Vor knapp zwei Wochen gaben die Berliner Philharmoniker ein Konzert unter Christian Thielemann, auf dem Programm standen zwei Stücke von Richard Strauss, die aus gutem Grund lange nicht gespielt werden: die "Festmusik der Stadt Wien", die Strauss zum fünften Jahrestag des Anschluss Österreichs an das Dritte Reich komponiert hatte, und ein "Festliches Präludium", das sie 1943 schon zum Geburtstag Adolf Hitlers dargeboten hatten. Mit "Lieder, Lärm und Lustigkeit" pries das Programmheft diesen "Strauss für alle Gelegenheiten" an. Allerdings entlockte dieses gruselige Ereignis nur Manuel Brug in der Welt die entsprechenden Schauder. Wenige Tage später gaben die Philharmoniker bekannt, dass sie statt in Salzburg zu Ostern nun lieber in der Kur- und Casino-Idylle Baden-Badens aufspielen. Deprimierende Nachrichten für die Musikkultur.

Angesichts von Claudio Abbados aktuellem Gastspiel in Berlin staunt man, welche Bandbreite zu bedienen sich das Orchester in der Lage sieht. Führt ein solcher Spagat nicht zu Rückgratschmerzen? Vorgestern führte es mit seinem früheren Chefdirigenten zu Gustav Mahlers hundertstem Todestag dessen Zehnte und "Das Lied von der Erde" auf. arte hat das Großereignis live übertragen, die Aufzeichnung kann man sich hier ansehen.

Und gestern Abend erinnerte Abbado in der Humboldt-Universität daran, mit wie viel Engagement, Idealismus und humanistischer Emphase Musik verbunden sein kann. Im Rahmen der Mosse Lecture "Musik und Politik" traf sich Abbado zum freundschaflichen Gespräch mit Bruno Ganz und dem früheren Leiter der Berliner Festspiele Ulrich Eckhardt. Mit Bruno Ganz hat Abbado legendäre Konzerte gegeben wie die Aufführung von Beethovens "Egmont" Silvester 1989 im Deutschen Schauspielhaus, Ausschnitte aus den grandiosesten Konzerten wurden eingespielt.

Aber während bei György Kurtag fünf Soprane in extremer Lage sangen, schlug Abbado keinen einzigen hohen Ton an, man muss sogar sagen, dass der spröde Maestro und der recht umständliche Eckhardt mitunter für einen bizarr-stockenden Gesprächsverlaufs sorgten, der jedoch vom aufmerksamen Bruno Ganz in Schwung gehalten wurde. Trotzdem fanden die Hoch- und die Tiefpunkte der politischen Kultur ihren Platz, vom Geldsammeln für die Vietcong in der Berliner Schaubühne über Luigi Nonos "Canto Sospeso" bis zum jüngsten Protest gegen Berlusconis Kulturpolitik. Aufgeworfen wurden die Fragen, ob politische Manifeste besser vor oder nach einem Konzert verlesen werden, wieviel Dirigismus oder verknöcherte Strukturen man hinnimmt, bevor man einfach ein neues Orchester gründet und ob es nicht auch der künstlerischen Freiheit dient, länger als die gewerkschaftlich vorgegebenen Stundenzahl zu proben. Aus Abbados trickreichem Plan, die Mailand aufzuforsten, ist leider nichts geworden. Er wollte für seine Rückkehr an die Scala die Stadt verpflichten, anstelle eines Honorars 90.000 Bäume zu pflanzen. Nach anfänglicher Zustimmung macht der Stadtrat im entscheidenden Moment einen Rückzieher, natürlich aus Kostengründen.

Im schönsten Schlenker erinnerte Ulrich Eckhardt daran, dass Claudio Abbado vor vielen Jahren vor einem Mahler-Konzert in der Berliner Waldbühne verlangt hatte, dass der Flugverkehr über Berlin für diese Zeit aufgehalten werde. Da zeigt sich die Macht des Dirigenten. Mit einem Wink seiner Hand kann er Flugzeuge stoppen.

Thekla Dannenberg