Omer Bartov

Anatomie eines Genozids

Vom Leben und Sterben einer Stadt namens Buczacz
Cover: Anatomie eines Genozids
Jüdischer Verlag, Berlin 2021
ISBN 9783633543090
Gebunden, 486 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem amerikanischen Englisch von Anselm Bühling Mit Abbildungen. Buczacz war jahrhundertelang eine vielsprachige Kleinstadt in einer osteuropäischen Grenzregion. Als die polnischen und ukrainischen Nationalbewegungen sich gegen die imperiale Macht auflehnten, geriet eine Gruppe zwischen alle Fronten: die Juden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie zu den Leidtragenden einer gescheiterten Minderheitenpolitik. 1942/1943 richteten sich die Angehörigen der deutschen Besatzungsmacht mit ihren Familien in der Stadt ein. Angestellte der Firma Ackermann, die bei Brückenarbeiten die Erschießung jüdischer Zwangsarbeiter mitansehen. Oder eine Frau wie Berta Herzig, die ein jüdisches Kindermädchen beschäftigt und sich mit Henriette Lissberg, der Frau des Landkommissars, die Friseurin teilt. Ungerührt genießen sie die idyllische Provinz. Etwa 10 000 Juden wurden damals in Buczacz umgebracht - vor aller Augen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.10.2021

Rezensentin Judith Leister zollt Omar Bartovs Studie über die vom Genozid geprägte Stadt Buczacz Respekt. Wie Bartov geht sie dabei ausführlich auf die gewaltsame Vorgeschichte des Holocaust und auf das komplizierte Verhältnis zwischen Juden, Polen und Ukrainern ein, das seit dem frühen 17. Jahrhundert immer wieder von Gewaltexzessen erschüttert wurde. Aus den Beschreibungen des Holocaust-Forschers Bartov, dessen Mutter aus Buczacz stammte, und aus eindrücklichen Fotos, die deutsche Männer in der ostgalizischen Kleinstadt beim fröhlichen Ski-Fahren, Trinken oder glücklich mit ihren Familien zeigen, während draußen gemordet wurde, lernt sie, dass die Täter ihre Opfer hier anders als in den KZ meist kannten. Eine "erschütternde" Studie und ein "eindrucksvolles" Denkmal für die rund 8000 ermordeten Juden der Stadt, schließt Leister.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 19.07.2021

Rezensent Fabian Wolff bekommt mit Omer Bartovs Studie viel mehr als nur Momente einer persönlichen Familienchronik, nämlich eine historisch gestützte Beschreibung des Lebens und Sterbens in der galizischen Stadt Buczacz, die heute zur Ukraine gehört. Wie der Erste Weltkrieg die von der Habsburgermonarchie zusammengehaltene Region um die Stadt zerreißt, wie das jüdische Leben verschwindet beschreibt der Autor laut Wolff dankenswerterweise nicht als reine Leidgeschichte oder "erinnerungspolitische Intervention", sondern sozial, kulturell und politisch, genau und differenziert. Wie ganz normale Deutsche den jüdischen Exodus beförderten und davon profitierten, zeigt er aber auch, so Wolff.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.07.2021

Rezensentin Marta Kijowska empfiehlt dieses Buch des in Israel geborenen Historikers Omer Bartov mit kleinen Einschränkungen. Interessiert folgt sie der aus drei Perspektiven erzählten Geschichte des einst polnischen, heutigen ukrainischen Städtchens Buczacz, dem Geburtsort von Bartovs Mutter. Die Kritikerin liest hier von den Konflikten zwischen Polen und der ukrainischen Minderheit, Judenverfolgung, vom Überfall durch Wehrmacht und Rote Armee und dem deutsch-sowjetischen Krieg. Anhand von Tagebüchern, Gesprächsprotokollen, Gerichtsaussagen oder Zeitungsartikeln erzählt Bartov aus der Sicht von Opfern, Tätern und Beobachtern, stets plastisch und differenziert, wie die Rezensentin betont. Dass der Historiker allerdings die komplette Geschichte der Stadt seit 1260 erzählt und dabei gelegentlich in den Ton von Wikipedia verfällt, findet Kijowska ein wenig anstrengend.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.04.2021

Rezensent Jörg Später konnte die Lektüre des Buches von Omer Bartov kaum aushalten. Dankbar ist er für diese Erfahrung und das Wissen, das mit ihr einhergeht. Die Geschichte des Ortes Buczacz in Galizien, die Konflikte zwischen Ukrainern und Polen dort und schließlich das Grauen, das die Deutschen ab 1941 in die Gegend brachten, als sie 60000 Juden ermordeten, erzählt der Autor laut Später teils als Familiengeschichte (Bartovs Mutter stammt von dort), teils als strukturell ausgerichtete multiperspektivische historische Analyse anhand von Zeugenberichten, Tagebüchern, Gerichtsakten und Gesprächen. Über formales Gelingen möchte Später angesichts des geschilderten Grauens nicht groß reden, wichtiger schein ihm, dass der Text den Leser überall sofort hineinzieht in das Inferno des Holocaust und das fatale Zusammenspiel aller Beteiligten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.04.2021

Rezensent Matthias Arning ist beeindruckt von diesem Buch des israelischen Historikers Omer Bartov, der den Genozid an den Juden an einem konkreten Beispiel beschreibt: dem in der heutigen Ukraine gelegenen Städtchen Buczacz, Geburtsort seiner Mutter. Erschüttert liest der Rezensent, wie die deutsche Wehrmacht und ukrainische Nationalisten die Juden des Ortes erst aussonderten und dann umbrachten. Nur wenige überlebten, schreibt Arning, der dieses "überaus lesenswerte Buch" nur empfehlen kann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.04.2021

Rezensent René Schlott liest das Buch des israelischen Historikers Omer Bartov zwar auch als Familiengeschichte des Autors, vor allem aber ist es die Biografie eines Ortes, findet Schlott, der Stadt Buczacz in der heutigen Ukraine. Aus Erzählungen seiner Mutter über ihre Kindheit in Buczacz, aus Besuchen und eigenen Recherchen kompiliert der Autor laut Schlott etwas, das die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhundert deutlich hervortreten lässt, die Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen im Ort, die schließlich zu antijüdischen Pogromen führten, sowie die Involvierung von Nachbarn und Freunden. Den Abschluss des Bandes mit Fotos von Bartovs Reisen in die Stadt in 2003 und 2016 findet Schlott ernüchternd.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de