Außer Atem: Das Berlinale Blog

Voller Respekt für das Lebenswerk von Joan Baez: Die Doku "I Am A Noise" (Panorama)

Von Benita Berthmann
18.02.2023.


Die Stimme ist nicht mehr ganz so glockenhell wie früher, sie ist gegerbter, hat Patina gewonnen. Patina, die sich nicht nur aus den schönen Dingen des Musikerinnen- und Aktivistinnen-Lebens zusammensetzt, wie ein neuer Dokumentarfilm über die Folk-Ikone Joan Baez zeigt, mittlerweile bereits 82 Jahre alt und seit 2019 (leider) nicht mehr auf der Bühne aktiv. Die Regisseurinnen Karen O'Connor, Maeve O'Boyle und Miri Navasky kennen sich aus mit der Materie, sie haben einige Preise für ihr filmisches Schaffen gewonnen und diese Expertise merkt man auch "I Am A Noise" an. Sie schaffen ein anspruchsvolles, künstlerisches Mosaik aus Archiv- und aktuellen Aufnahmen, Stimmen und Tonzeugnissen, aus Zeichnungen von Joan Baez, die mal komisch, mal dramatisch, dabei immer aufwendig animiert werden, und Briefen, die auch tatsächlich lange genug eingeblendet werden, um die zum Glück ordentliche Handschrift der erst kindlichen, dann immer erwachsener und reflektierter werdenden Joanie, wie die Familie sie nennt, lesen zu können.

Der Film zeigt viel, erklärt dabei aber wenig. Eine genauere Ein- und Zuordnung mancher Szenen, Personen und Bilder wäre für Zuschauer*innen, die die Künstlerin durch diesen Film erst kennenlernen wollen, nicht verkehrt gewesen. Um die unaufdringliche und vom Respekt für das Lebenswerk Baez' getragene Bildsprache auf sich wirken zu lassen, ist es aber vielleicht auch gar nicht so wichtig, alles zu verstehen.

Aus der schon etwas älteren Doku "How Sweet The Sound" wusste das geneigte Publikum schon, dass die Sängerin lange unter extremem Lampenfieber gelitten hat. Wie viel tiefer und schwerwiegender ihre psychischen Belastungen aber wirklich waren und zum Teil noch sind, dürfte den meisten neu sein. Vorsichtig, abwägend, behutsam erzählt sie von Panikattacken, andauernder Schlaflosigkeit und miteinander in Konflikt tretenden Persönlichkeitsanteilen. Und von dem Vorwurf des Missbrauchs durch den Vater, den ihre Schwester Mimi Farina erhebt und den weder Joan noch der Film ganz eindeutig bestätigen. Aber eben auch nicht völlig von sich weisen. Diese düstere Möglichkeit bildet ein dissonantes Grundrauschen, eine Kontrastfolie, vor der die Szenen, in denen die Folksängerin ihre auf den 100. Geburtstag und gleichzeitig den Tod zugehende Mutter liebevoll pflegt und ihrer beider Verletzlichkeit ungeschönt zu erkennen gibt, umso rührender wirken.

Zu bewundern ist nicht nur die filmemacherische Leistung, die technisch wie erzählerisch auf der Höhe der Zeit ist, sondern vor allem der Mut einer so in der Öffentlichkeit stehenden Person, das Wagnis einzugehen, sich verletzlich, zögernd, zweifelnd zu zeigen in einem Film, der Biopic, Familien- und Schwesterngeschichte zugleich ist und das alles mit einer nicht abgeschlossenen und vielleicht auch nie abzuschließenden Suche nach Gründen verbindet, warum die Dinge und das eigene Leben, die eigenen Probleme so sind, wie sie sind. Der treffende Titel "I Am A Noise" kommt dann auch genau daher, dass diese Suche nicht immer so einfach ist, dass man statt Harmonien auch manchmal einfach nur aus Krach besteht. In diesem Fall Signalstörung klanglich und psychisch, sozusagen. Joan Baez als Menschen in allen unglamourösen Facetten zu zeigen, ohne in die Falle des Voyeurismus zu tappen, ist der ganz große Gewinn dieses Films.

Die ernsten Themen werden nicht nur durch zwar bekannte, aber dennoch nostalgisch-berührende Bilder von den großen Stationen ihres Lebens, dem Marsch auf Washington, den wichtigsten Auftritten und Begegnungen, aufgelockert und erzählerisch gebrochen, die fast madonnenhaft ikonisch wirken, auch der Witz der Protagonistin bricht sich Bahn und schafft angenehme, an einigen Stellen fast erleichternde Kontraste. Wenn sie dann, kurz nachdem sie bekennt, Bob Dylan habe ihr Herz gebrochen, in die Kamera winkt und zwinkernden Auges "Hi, Bobby!" ruft, als wüsste sie genau, dass der Nobelpreisträger gerade zuschaut, lacht und applaudiert der Kinosaal.

Zum Glück widerstehen die Filmemacherinnen der Versuchung, Baez' Leben und Karriere einzig aus dem Blickwinkel ihrer Beziehung zu Bob Dylan zu betrachten, er blitzt nur immer mal wieder hervor, genauso wie ihr Ex-Mann, der kürzlich verstorbene David Harris, ihr Sohn Gabriel und politische Wegbegleiter wie Martin Luther King. Oder auch ihr wahnsinnig plüschiger Hund, der ihr beim Gesangsunterricht Gesellschaft leistet und inbrünstig mitjault.

Eine Doku, die auf die große Leinwand gehört. Vor der des Kino International in Mitte findet sich nach dem Abspann, der auch Patti Smith als Executive Producer nennt, Karen O'Connor ein und bedankt sich bei allen Mitarbeitenden und, diese Bombe lässt sie erst ganz zum Schluss platzen, einer noch sehr agilen, cool in schwarz gekleideten Dame. Als sich Joan Baez aus der letzten Reihe erhebt, gibt es Standing Ovations und nicht enden wollenden Jubel. Ein wenig Zeit für Fragen hat die Filmheldin auch, so erfahren wir, dass sie auf ihrem Grundstück in Kalifornien nach wie vor ein Baumhaus hat und nicht einmal ein Sturz mitsamt gebrochener Hüfte sie davon abhalten können, hinaufzuklettern. Am Ende der Fragerunde gibt sie die wichtigste Botschaft den rund 500 Besucher*innen singend und tänzelnd mit: "Ain't Gonna Let Nobody Turn You Around", legt sie nahe und man glaubt ihr sofort, dass sie das auch so meint.

Benita Berthmann

Joan Baez. I Am A Noise. Regie: Karen O'Connor, Miri Navasky, Maeve O'Boyle. Mit Joan Baez, Mimi Farina, Bob Dylan, David Harris u.a., Dokumentarfilm, USA 2023, 113 Minuten. Alle Vorführtermine.