Außer Atem: Das Berlinale Blog

Alles strahlt - das Berlinale-Wochenende (Pressespiegel)

Von Thomas Groh
19.02.2018. Mit Christian Petzolds "Transit" rufen die Kritiker den ersten Bärenfavoriten aus. Aleksei German Jrs "Dovlatov" halten die einen für atemberaubend, die anderen für einen bräsigen Fernsehfilm - das Wochenende im Rückblick.


Mit Christian Petzolds "Transit" hat das Festival den ersten klaren Bärenfavoriten - zumindest wenn es nach den Kritikern geht: Der Berliner Regisseur greift einen Exilantenroman von Anna Seghers auf und versetzt das Melodram deutscher Exilanten, die auf der Flucht vor den Nazis in Marseille landen und nicht weiterkommen, rein von der Kulisse her in die Gegenwart. Hier "existieren die Toten neben den Lebenden", schreibt Andreas Busche in seiner begeisterten Besprechung für den Tagesspiegel. Eine "sehr kluge" Verfilmung ist Petzold gelungen, schreibt Thekla Dannenberg im Perlentaucher. "Nichts ist düster in diesem Film, alles strahlt: die sonnendurchflutete Stadt, die brillanten Bilder in Cinemascope-Format, die uns immer nahen Gesichter, die Körper. Selbst die Momente des Todes, des Abschieds und der Verzweiflung sind voller Licht." Auch Dominik Kamalzadeh vom Standard hat der Film überzeugt: "Der nüchterne Realismus, den der Regisseur bisher gepflegt hat, bleibt auch hier bestimmend. Doch eine gleichnishafte Anmutung, eine Idee von Bestimmung durchzieht ihn. 'Transit' hat deshalb etwas von einem modernen Film noir, in dem die Gegenwart sich nicht vom Schatten der Vergangenheit lösen kann. Die Hölle, heißt es einmal sinngemäß, ist ein Ort des ewigen Aufschubs." Susanne Lenz (FR) und Gunda Bartels (Tagesspiegel) haben Hauptdarsteller Franz Rogowski getroffen. Weitere Besprechungen in taz, Berliner Zeitung, ZeitOnline und Welt.



"Das hat der arme Sergei Dowlatow nicht verdient: sein Leben als Fernsehfilm, in schlechten Kostümen und zu grellem Winterlicht, damit man die Realität von heute jenseits der Fenster nicht erkennt", schreibt Anja Seeliger sichtlich unterwältigt über "Dovlatov" von Alexei German Jr., der im Berlinale-Wettbewerb seine Weltpremiere feierte. Etwas positiver sieht Anke Westphal diesen Film, der auf einige Tage im Winter 1971 fokussiert: "Immer wieder öffnet Alexey German Jr. atemberaubend souverän die Türen zur Unbedingtheit eines Staates und die Gräber der Geschichte. ... In schönen Tableaus und langen Kamerafahrten erinnert der Regisseur indes nicht allein an einen Schriftsteller, der heute zu den Meistgelesenen in Russland zählt - nein, er bindet seinen Protagonisten zugleich in bedeutsame Traditionen der russischen Intelligenzija und des sowjetisch-jüdischen Künstlertums ein." Nach Claus Lösers Ansicht ist dem Regisseur "ein dunkler, aber auch ein erhellender Film über den 'Homo Sovieticus' (Alexander Sinowjew) gelungen", wie er in der Berliner Zeitung schreibt: Die "dicht aufgeschlossenen, entfärbten Bilder machen die Enge des Systems und die Verkrümmung der darin lebenden Menschen fast körperlich spürbar." Auch taz-Kritikerin Barbara Wurm sieht in diesem Film "eine große Allegorie: auf eine Zeit, die bleiern ist und zermürbend."  

Aus dem Wettbewerb außerdem besprochen werden Benoît Jacquots "Eva", der die Kritik einhellig enttäuscht hat (Perlentaucher, taz, Berliner Zeitung, Tagesspiegel), Laura Bispuris "Figlia Mia" (Perlentaucher, taz, Berliner Zeitung) und Cedric Kahns "La Prière" (Perlentaucher, Berliner Zeitung, Tagesspiegel). Außerdem schreiben Dominik Kamalzadeh (Standard), Daniel Kothenschulte (FR) und Andreas Kilb (FAZ) über die aktuellen Wettbewerbsfilme.

Weitere Artikel: Für den Tagesspiegel spricht Patrick Wildermann mit Emily Atef über deren heute im Wettbewerb gezeigten Romy-Schneider-Film "3 Tage in Quiberon". Hanns-Georg Rodek hat für die Welt den Schauspieler Rupert Everett getroffen, der in seinem (im Tagesspiegel besprochenen) Regiedebüt "The Happy Prince" Oscar Wilde spielt. Im Kurzfilmprogramm des Festivals sind Filme von 1968 zu sehen, schreibt Claudia Lenssen im Tagesspiegel. Außerdem schreibt Lenssen im Tagesspiegel über arabische Filme im Forum und im Panorama. Helmut Merker hat für den Tagesspiegel koreanische Filme im Forum gesehen. Birgit Rieger führt im Tagesspiegel durch das Forum Expanded. Für die NZZ porträtiert Susanne Ostwald die Schauspielerin Luna Wedler, die zu den diesjährigen Shooting Stars der Berlinale zählt. Thomas Vorwerk führt in der FAZ durch das Programm des Jugendfilmfestivals Generatin. Außerdem meldet der Tagesspiegel, dass Nazif Mujić, der vor fünf Jahren als Laiendarsteller einen Silbenen Bären für seine Leistung in "Aus dem Leben eines Schrottsammlers" gewonnen hat, mittellos gestorben ist. Auf der Suche nach dem Skandal haben sich Fabian Tietke (taz), Christiane Peitz und Jan-Phillip Kohlmann (Tagesspiegel) und David Steinitz (SZ) in die Pressekonferenz mit Kim Ki-Duk begeben, der derzeit wegen einer Ohrfeige am Set und dem Vorwurf, eine Schauspielerin zu einer Sexszene gedrängt zu haben, in der Kritik steht.

Besprochen werden Sergei Loznitsas Dokumentarfilm "Victory Day" über das Sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow (Tagesspiegel), Josephine Deckers "Madeline's Madeline" (Tagesspiegel), Hong Sangsoos "Grass" (Tagesspiegel), Katharina Muecksteins "L'Animale" (Perlentaucher), Fernando E. Solanas "Reise in die vergifteten Dörfer" (Perlentaucher), Timur Bekmambetovs IS-Thriller "Profile" (Tagesspiegel), Lance Dalys "Black 47" (Tagesspiegel), Philipp Jedickes Dokumentarfilm "Shut Up and Play the Piano" über den Musiker Chilly Gonzales (taz), Karim Aïnouz' Dokumentarfilm "Zentralflughafen THF" (Perlentaucher, Berliner Zeitung), Ruth Beckermanns Dokumentarfilm "Waldheims Walzer" (Perlentaucher, taz), Lauren Greenfields Dokumentarfilm "Generation Wealth" (ZeitOnline) und die soeben erschienene Autobiografie des früheren Berlinale-Leiters Moritz de Hadeln (SZ).

Weiteres in aller Kürze vom Festival im Kritikerspiegel von critic.de und in den Festival-SMS von Cargo, sowie natürlich mehrfach täglich aktualisiert in unserem Berlinale-Blog.

Und eine traurige Meldung: Idrissa Ouédraogo, Träger des Silbernen Bären 1993 für seinen Film "Samba Traoré" ist im Alter von 64 Jahren gestorben, melden die Inrockuptibles.