise. Die Diskussion um die Rolle des inzwischen verstorbenen Papstes Benedikt XVI. nach der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens im Januar 2022 bildete den traurigen Auftakt eines weiteren Jahres der Enttäuschungen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 27.06.2023 - Religion

Der freiheitliche Staat dürfe zwar niemanden zwingen, ständig sein Gesicht zu zeigen, meint Reinhard Müller in der FAZ. Dennoch ist er einverstanden mit dem baden-württembergischen Verhüllungsverbot, das nun in einem ersten Fall greift: Die Schülerin eines beruflichen Gymnasiums in Rastatt hatte sich geweigert, ihren Niqab abzulegen und Toleranz eingefordert. Müller sieht hier vor allem einen provokanten Einzelfall, der aber auch eine Grundsatzfrage berührt: "Auch die Schule ist ein Raum, in dem nicht nur körperliche Anwesenheit gefordert ist, sondern soziale Interaktion. Hier setzt Austausch Offenheit voraus... Ziel ist nicht etwa ein Schulfrieden, in dem kein Platz für unterschiedliche Meinungen wäre und verschiedene Weltanschauungen nicht aufeinanderprallen sollen. Es geht um die Voraussetzungen für solche Debatten."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.06.2023 - Religion

Ralf Sotschek erzählt in der taz die Geschichte von "Baby John" einem von vielen toten Säuglingen, die in den achtziger Jahren in Irland gefunden wurden, getötet meist von Müttern, die in dem damals rigide katholischen Land ihre Schwangerschaft verborgen hatten. Bei "Baby John" sind die  möglichen Eltern nun durch Genanalysen gefunden wurden. Aber das düstere Erbe der drakonischen katholischen Sexualmoral ist nach wie vor präsent, schreibt Sotschek: "Irland hat zwar in kürzester Zeit den Sprung vom 19. ins 21. Jahrhundert geschafft und durch Volksentscheide Homosexualität entkriminalisiert, den Tatbestand der Blasphemie abgeschafft, gleichgeschlechtliche Ehen und Abtreibung legalisiert, aber die Sache ist noch nicht ausgestanden. Es laufen immer noch mehrere Untersuchungen, zum Beispiel zu den katholischen 'Mütter-und-Baby-Heimen', wo unverheiratete Frauen ihre Kinder zur Welt brachten, die ihnen sofort weggenommen und an US-Paare verkauft wurden. Eine andere Untersuchung beschäftigt sich mit dem Fund von Hunderten Kinderskeletten in einem Abwassertank eines katholischen Kinderheims. Und dann sind da auch die sogenannten Magdalenen-Mädchen, die für die Nonnen schuften mussten."

Eine der Kuriositäten der Bildung in Deutschland ist der konfessionelle Religionsunterricht, den die Kirchen 1949 im Grundgesetz durchsetzten. Nun gibt es zwar immer weniger Gläubige, aber immer noch dieses Angebot des Religionsunterrichts. Der Ethikprofessor Hartmut Kreß erklärt im Gespräch mit Ernst-Günther Krause bei hpd.de, warum ein Ethikunterricht für alle besser wäre. Eines der Argumente zeigt auf, wie weit der Einfluss der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei den vom Staat bezahlten Lehrern reicht: "Auf der Basis von Artikel 7 des Grundgesetzes haben Kirchen und Religionsgesellschaften das Recht, Lehrkräfte mit der Erteilung von Religionsunterricht zu beauftragen; sie dürfen ihnen diese Lehrerlaubnis auch entziehen. Bis vor kurzem hat sich die katholische Kirche sogar in das Privatleben der Religionslehrkräfte eingemischt. In dieser Hinsicht wird auch von muslimischen Verbänden Hochproblematisches berichtet. Demgegenüber ist 'Ethik' ein unabhängiges Fach. Ethik-Lehrkräfte sind solchen außerschulischen Einflussnahmen nicht ausgesetzt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.06.2023 - Religion

Der gerade zu Ende gegangene Evangelische Kirchentag war nicht nur wegen der geringen öffentlichen Wahrnehmung für die Kirche ein Einschnitt, sondern vor allem, weil er sich vom alten Pazifismus der Friedensbewegung verabschiedete, meint Reinhard Bingener in der FAZ: "Die Vertreter der alten Friedensbewegungen aus West und Ost waren in Nürnberg zwar weiter präsent, erfuhren dort aber keine große Resonanz mehr. Die Solidarität mit der Ukraine überwog ihre Bedenken gegen Waffenlieferungen deutlich. Der Kirchentag hat sich damit in Nürnberg von seinem pazifistischen Sonder- und Sendungsbewusstsein verabschiedet." "Wir sind in der überwältigenden Mehrheit für das Recht auf Selbstverteidigung", hatte auch die Theologin Kerstin Söderblom schon am Samstag in der taz gesagt. In der taz kommentiert Jan Feddersen, dass der Respekt für die alten Kämpen aber dennoch weiter gepflegt wurde: "Kirchentag ist offenbar, wenn minoritär Gewordenes dennoch Rang behält."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.06.2023 - Religion

Es ist Kirchentag in Nürnberg. Die Creme des deutschen Pazifismus ist eher vergrätzt, wie sich im Ausbleiben des einstigen Kirchentagstars Margot Käßmann zeigt (unser Resümee). Dass die Macht der Kirchen bröckelt, zeigen die Teilnehmerzahlen, die laut dem Bericht Reinhard Bingeners im FAZ.Net "hinter denen früher Kirchentage zurückblieben. Die Veranstalter teilten am Mittwochmittag mit, dass sich bislang weniger als 60.000 Dauerteilnehmer angemeldet haben. Beim vergangenen Kirchentag vor der Pandemie 2019 in Dortmund waren es 80.000, zuvor oft mehr als 100.000." Interessant auch, wie Bingener, Ko-Autor des Buchs "Moskau-Connection", den eigenwilligen Beitrag Frank-Walter Steinmeiers zur eigenen Rolle in der Geschichte resümiert: "Steinmeier blickte auch auf die deutsche Russlandpolitik, die er selbst als Außenminister jahrelang selbst mitbestimmte. 'Ihr wisst, dass Generationen von Politikerinnen und Politikern auch hier in Deutschland für die Wahrung des Friedens in Europa gearbeitet haben', sagte Steinmeier. 'Viele haben alles Menschenmögliche versucht, um zu verhindern, dass Europa noch einmal zurückfällt in eine Zeit des Krieges, der Aggression, der Gewalt. Dann aber kam der 24. Februar 2022. Dieser Tag veränderte alles, markiert einen Epochenbruch. Wir müssen neu denken, wir müssen neu handeln.'"

Die Kirchen tun zwar viel Gutes, findet Jan Feddersen in der taz, aber sie haben angesichts ihres schwindenden Einflusses zu viele Privilegien: "Sie verfügen außerdem über faktisch übermächtige Positionen im sozialen Bereich, über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, auch Schulen und Kitas. Sie werden finanziell aus den allgemeinen Steuermitteln gepampert. Sie bestimmen sogar das Leben von Nicht- oder Andersgläubigen - dass Geschäfte sonntags geschlossen haben oder dass an bestimmten Feiertagen nur 'gedeckte' Musik gespielt werden darf."

Der kirchenkritische Aktivist David Farago merkt in einem Bericht bei hpd.de an, dass der Kirchentag äußerst großzügig von der öffentlichen Hand mit finanziert wird. "In Nürnberg haben beide Kirchen zusammen nur noch einen Anteil von rund 42 Prozent an der Bevölkerung..." Trotz dieser eindeutigen Veränderung in der Gesellschaft werde der Kirchentag in Nürnberg "mit mindestens 10 Millionen Euro von der öffentlichen Hand gefördert", kritisiert Farago: "Im Einzelnen gibt das Land Bayern 5,5 Millionen Euro, der Bund 500.000 Euro und die Stadt Nürnberg drei Millionen Euro. Die Stadt fördert das religiöse Sommerfest laut Ratsbeschluss aber zusätzlich noch in Form von Sachleistungen und Gebührenbefreiungen im Wert von mindestens einer Million Euro. Von den Gesamtkosten in Höhe von 22 Millionen Euro trägt die öffentliche Hand daher 45,5 Prozent."

In der Welt erzählt der Germanist Karl-Heinz Göttert, dessen Buch "Massen in Bewegung. Über Menschenzüge" gerade erschienen ist, wie vor allem von protestantischer Seite immer wieder gegen die Fronleichnamsprozessionen vorgegangen wurde, etwa im protestantischen Berlin, das seit dem 19. Jahrhundert auch Katholiken anzog: "Um sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, griffen sie zu dem Mittel, das dazu am besten geeignet ist: zu einer Prozession. Es wurde die 'Spandauer Prozession', von Sympathisanten als 'Glanzstück des jungen Berliner Katholizismus' bezeichnet. (…) Die etwa 2500 Teilnehmer trugen Fahnen und sangen geistliche Lieder. Raufereien mit Protestanten waren programmiert und blieben nicht aus, auch wenn Vorkehrungen gegen Provokationen getroffen waren. So durften die Fahnen ausdrücklich nicht 'senkrecht' getragen werden, sondern 'über die Schulter gebogen'. Ob sich die Behörden daran störten, dass die Prozession jedes Jahr enorme Aufmerksamkeit erregte oder eine gewisse Mutierung zum Volksfest mit Beteiligung der Spandauer Schützen und einer fahrbaren Trinkhalle das religiöse Konzept auf Dauer aushöhlten: Mit dem Argument, das Ganze sei nur dazu da, um die Protestanten zu reizen, wurde die Spandauer Prozession 1874 eingestellt."