Außer Atem: Das Berlinale Blog

Denkmal für die Überlebenden: Funahashi Atsushis 'Nuklear Nation'

Von Elena Meilicke
11.02.2012. Noch nicht einmal ein Jahr ist vergangen seit Fukushima oder '3/11', wie die Ereigniskette aus Erdbeben, Tsunami und atomarem Super-GAU vom 11. März 2011 in Japan mittlerweile genannt wird. Aus den deutschen Nachrichten zumindest ist Fukushima mittlerweile so gut wie verschwunden, was bleibt, ist kaum mehr als die Erinnerung an verwüstete Küstenstreifen und einen Regierungssprecher im blauen Arbeitsanzug. Drei Filme im Forum versuchen jetzt, über die kurzlebigen Fernsehbilder hinaus ein Bild der Lage zu liefern; als erstes läuft Funahashi Atsushis Dokumentarfilm "Nuclear Nation" an. Im Mittelpunkt von Funahashis Film steht Futaba, eine Kleinstadt in der Provinz Fukushima, im Nordosten Japans, an der Pazifikküste – die Stadt, in der der Reaktor Fukushima Dai-ichi liegt. Futaba wurde im März 2011 nicht nur fast vollständig durch Erdbeben und Tsunami zerstört, sondern auch vom radioaktiven Fallout kontaminiert. Heute ist Futaba Sperrgebiet, niemand darf sich dort aufhalten. 1400 Bewohner der Stadt wurden evakuiert und in eine Schule umgesiedelt, wo sie seitdem unter widrigen Umständen leben, ohne zu wissen, wie lange dieser Zustand andauern wird und ob sie je in ihre Heimatstadt zurückkehren können.


Noch nicht einmal ein Jahr ist vergangen seit Fukushima oder '3/11', wie die Ereigniskette aus Erdbeben, Tsunami und atomarem Super-GAU vom 11. März 2011 in Japan mittlerweile genannt wird. Aus den deutschen Nachrichten zumindest ist Fukushima mittlerweile so gut wie verschwunden, was bleibt, ist kaum mehr als die Erinnerung an verwüstete Küstenstreifen und einen Regierungssprecher im blauen Arbeitsanzug. Drei Filme im Forum versuchen jetzt, über die kurzlebigen Fernsehbilder hinaus ein Bild der Lage zu liefern; als erstes läuft Funahashi Atsushis Dokumentarfilm "Nuclear Nation" an. Im Mittelpunkt von Funahashis Film steht Futaba, eine Kleinstadt in der Provinz Fukushima, im Nordosten Japans, an der Pazifikküste – die Stadt, in der der Reaktor Fukushima Dai-ichi liegt. Futaba wurde im März 2011 nicht nur fast vollständig durch Erdbeben und Tsunami zerstört, sondern auch vom radioaktiven Fallout kontaminiert. Heute ist Futaba Sperrgebiet, niemand darf sich dort aufhalten. 1400 Bewohner der Stadt wurden evakuiert und in eine Schule umgesiedelt, wo sie seitdem unter widrigen Umständen leben, ohne zu wissen, wie lange dieser Zustand andauern wird und ob sie je in ihre Heimatstadt zurückkehren können.

"Nuclear Nation" beobachtet den Alltag der Evakuierten, zeigt die Enge in den Schulräumen, die Bettenlager auf dem Boden und die kleinen Dinge und Habseligkeiten, die die Menschen um ihre Schlafstätten herum drapiert haben. Viele sind alt und krank, viele haben Angehörige verloren. Wir sehen Frauen Tintenfische säubern und Männer auf Schulfluren fernsehen, die Gesichter halb verdeckt durch den obligatorischen weißen Mundschutz. Eine elektronische Anzeigentafel misst ständig radioaktive Strahlung und in einer kahlen Mehrzweckhalle covert eine Musiktruppe Beatles-Songs zur Unterhaltung. An anderer Stelle zeigt Funahashi, wie die Menschen in einem Klassenzimmer zusammenkommen, um sich über die mögliche Beantragung von Arbeitslosengeld zu informieren. Szenen wie diese geben ein Gefühl dafür, wie hier das Desaster effizient verwaltet wird, wie die Evakuierten versorgt werden, Nahrung und ein Dach über dem Kopf bekommen. Gleichzeitig erscheint das alles vollkommen hilflos und unangemessen angesichts des unglaublichen Verlusts, den diese Leute erfahren haben, und angesichts der Tatsache, dass '3/11' eben keine bloße Naturkatastrophe war, sondern zum Teil menschengemacht, was in der Konsequenz heißt, dass es Verantwortliche gibt.

Ein Überlebender zeigt voller Verachtung den Brief von Tepco, mit dem die Firma den Opfern Entschädigung anbietet - ein bloßer Formbrief, der nüchtern die Höhe der Entschädigung kalkuliert. "Nuclear Nation" vermittelt die Wut und Empörung der Leute aus Futaba und zeigt gleichzeitig, dass diese Empörung keinen wirklichen Adressaten hat. Sie benennt niemanden und niemand stellt sich ihr, keiner hört wirklich zu, keiner übernimmt Verantwortung. Ganz deutlich wird das bei einem Treffen von Vertretern aller Städte und Gemeinden mit Kernkraftwerken. Als der Bürgermeister von Futaba sich zu Wort meldet, um den Zustand seiner Stadt zu beschreiben, da haben sich der Wirtschaftsminister sowie der Minister für Krisenbewältigung nach wohlfeilen Eröffnungsstatements schon längst verabschiedet. Es bleibt nur der Blick auf leere Plätze. Katsutaka Idogawa, der Bürgermeister von Futaba, will trotzdem weiter dafür kämpfen, dass seine Gemeinde nicht einfach aufgegeben wird; die Menschen aus Hiroshima und Nagasaki lebten doch auch in ihren Städten, sagt er an einer Stelle. "Nuclear Nation" aber zeigt, dass die Leute aus der kleinen Provinzstadt Futaba keine Lobby haben, es scheint, als ob sich in Tokyo niemand wirklich dafür einsetzt, dass in naher Zukunft ein Leben in Futaba wieder möglich wird. Daran ändert auch die Protest-Demontration von Futaba-Einwohnern in Tokyo nichts, ein kleiner Zug von älteren Damen mit Strohhut und Männern in ordentlich karierten Hemden; recht blass sehen sie aus neben der Anti-Atom-Demo hipper Großstädter, die zu Trommelbeat mit welkem Gemüse wedeln und das ABC der demonstrativen Meinungsäußerung deutlich besser beherrschen.

So spürt "Nuclear Nation" den politischen und sozialen Brüchen nach, die sich im Gefolge von Fukushima aufgetan haben, verbindet dabei aber das Analytische mit einer radikal empathischen Haltung, die auf Erschütterung abzielt und diese auch erreicht. Immer wieder findet Regisseur Funahashi Bilder und Szenen, in denen ganz konkrete Kleinigkeiten plötzlich das Ausmaß der Katastrophe kommunizieren. Da ist etwa die Familie, die sich hinsetzt und Listen schreibt: die Regierung erlaubt je zwei Erwachsenen pro evakuierter Familie, für zwei Stunden in die geräumte Zone zurückzukehren, zu ihren Häusern oder dem, was davon übrigblieb; jetzt schreibt jeder auf, welche wenigen Gegenstände er oder sie geborgen haben möchte – ein Listen-Schreiben, das zutiefst verstört. Und dann ist da der Bauer, der seine Kühe weiter in der Provinz Fukushima weiden lässt und sich weigert, sie zu töten; er weiß, dass er weder ihre Milch noch ihr Fleisch wird verkaufen können, aber er erklärt mit fester Stimme, dass seine Kühe Überlebende sind genau wie er und dass er sich um diese Überlebenden-Kühe weiter kümmern wird. Dann führt er den Filmemacher in den Stall eines anderen Milchbauern, der den Direktiven der Regierung gefolgt ist. Fast ein Jahr nach Fukushima liegen die Kadaver seine Herde immer noch in diesem Stall, so stark verwest, dass sie kaum mehr als Tierkörper zu erkennen sind.

Elena Meilicke

"Nuclear Nation". Regie: Funahashi Atsushi (Blog). Dokumentarfilm, Japan 2011, 145 Minuten (Vorführtermine)
"No Man's Zone". Regie: Fujiwara Toshi. Dokumentarfilm, Japan, Frankreich 2012, 103 Minuten (Vorführtermine)
"friends after 3.11". Regie: Iwai Shunji. Dokumentarfilm, Japan 2011, 120 Minuten (Vorführtermine)