Außer Atem: Das Berlinale Blog

'Internet, wie haben Sie das gemacht?' - Eine Diskussion

Von Thomas Groh
17.02.2012. Neben ihrem umfangreichen Filmprogramm zeichnet sich die Berlinale auch durch ein flankierendes Angebot von Diskussionsveranstaltungen und Vorträgen aus. Der Großteil davon steht für gewöhnlich inhaltlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Retrospektive und blickt somit also eher zurück in die Filmgeschichte. Als spannende Bestandsaufnahme und Blick nach vorn empfahl sich indessen das von Frédéric Jaeger (critic.de) moderierte Werkstattgespräch "Internet, wie haben Sie das gemacht", die ausnahmsweise einmal über das Potenzial des Internets für das Kino reden und entsprechende Beispiele vorstellen wollte.


Neben ihrem umfangreichen Filmprogramm zeichnet sich die Berlinale auch durch ein flankierendes Angebot von Diskussionsveranstaltungen und Vorträgen aus. Der Großteil davon steht für gewöhnlich inhaltlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Retrospektive und blickt somit also eher zurück in die Filmgeschichte. Als spannende Bestandsaufnahme und Blick nach vorn empfahl sich indessen das von Frédéric Jaeger (critic.de) moderierte Werkstattgespräch "Internet, wie haben Sie das gemacht", die ausnahmsweise einmal über das Potenzial des Internets für das Kino reden und entsprechende Beispiele vorstellen wollte.

Mit den Podiumsgästen Mathilde Henrot (Gründerin der VOD-Plattform Festival Scope, die akkreditierten Filmkritikern und Branchenvertretern eine Auswahl des internationalen Filmfestivalprogramms im Stream anbietet), Andreas Wildfang (Filmverleiher und Betreiber der Online-Arthouse-Videothek realeyz), Julien Marsa (Redakteur des französischen Filmkritik-Onlinemagazins Critikat), Florian Thalhofer, der mit dem System Korsakow nicht-lineare Dokumentarfilme für das Netz erstellt, und dem Filmemacher und Regisseur Romuald Karmakar, der über YouTube und Facebook klassisches Web 2.0 betreibt (siehe auch die zwei Bonus-Videos am Ende des Artikels), wurde die Bandbreite an Möglichkeiten, wie sich das Netz produktiv für das Kino nutzen lassen könnte, bereits gut abgebildet.

Ein wenig schade war es vor diesem Hintergrund schon, dass die Diskussion recht bald wieder von Unsicherheiten und kritischen Abwägungen gegenüber dem Netz bestimmt war: Als diskussionsbefeuernd stellte sich dabei Andreas Wildfangs provokative Einschätzung des Kinos als ancient regime "aus dem letzten, ja sogar aus dem vorletzten Jahrhundert" heraus, das Wildfang schon auch aus wirtschaftlichen Gründen als privilegierten Ereignisort für Film (und wie man wohl anmerken muss: vermutlich schon aus eigenem Geschäftsinteresse) vor allem auch für die Zukunft nachhaltig in Zweifel zog - eine Äußerung, die auch einem im Publikum anwesenden Direktor eines anderen Festivals (Name und Festival leider entfallen...) geradezu empörte Reaktionen entlockte: Dieser machte gegenüber Film im Internet und auf dem iPhone nicht nur die Größe einer Kinoleinwand, sondern auch den edukativen Faktor des Kinobetriebs stark: Insbesondere Jugendliche würden hier auf Arthouse-Kino stoßen und somit im Sinne des guten Films gebildet werden. In ähnlichem Zusammenhang kritisierte Romuald Karmakar später die mit dem Siegeszug von Homevideo seit den 80er Jahren beobachtbare, zunehmende Verkümmerung der Filmbildkomposition zugunsten zentrierter Großaufnahmen und schließlich auch die für ihn nachgerade überraschende Verflachung der Filmsprache in Onlinevideos auf YouTube, noch mehr aber auf Vimeo, wo sich deutlich mehr Filmprofis tummeln als auf Googles Jedermanns-Videoportal. Weder wage man dort "langatmiges Erzählen", noch reflektiere man alte und arbeite man an neuen narrativen Techniken.

Sowohl Andreas Wildfangs neuerlich provokative Entgegnung, dass gerade die Kinobetreiber derzeit die größten Unterdrücker neuer Filmformen darstellen, als auch Florian Thalhofers sarkastischer Einwurf, dass ja gerade im Kino, ganz im Gegensatz zum Internet, Formenexperimente freudig begrüßt und abgebildet würde, versandeten in der Diskussion leider etwas. Dabei sind beide Einwürfe durchaus richtig: Wenn die oft nur noch so genannten "Programmkinos" nicht vor dem Betrieb kapitulieren und sich als für den Kunden kostengünstige Abspielstätte für den longtail der Auswertungsstrategien der großen Verleiher anbieten, schießen sie sich in der Regel auf ein parfümiertes Programm für ein Publikum 40+ ein, das so ins Kino geht, wie es in die Toskana zum Urlaub fährt. Daneben gestaltet es sich für Cinephile jenseits der großen Städte zunehmend zu einem infrastrukturellen Problem, überhaupt noch in den Genuss etwa originalsprachlicher Vorführungen zu kommen, von Repertoireprogramm ganz zu schweigen. Bereits in Hamburg ist es nicht mehr selbstverständlich, dass das aktuelle Verleihprogramm auch wirklich komplett die Kinos erreicht. Als kürzlich in Berlin eine Kampagne zum Erhalt des wenig später geschlossenen Kinos "Kurbel" anrollte, machten die Demonstranten vor allem den filmhistorischen Wert der Abspielstätte - es ist das erste Tonfilmkino Berlins - geltend: Mit den neuesten Roland-Emmerich- und Steven-Spielberg-Produktionen im Angebot hätte man auch schwerlich einen darüber hinausreichenden cinephilen Rang stark machen können. Sicher bleibt fraglich, ob man dafür ernsthaft die Kinobetreiber zur Verantwortung ziehen kann: Wohl sehr zurecht bekäme man begründete Wehklagen über ausbleibendes Publikum zu hören. Dennoch fragt man sich, wie gerade ein junges Publikum unter diesen Bedingungen tatsächlich noch neue Filmformen kennenlernen kann.

Auch die übliche Frage nach der Finanzierung stand bald im Raum. Romuald Karmakar, im Berlinaleprogramm gerade mit seiner Dokumentation "Angriff auf die Demokratie - Eine Intervention" vertreten, sieht sich hier vor einem Dilemma: Aus den Wünschen des Publikums, der Filme solle "möglichst morgen" vom Regisseur bei YouTube in voller Länge hochgeladen oder wenigstens für Lehrer als gebührenfreies Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt werden, spreche seiner Ansicht nach ein tiefverwurzeltes Unverständnis darüber, welche Arbeit in einer Filmproduktion stecke. Es gebe kaum Verständnis dafür, dass etwa auch Untertitler für ihre Arbeit anständig entlohnt werden müssen. Julien Marsa räumte ein, dass die Autoren für critikat "ehrenamtlich" arbeiten, aber "Erfahrungen sammeln" könnten, Florian Thalhofers Kasparow-System werde mittlerweile als Open-Source-Projekt von einer Universität getragen und weiterentwickelt. Für realeyz rechnet Andreas Wildfang zwar für die Zukunft mit einem enormen wirtschaftlichen Potenzial im Heimkinobereich, eine großzügige Anschubsförderung durch das Media-Programm liegt aber auch hier vor. Eine beeindruckend umfangreiche Liste von Förderungsinstitutionen konnte auch Mathilde Henrot für Festival Scope vorlegen. Aber für die absehbare Zeit plane man, das für den Kunden bislang noch kostenfreie Angebot durch ein Gebührenmodell zu ersetzen.

Thomas Groh

Bonus: Beispiele aus Romuald Karmakars YouTube-Kanal:


Esel mit Schnee (Stillleben, 2010)


Ein kleiner Film für Michael (für Michael Althen, gedreht in Vietnam)