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07.02.2024. Die taz lernt im Berliner Ensemble, dass die Gehirne von Müttern weniger geachtet werden als ihre Brüste. In Andrew Haighs queerem Zeitreisefilm "All of Us Strangers" muss die Power of Love einiges aushalten, meint die FAZ. Außerdem trauert sie um die Fotografin Helga Paris, in deren Bildern die Enttäuschung über die gebrochenen Versprechen der DDR mitklingt. Der Guardian empfiehlt mit Tomatensoße um sich werfenden Klimaaktivisten einen Strategiewechsel. Die SZ erinnert an die goldenen Jahre des Ethiojazz.
Weitere Artikel: Georg Kasch überlegt sich auf nachtkritik, was das Theater zum Thema AfD und erstarkendem Rechtsextremismus noch zu sagen hätte. In der Welt setzt sich Jakob Hayner mit der in einem offenen Brief laut gewordenen Forderung auseinander, Richard III. solle in Shakespeare-Aufführungen nur noch von Menschen mit Behinderung gespielt werden (siehe auch hier).
Besprochen werden Kornél Mundruczós Inszenierung der Oper "Rusalka" Antonin Dvořáks an der Berliner Staatsoper (SZ), Molières "Tartuffe" im Berliner Renaissance-Theater (Tagesspiegel) und Péter Eötvös' Oper "Valuschka" am Theater Regensburg (Welt).
Hanns-Georg Rodek hat in der Welt kein Verständnis dafür, dass die BerlinaleR.P. Kahls "Die Ermittlung" nicht zeigen will, eine vierstündige, offenbar sehr essayistische Annäherung an die Auschwitz-Prozesse. Der prominent besetzte Film basiert auf dem gleichnamigen Dokumentar-Theaterstück von PeterWeiss, der die Auschwitz-Prozesse beobachtet hatte. Dass Berlinale-Leiter CarloChatrian den Film künstlerisch nicht anerkennen will, hält Rodek (der offenlegt, selbst als Statist an den Dreharbeiten beteiligt gewesen zu sein) für wenig nachvollziehbar, auch die Begründung, es gebe bereits Filme zum Holocaust im Programm findet er morsch: Dies lässt sich "auf Basis der bisher bekannten Inhaltsangaben der akzeptierten Filme überprüfen. Da ist AndreasDresens 'In Liebe, Eure Hilde' (über den deutschen Widerstand, nicht den Holocaust), da ist 'Tage in Terezin' (ein fast 30 Jahre alter Film über das Getto-Kabarett in Theresienstadt), und da ist 'Im Land meiner Eltern' (ein vierzig Jahre alter Film über die Kinder exilierter Juden in Berlin). Das hört sich nicht gerade nach einem ÜberschussanHolocaust-Filmen an. Man könnte auf die Idee kommen, die Anzahl der Holocaust-Filme auf der Berlinale mit der Anzahl von Filmen zum Feminismus (nach vorsichtiger Zählung mindestens zehn), zur Selbstermächtigung von Frauen (mindestens zehn), zum Rassismus (mindestens fünf), zum Kolonialismus (mindestens vier) und zu Geflüchteten (mindestens vier) zu vergleichen."
Die Intimität im Pathos der Popkultur: "All of Us Strangers" Mit seinem queeren Zeitreise-Liebesfilm "All of Us Strangers" ist dem Regisseur AndrewHaigh "vielleicht einer der bewegendsten Filme der jüngeren Zeit" gelungen, schreibt Bert Rebhandl in der FAZ. "Haigh schafft eine innereAllgegenwart, die stark im Zeichen von Trauerarbeit steht - Trauer über eine Sozialisation, die frühzeitig zum Stillstand kam. ... Adam (großartig: Andrew Scott, bekannt aus 'Fleabag') war mit seinem Schicksal eines jungen Homosexuellen in einer feindlichen Umgebung, aber auch in einer explodierenden Popkultur lange Zeit allein. Diese Einsamkeit schöpft 'All of Us Strangers' bis in die tiefsten Dimensionen aus, während sich zugleich schon Auswege eröffnen. ... Die 'Power of Love' muss einiges aushalten. Aber das ändert nichts daran, dass Haigh das Pathos der Popkultur hier auf eine Intimität hin öffnet, wie man sie im Kino nur selten so erleben kann."
Außerdem: Marian Wilhelm empfiehlt im Standard eine Reihe im Filmarchiv Austria zum populärenmexikanischenKino1940-1970. Besprochen werden BlitzBasawules Neuverfilmung von Alice Walkers Roman "Die Farbe Lila" als Musical (Tsp), Tina Satters Whistleblower-Drama "Reality" (Zeit Online) und KidaKhodrRamadans neue ARD-Serie "Testo" (NZZ).
Besprochen werden unter anderem MichaelKöhlmeiers "Das Philosophenschiff" (FR, SZ), MelyKiyaks "Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an" (Standard), SlataRoschals "Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten" (online nachgereicht von der FAZ), AndreasBährs Biografie über den Jesuiten AthanasiusKircher (Tsp), und Florian Kragls Übersetzung von EliaLevitaBachurs jiddischem Stanzenepos "Bovo d'Antona" aus dem Jahr 1507 (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Die Attacken der Letzten Generation und anderer Klimaaktivisten auf berühmte Kunstwerke haben sich totgelaufen, moniert Giovanni Aloi im Guardian. Selbst Tomatensoßeangriffe auf die Mona Lisa locken medial kaum noch jemand hinter dem Ofen hervor. Aloi empfielt der Gruppierung, sich an erfolgreicheren aktivistischen Aktionen im Kunstbereich ein Beispiel zu nehmen: "Heutzutage manipulieren aktivistische Gruppierungen die Aufmerksamkeit der Medien, anstatt sich von den Medien in die Ecke drängen zu lassen. Im Jahr 2016 beendeten Anti-Öl-Aktivisten das 26 Jahre währende Sponsoring von BP bei den Tate Gallerien, indem sie eine Reihe hochgradig einfallsreiche Performances, Veranstaltungen und Sit-ins in Tate Modern und Tate Britain organisierten. Nan Goldins Kampagne gegen die in die Pharmaindustrie involvierte Sackler-Familie war ebenfalls außergewöhnlich erfolgreich, mehrere Institutionen haben ihre Verbindungen zur Familie gekappt und den Namen der Sacklers von ihren Ausstellungswänden entfernt. Diese Demonstrationen waren erfolgreich, weil sie fokussiert und spezifisch waren; die Forderungen waren auf die Zielorganisationen abgestimmt und auch auf die jeweiligen ethischen Probleme."
Weitere Artikel: Ingeborg Ruthe schreibt in der FR über das neu eröffnete Otto-Dix-Archiv in der Berliner Akademie der Künste. In Gmunden sorgen Plakate mit kontroversen Motiven, die der Künstler Gottfried Helnwein seit letzter Woche im Rahmen der Salzkammergut-Festwochen im öffentlichen Raum plakatiert, für Aufregung, berichtet Olga Kronsteiger im Standard. Eine weitere Meldung aus Österreich (via Standard): Mann will Marmortisch umwerfen - und scheitert. Besprochen wird Zhao Gangs Ausstellung "China Stories" in der Galerie Nagel Draxler in Berlin (taz).
Jonathan Fischer berichtet in der SZ von seiner Reise nach Äthiopien, wo er sich auf Spurensuche nach der Geschichte des (auch dank Erfolgsserien wie "The Bear") wieder populär gewordenen Ethiojazz gemacht hat. Es ist eine Geschichte des Austauschs, der in den Sechzigern begann: "In den Nachtclubs tanzten Jugendliche in Schlaghosen und Miniröcken zu neuartigenGrooves, zahlreiche Bars und Hotels beschäftigten ihre eigenen Bands." Der Militärcoup 1974 trieb die junge Generation ins Ausland. "MulatuAstatke war während seines Musikstudiums in London jungen Ghanaern und Nigerianern begegnet, die stolz eigene Traditionen in ihre Kompositionen einbrachten. Warum sollte das nicht auch mit äthiopischem Folk funktionieren? Nach Begegnungen mit John Coltrane, Duke Ellington und anderen afroamerikanischen Jazzmusikern in New York reifte seine Idee, die beiden Welten zusammenzubringen. 'New York', erzählte Astatke einmal im Interview, 'war Mitte der 60er-Jahre ein magischer Ort. Ich spielte dort mit Hugh Masekela aus Südafrika und Fela Kuti aus Nigeria. Wir alle hatten ein gemeinsames Anliegen: Afrika in das moderne Konzept von Jazzmusik einzubringen.' Jahrelang pendelte Astatke zwischen Addis und New York. Es ist die Musik dieser goldenen Jahre, die "den heutigen Nachwuchs in Äthiopien prägt." Letzten Sommer erzählte bereits Navid Kermani in der NZZ von seiner Begegnung mit Astatke (unser Resümee), hier außerdem ein Konzert von Astatke von 2021:
Bis zum Sommer 2025 möchte das in Frankfurt ansässige EliotQuartett alle fünfzehn Streichquartette von DmitriSchostakowitsch aufführen. Jan Brachmann hat für die FAZnachgefragt, was es mit dem Projekt auf sich hat. "Es wird für uns wie für die Hörer sicher eine intensive Erfahrung werden, ein ganzes Leben zu durchschreiten", verspricht Maryana Osipova. Und Dmitry Hahalin ergänzt: "Das erste Quartett klingt noch sehr klassizistisch. Einige Stellen wirken auf mich sogar wie Sozialistischer Realismus." Schostakowitsch "schreibt sein Quartett 1938, auf dem Höhepunkt des Großen Terrors unter Stalin. Viele seiner Freunde sind verhaftet oder hingerichtet worden. Er selbst hatte den Vorfall mit dem Prawda-Artikel gegen ihn, 'Chaos statt Musik', gerade zwei Jahre hinter sich. Die Angst, selbst verhaftet zu werden, steckte ihm in den Knochen. Und dann schreibt er so etwas - wie er selbst sagt - 'Frühlingshaftes'. Immer, wenn er wusste, dass die Musik nicht veröffentlicht würde, schreibt er sehr ehrlich."
Außerdem: Jakob Thaler spricht für den Standard mit dem österreichischen Musiker MarkusIllko, der mit der tollen Coverversion seiner Band The String Ensemble von JohnnyCashs"Folsom Prison Blues" mit dem Grammy ausgezeichnet wurde. Judith von Sternburg hat für die FR den Geiger DanielHopeinterviewt, der eben sein Album "Dance!" veröffentlicht hat, aber selber gar kein guter Tänzer ist, wie er einräumt. Christian Schachinger freut sich im Standard auf ein Konzert von CharlesHayward. Claudius Seidl (FAZ) und Ueli Bernays (NZZ) gratulieren DieterBohlen zum 70. Geburtstag. Andrian Kreye schreibt in der SZ einen Nachruf auf den in Europa eher unbekannten Countrymusiker Toby Keith, dem in den USA insbesondere aus dem trump-nahen Milieu die Herzen zuflogen.
Besprochen werden die aktuelle Ausgabe des BuchmagazinsTestcard, die sich dem Phänomen des Rechtspop widmet (taz, mehr dazu bereits hier), Thylacines neues, mit 74 Orchestermusikern aufgenommenes Album (Tsp) und "Golden Days", das neue Album des österreichischen Songwriters BernhardEder (Standard).