Hörbuch der Saison

20.03.2003. An dieser Stelle präsentieren wir künftig von Zeit zu Zeit die in der Presse am besten besprochenen Hörbücher. Darunter diesmal: Schnitzlers "Traumnovelle" und "Fräulein Else",  Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit", Melvilles "Moby Dick" und Judith Hermanns "Nichts als Gespenster".
Die gefeiertsten Hörbücher zu Beginn dieses Jahres basieren auf Texten von Autoren des frühen zwanzigsten Jahrhunderts - Schriftsteller wie Arthur Schnitzler oder Karl Valentin scheinen im Moment ungeahnte Aktualität zu besitzen. Weiterhin wird besonders die Vertonung von Hermann Melvilles "Moby Dick" gelobt. Judith Hermann, Felicitas Hoppe und Thomas Kapielski sind zwar noch am Leben, aber auch ihre neuen Hörbücher wurden von der Kritik wohlwollend aufgenommen.

Zunächst zu den Österreichern: In der Zeit lobt Konrad Heidkamp die Hörbuchversionen von Schnitzlers "Traumnovelle" und "Fräulein Else". Die Inszenierung der "Traumnovelle", eine Erzählung über die erotischen Träume und Phantasien des Ehepaars Fridolin und Albertine aus dem Wien der zwanziger Jahre, werde durch den distanzierten, aber doch weichen Tonfall des Sprechers Peter Eschberg zum "unbezahlbaren Gewinn". Und in den Gewissenskonflikt des "Fräulein Else", die den finanziellen Ruin ihrer Eltern abwenden könnte, indem sie sich einem Gläubiger nackt präsentiert, werde der Hörer durch Senta Bergers Vortrag soghaft hineingezogen. Laut Heidkamp ein "Glanzstück" unter den Hörspielen. Von der Wandlungsfähigkeit in Senta Bergers Stimme ist auch Uwe Ebbinghaus in der FAZ hingerissen - er lobt "Fräulein Else" in den höchsten Tönen.

Karl Kraus, Zeitgenosse Schnitzlers, hat es Jochen Hieber angetan. Die Neuauflage einer Hörspielfassung des Antikriegsdramas "Die letzten Tage der Menschheit" aus dem Jahr 1974 sei von dem Literaturhistoriker Hans Mayer grandios inszeniert worden und glänze durch die Mitwirkung zahlreicher berühmter Schauspieler der Nachkriegszeit. Dieses "fulminante Stück Radiogeschichte" ist neben dem Hörgenuss ein anschauliches Zeitdokument, meint Rezensent Hieber in der FAZ.

Der Kabarettist Karl Valentin, Münchner Original der zwanziger Jahre, erlebt über fünfzig Jahre nach seinem Tod eine Neubewertung als einer der pointiertesten Kritiker seiner Zeit. Nun ist ein Überblick über Valentins akustisches Werk sowie eine vertonte Biografie mit Originalzitaten erschienen. Die acht CDs umfassende "Gesamtausgabe Ton" wird in der FAZ von Patrick Bahners als wichtiges Dokument präsentiert, das den Hörer auf das "Zeithintergrundrauschen" von Valentins Wirken hinweist. In den sprachgewaltigen Monologen Valentins entdeckt er den "Chaplin des Wortes" wieder. Auch der von Michael Schulte komponierte, sieben CDs umfassende literarische Essay "Das Leben des Karl Valentin", hat der FAZ ausnehmend gut gefallen. Eine Klangkollage aus Originalinterviews mit Personen aus Valentins Umfeld, seinen eigenen Texten und erzählerischen Elementen macht diese Edition für den Rezensenten Jochen Hieber zum Geheimtipp. Dem stimmt auch Hanns-Josef Ortheil von der FR zu, der sich über die "dandyhafte Verschworenheit" des Sprechers Walter Schmiedinger mit Karl Valentin freut.

Mit viel Lob wird auch die zehn CDs umfassende Hörspielversion von Hermann Melvilles "Moby Dick" bedacht. In der FAZ rühmt Frank Olbert begeistert die hochkarätige Besetzung und das reichhaltige Ton- und Geräuschreservoir inklusive "unterseeisch weithin vernehmbares Knurren, Fiepen und Grunzen der Wale". Ulrich Greiner ist in der Zeit etwas zwiespältiger: Zwar findet auch er, der Roman hätte als Hörspiel nicht besser inszeniert werden können. Doch zugleich fühlt er sich davon auch desillusioniert. Beide Zeitungen loben jedenfalls einhellig Rufus Beck, der als Romanheld Ismael die "Rolle seines Lebens" spiele.

Hans-Josef Ortheil bespricht in der FR die Hörbuchfassungen der neuesten Romane von Judith Hermann und Felicitas Hoppe, die beide von den Autorinnen selbst gelesen werden. Besonders Judith Hermanns an die "Tonlagen des Jazz" erinnernde Stimme sei hervorragend geeignet die rastlosen Geschichten aus "Nichts als Gespenster" zu veranschaulichen. Aber auch Felicitas Hoppes fantastischer Ritterroman "Paradiese, Übersee" hat den Rezensenten in der akustischen Version überzeugt. Die phantasievolle Reise durch Kontinente und Zeiten erhalte durch den raumgreifenden Klang von Hoppes Stimme noch mehr Überzeugungskraft. Thomas Kapielskis erzählt in "Abstehende Röhren" von den Widrigkeiten des Alltags und bringt damit Eva Behrendt von der taz zum Lachen, die sich über diesen Meister der Ironie köstlich amüsiert. In der SZ empfiehlt Wilhelm Trapp die vom Autor vorgetragenen zwölf Geschichten gar als "Komödie im besten Sinne" und bekommt praktische Überlebenstipps von dem Pragmatiker Kapielski.

Schließlich sei noch auf die Vertonung von Arno Schmidts frühen Erzählungen "Verschobene Kontinente" hingewiesen. Felicitas von Lovenberg bescheinigt in der FAZ den Lesern Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma "feines Gespür für Tempo, untergründigen Humor, bitteren Sarkasmus und Lust an der fein dosierten Zote". Zu guter Letzt sieht die SZ den 100. Geburtstag von Georges Simenon durch eine Edition seiner Hörspiele gewürdigt. "Best of Maigret & Co." begeistert durch die unprätentiöse Inszenierung und die Konzentration auf Simenons brillante Dialoge, freut sich Rezensent Martin Z. Schröder.

Steffi Scharf