Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
28.06.2004. In Prospect erklärt Nicolas Sarkozy seinem Präsidenten die Verkehrsregeln. Die New York Review of Books feiert die Lizzie Borden der Literaturkritik. Im Spiegel verteidigt Andre Glucksmann den Irakkrieg. Outlook India entdeckt entzückende Moslems. Der New Yorker hat sich auf die große Dattelpalme des Irak begeben. Palabra warnt vor Chiquita-Bananen. Die New York Times reicht den Hut herum.
Prospect (UK), 01.07.2004
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q22/A8140/prospect.jpg)
Prospect hat die Top 100 der britischen Intellektuellen ermittelt, und David Herman wertet die Gesamttendenzen aus. Die Verlierer der letzten zehn Jahre: Theoretiker, Linke, Emigrierte, Ökonomen, Philosophen und Theologen. Die Gewinner: Historiker und politische Essayisten. Insgesamt sind sie "sehr mittleren Alters, sehr männlich und sehr weiß". Wer sich die Liste und deren Kriterien (Was ist britisch? Was ist ein Intellektueller?) ansehen möchte, kann dies hier tun.
Weitere Artikel: Ist die Evolution vorbei? Gabrielle Walker hat sich erkundigt nach den vielleicht katastrophalen Folgen unseres zivilisierten und überbehüteten Lebenswandels. Michael Lind behauptet, dass auch 9 Milliarden Erdbewohner auf der Erde gut leben können, und das, ohne die Umwelt zu verkrüppeln. Jonathan Power hat den indischen Premierminister Manmohan Singh getroffen und blickt frohgemut in Indiens Zukunft. Und Jo Tatchell macht uns mit einer neuen literarischen Gattung bekannt, der Diktatoren-Literatur und ihrem aktuellen Aushängeschild Saddam Hussein.
Palabra (Kolumbien), 16.06.2004
Was ist eigentlich mit den Chiquita-Bananen? Klebt da immer noch das Blut lateinamerikanischer Plantagenarbeiter dran, wie schon in "Hundert Jahre Einsamkeit" nachzulesen und danach in Mittelamerika so oft recherchiert? Darf man die Dinger ohne schlechtes Gewissen essen? Nicht unbedingt, zumindest nicht, wenn auf ihnen Colombia steht, sie also aus Kolumbien kommen, wie eine Recherche von Ignacio Gomez belegt. "Trotz der Existenz einer Reihe unabhängiger Produzenten, kontrolliert dieses Unternehmen praktisch die gesamte Wirtschaft der Region Uraba, ganz ähnlich wie es ihre Vorgängerin United Fruits in den zwanziger Jahren in Cienaga tat", schreibt Kolumbiens profiliertester investigativer Reporter. Mehr noch: der kolumbianische Ableger von Chiquita Brands war in den vergangenen Jahren nicht nur in einen Bestechungsskandal, sondern auch in einen großen Waffenschmuggel für rechtsradikale paramilitärische Gruppen verwickelt, die zudem auch noch 100.000 Dollar Schutzgeld erhielten. Nachdem schon die New Yorker Börsenaufsicht eine Strafe verhängte, ermittelt nun auch das US-amerikanische Justizministerium.
Nachzulesen ist das alles in Palabra, einem gerade in Kolumbien gestarteten Nachrichtenmagazin-Projekt. Kein leichtes Unterfangen in einem Land, in dem sich derzeit nur eine nationale Tageszeitung sowie eine Handvoll Zeitschriften halten können. Um Unterstützung zu finden (mehr dazu hier), wurde erst einmal eine Nullnummer erstellt, die seit dieser Woche auch im Netz zugänglich ist. Offensichtlich ist das Bemühen über ein anderes, nicht-offizielles Kolumbien zu schreiben: unter anderem finden sich dort ein Reisebericht über den Amazonas, Reportagen aus Koka-Anbaugebieten (hier) und paramilitärischen Hochburgen (hier), aber auch Bestandsaufnahmen des kolumbianischen Hip-Hop (hier) sowie der örtlichen Swinger-Clubs (hier).
Aufmachung und Stil sind noch verbesserungswürdig, aber dafür lässt sich sich die Geschichte von Dalton Howard nachlesen, eines liebenswerten siebzigjährigen Mannes, der das Meer hasst, obwohl er sein ganzes Leben auf Old Providence, einer kleinen, Kolumbien zugehörigen Karibikinsel verbracht hat. "Auch kann er nicht fischen, und Boote mag er sowieso nicht", berichtet Cristian Valencia. Wie sich dann herausstellt, ist das durchaus nachzuvollziehen: Dalton Howard war als Kind 1943 mit seiner Mutter auf einem Segelboot unterwegs, als dort -sozusagen am Ende der Welt - ein deutsches U-Boot aufkreuzte und angriff. Er bekam einen Lungenschuss ab, das Segelboot sank.
Nachzulesen ist das alles in Palabra, einem gerade in Kolumbien gestarteten Nachrichtenmagazin-Projekt. Kein leichtes Unterfangen in einem Land, in dem sich derzeit nur eine nationale Tageszeitung sowie eine Handvoll Zeitschriften halten können. Um Unterstützung zu finden (mehr dazu hier), wurde erst einmal eine Nullnummer erstellt, die seit dieser Woche auch im Netz zugänglich ist. Offensichtlich ist das Bemühen über ein anderes, nicht-offizielles Kolumbien zu schreiben: unter anderem finden sich dort ein Reisebericht über den Amazonas, Reportagen aus Koka-Anbaugebieten (hier) und paramilitärischen Hochburgen (hier), aber auch Bestandsaufnahmen des kolumbianischen Hip-Hop (hier) sowie der örtlichen Swinger-Clubs (hier).
Aufmachung und Stil sind noch verbesserungswürdig, aber dafür lässt sich sich die Geschichte von Dalton Howard nachlesen, eines liebenswerten siebzigjährigen Mannes, der das Meer hasst, obwohl er sein ganzes Leben auf Old Providence, einer kleinen, Kolumbien zugehörigen Karibikinsel verbracht hat. "Auch kann er nicht fischen, und Boote mag er sowieso nicht", berichtet Cristian Valencia. Wie sich dann herausstellt, ist das durchaus nachzuvollziehen: Dalton Howard war als Kind 1943 mit seiner Mutter auf einem Segelboot unterwegs, als dort -sozusagen am Ende der Welt - ein deutsches U-Boot aufkreuzte und angriff. Er bekam einen Lungenschuss ab, das Segelboot sank.
Outlook India (Indien), 05.07.2004
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q15/A8144/outlook.jpg)
In der anhaltenden Debatte um den Säkularismus und die indische Gesellschaft feuert der Oxford-Professor Sanjay Subrahmanyan eine Breitseite auf Ashis Nandy ab, der vergangene Woche den Säkularismus als europäischen Import aus einer Zeit der Kriege und Pogrome abgetan hatte, um im Gegenzug auf indigene, hinduistische Traditionen religiöser Toleranz zu verweisen. Wovon spricht er, fragt Subrahmanyan und klärt darüber auf, dass in Europa Säkularismus als staatspolitisches Prinzip praktisch keine Rolle spielt. Nandy bastle sich sein Europa als Anti-Indien zurecht und habe schlichtweg keine Ahnung von Geschichte - europäischer oder indischer. Und was die einheimischen Traditionen religiöser Toleranz angehe - die gebe es durchaus, allerdings komme man ihnen nicht mit romantisierendem "Zuckerwatte"-Geschwätz auf die Spur. (Auf der Seite befinden sich Links zu allen vorangegangenen Diskussionsbeiträgen).
Weitere Artikel: Ishita Moitra beobachtet einen Aufschwung des indischen Animationsfilms, bisher ein unbedeutendes Genre. Und V. Sudarshan ist enttäuscht von Bill Clintons Memoiren (zu viel Offizielles, zu wenig Offenheit).
Spiegel (Deutschland), 28.06.2004
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Im Kulturteil sucht ein Artikel nach Gründen für die zunehmende Beliebtheit von Dokumentarfilmen im Kino: "Einen Grund für den Doku-Boom sehen Branchenfachleute darin, dass das Blockbuster-Kino von den 'Matrix'- und 'Herr der Ringe'-Trilogien bis zu 'Shrek 2' die Zuschauer an immer entferntere Orte entführt - und bisweilen ermüdet. In den vom Computer erschaffenen künstlichen Welten Hollywoods ist alles möglich; das Publikum aber fragt sich immer öfter: Was ist wirklich?" Und Detlef Buck ärgert sich schwarz, dass Hamburg seine Filmförderung um fünfzig Prozent kürzen will: "Wenn man fünfzig Prozehnt der Subventionen eines Theaters kürzt, müsste der Intendant das Haus dichtmachen. Aber dann hätten die Politiker Stress in der Stadt. Bei Filmemachern denken sie offenbar, wir seien eh Zigeuener, die mal hier und mal dort arbeiten, da merkt es keiner."
Weiteres: Aime Jacquet, Trainer der französischen Weltmeister-Elf von 1998, erklärt im Interview, warum Franzosen, Italiener und Deutsche bei der EM ausgeschieden sind. Der Titel befasst sich mit der "Seuche Cannabis" an Deutschlands Schulen.
New Yorker (USA), 05.07.2004
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Bestätigung findet die Skepsis von Rosens Reportage in den nüchternen Zahlen, über die ein Kommentar von George Packer informiert: "Eine Umfrage, die die CPA (die provisorische Kontrollmacht im Irak) in Auftrag gegeben hat, kam zum Ergebnis, dass zwei Prozent der Iraker großes Vertrauen in die Koalitionskräfte haben, achtzig Prozent haben gar keins und mehr als die Hälfte glaubt, dass alle Amerikaner sich benehmen wie die Gefängnisaufseher in Abu Ghraib."
Besprechungen: Andrew Kirsch bespricht eine neue Dylan-Thomas-Biografie - und informiert in einem Exkurs zur Wirkungsforschung darüber, dass der Name Dylan 1914, im Jahr der Geburt des Autors, so gut wie unbekannt war und auf eine obskure Figur der walisischen Mythologie zurückgeht. Neunzig Jahre und einen Popmusiker, der dem Dichter zu Ehren das Pseudonym Bob Dylan annahm, später, ist Dylan immerhin auf Platz 19 der männlichen Vornamen in den USA. Die Biografie ist im übrigen klatschverliebt, aber in Ordnung, meint Kirsch. Etwas weniger gut, aber auch nicht ganz schlecht findet Thomas Mallon einen Roman von Jerry Stahl, der den skandalumwitterten Stummfilmkomiker Fatty Arbuckle als Ich-Erzähler wieder auferstehen lässt.
David Denby gerät sehr ins Schwärmen über Julie Delpy und Richard Linklaters "Before Sunset" (besser als Rohmer!) - und wünscht sich sogleich einen dritten Teil dieser Fortsetzungsromanze. Für einen mittelmäßigen und zutiefst überflüssigen Film hält er dagegen Steven Spielbergs Flughafen-Komödie "The Terminal".
Ganz was anderes: Paul Simms betet zu Gott und bittet darum, ihn bloß keinen komischen Tod sterben zu lassen. Keine Luftschiffe, kein Unfall mit einem Kerl namens Roger Crash. Und: "Wenn ich beim Sex sterben muss, dann bitte nicht aus einem der folgenden Gründe: extreme Austrockung, unerkannte Allergie gegen Öle mit Fruchtgeschmack oder 'Massage'öl, Hautkomplikationen wegen Teppichverbrennung oder im Zusammenhang mit dem Gebrauch - oder Missbrauch - von Gegenständen, die als 'seltsam' zu bezeichnen sind."
Figaro (Frankreich), 25.06.2004
In Frankreich ist bei Gallimard ein Band mit Aufsätzen des jungen Cioran erschienen, geschrieben von 1931 bis 43, das heißt im Alter von 20 bis 32 Jahren. Patrice Bollon schildert die Nähe des jungen Philosophen zu Heidegger und Spenglers "Untergang des Abendlands" und fährt fort: "Auch wenn diese Artikelsammlung von den Herausgebern sorgsam von den engagiertesten und brutalsten seiner Texte gesäubert wurden, die er von 1933 bis 35 in Deutschland geschrieben hat, versteht man doch ohne Schwierigkeiten, wohin Cioran durch seinen vitalistischen Katechismus geführt wurde: Zur positiven Stellungnahme zu jener 'Revolution des Nihilismus', die der Nazismus für ihn darstellte. Gerade hier könnte die Lektüre dieses Bandes übrigens allen 'Gutwilligen' empfohlen werden: damit sie sehen und verstehen, wie völlig legitime und sogar schwierig zu widerlegende Ideen - ist die Auflösung der Kultur durch ultrademokratische Ideen nicht heute noch weiter fortgeschritten als in den dreißiger Jahren? - zum Schlimmsten führen können."
Espresso (Italien), 01.07.2004
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In seine Bustina liest Eco ein antike Ratschläge für Politiker und staunt, wie sehr die Empfehlungen Quintus Tullius Ciceros an seinen Bruder Markus Tullius dem Medienzaren Berlusconi auf den Leib geschrieben sind. "Der Kandidat muss laut Quintus immer faszinierend 'erscheinen', Geschenke verteilen, Versprechungen machen, zu niemandem Nein sagen, denn das Gedächtnis der Wähler ist kurz, und wenig später haben sie die früheren Versprechen vergessen."
Weitere Artikel: Marco Lillo polemisiert über den galaktischen Bluff mit dem terrestrischen Digital TV. Ansonsten regiert die Politik: Im Netz sind vier kurze Videos abzurufen, die unmittelbar nach dem Anschlag auf die Basis der italienischen Soldaten im irakischen Nassiriya im November 2003 aufgenommen wurden. Einer der Filme, die dem Espresso zugespielt wurden, zeigt auch das überfüllte, von den Italienern betriebene Gefängnis. Außerdem liegt dem Heft eine CD mit Fotos, Interviews und Filmen von Bin Laden bei, Gianni Perelli erzählt dazu etwas (wenig Neues) über den Terrorscheich.
Point (Frankreich), 24.06.2004
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q39/A8145/point.jpg)
New York Review of Books (USA), 15.07.2004
Über neuen Schwung in die Literaturkritik freut sich Daniel Mendelsohn: "Eindeutige Worte - ganz zu schweigen von aristophanischer Übertreibung, komischer Lebhaftigkeit und dem schuldhaften Vergnügen, die Demütigung anderer zu erleben - bietet ein neues Werk der Literaturkritik, geschrieben von dem Schriftsteller Dale Peck. Der Titel des Buchs, "Hatchet Jobs" sagt eine Menge über den Stil des Autors. Im Sommer 2002 veranstaltete Peck, wie er selbst in seiner Einleitung zu den zwölf Essays stolz schreibt, ordentlich 'Krawall in der Bücherwelt'. Grund war eine vernichtende Kritik, die er zu den Erinnerungen des Romanciers Rick Moody geschrieben hatte - und den Peck in einer für seinen modus operandi typischen Eröffnungssalve als 'den schlechtesten Schriftsteller seiner Generation' bezeichnete." (Einen Artikel über den Zustand der amerikanischen Literaturkritik findet sich auch in der kanadischen Zeitschrift "The Walrus". Darin wünscht sich Andy Lamey mehr von der hohen Kunst, schlechte Kritiken zu schreiben.)
Weiteres: Die Medizinerin Marcia Agnell knöpft sich die Pharma-Industrie vor, die unter der magischen Formel "Forschung und Entwicklung" immer höhere Kosten veranschlagt, dabei aber vor allem immer höhere Gewinne verbucht und immer weniger forscht und entwickelt. Anthony Lewis kommentiert die Memoranden der US-Regierung zur Behandlung von Gefangenen: "Diese Memos lesen sich wie die Ratschläge eines Mafia-Anwalts an seinen Paten." Stephen Kinzer hält es für immer wahrscheinlicher und richtiger, dass die EU im Dezember Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen wird. John Updike widmet sich der Ausstellung zum Werk des amerikanischen Impressionisten Childe Hassam im Metropolitan Museum of Art in New York. Außerdem besprochen wird eine Geschichte der Festmähler von Roy Strong.
Weiteres: Die Medizinerin Marcia Agnell knöpft sich die Pharma-Industrie vor, die unter der magischen Formel "Forschung und Entwicklung" immer höhere Kosten veranschlagt, dabei aber vor allem immer höhere Gewinne verbucht und immer weniger forscht und entwickelt. Anthony Lewis kommentiert die Memoranden der US-Regierung zur Behandlung von Gefangenen: "Diese Memos lesen sich wie die Ratschläge eines Mafia-Anwalts an seinen Paten." Stephen Kinzer hält es für immer wahrscheinlicher und richtiger, dass die EU im Dezember Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen wird. John Updike widmet sich der Ausstellung zum Werk des amerikanischen Impressionisten Childe Hassam im Metropolitan Museum of Art in New York. Außerdem besprochen wird eine Geschichte der Festmähler von Roy Strong.
Times Literary Supplement (UK), 25.06.2004
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"Die Welt füllt sich mit enttäuschten Blair-Anhängern", spottet Robert Skidelsky und lauscht mit einer gewissen Genugtuung dem anschwellenden Chor eloquenter Kritiker. Zum Beispiel David Marquand, der sich in seinem "kraftvollen" Buch "Decline of the Public" die von New Labour betriebene Demontage des öffentlichen Sektors vornimmt. Besprochen werden außerdem Barry Strauss' Studie über "Salamis" (die der großen Schlacht endlich "ein Gesicht" gibt, wie sich Tom Holland freut) und Robert Bartletts Buch "The Hanged Man", das die Geschichte des Walisers William Cragh erzählt, den die englischen Besatzer drei mal hängen mussten, bis sein Widerstandsgeist gebrochen war und das Seil hielt.
London Review of Books (UK), 24.06.2004
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Weitere Artikel: Amit Chaudhuri lobt Dipesh Chakrabartys "Provincialising Europe", das die Moderne als kulturelle Spezifik des Westens reflektiert und damit erkennt, dass der "Warteraum der Geschichte", in den die anderen Kulturen geraten sind, weil sie noch keine Moderne produziert haben, gar kein Warteraum ist, sondern ein Abstellgleis. John Connelly tadelt Norman Davies' Studie ("Rising ཨ: The Battle for Warsaw") über die unnötig blutige Befreiung Warschaus im Zweiten Weltkrieg als romantisch und unkritisch. In Short Cuts entschuldigt Thomas Jones zynisch die erfolgsverliebten Verlage, die nur Schrott auf den Markt bringen: Schließlich sei es heutzutage schwer, einen talentierten Autor zu vermarkten. Und Peter Campbell lässt sich in der Londoner Tate Modern einspinnen von Edward Hoppers besonderer Art von Melancholie.
Literaturen (Deutschland), 01.07.2004
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q21/A8137/literaturen.jpg)
Franz Schuh graut es vor der "Mankellisierung" der Krimi-Welt. Dafür schwärmt er von dem Satz, mit dem Alicia Gimenez-Bartlett Schweden beschreibt: "In eine stinkende Pfütze zu treten war leicht, aber den Fuß in einen See mit Schwänen zu setzen war etwas ganz anderes." In der Netzkarte beobachtet Aram Lintzel, dass im Internet eine autoritäre Bestenliste die nächste jagt, und verrät seine eigene Nummer Eins der Hitlisten-Hitparade: Listology.
Im Magazin berichtet Torsten Israel vom Sturm olympischer Bücher auf den griechischen Büchermarkt und von der aktuellen Debatte über Gegenwart und Zukunft der griechischen Literatur. Aus Italien kündigt Henning Klüver die nächste große Umberto-Eco-Welle an und klagt über den Einbruch im Taschenbuchmarkt, der den Tageszeitungen und ihrer neuen Beilagenpolitik zu verdanken ist. Ganz bezaubert zeigt sich Manuela Reichart von Christoffer Boes dänischem Liebesfilm "Reconstruction", der Bilder dafür findet, was es bedeutet, wenn nach einem Seitensprung nichts mehr ist wie vorher. Und was liest die Professorin für Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsforschung Helga Nowotny? Peter Nichols' Roman "Darwins Kapitän".
Nur im Print: Peter Demetz' Lobgesang auf Elisabeth Edls neue Übersetzung von Stendhals "Rot und Schwarz", Robert Devilles Streifzug durch Neuerscheinungen zum Ersten Weltkrieg und Gustav Seibts Porträt Guiseppe Tomasi di Lampedusas, dessen "Leopard" ebenfalls neu übersetzt wurde.
Economist (UK), 25.06.2004
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q14/A8138/economist.jpg)
Weitere Artikel: Bill Clintons Autobiografie "My Life" hat den erwartungsvollen Economist ziemlich enttäuscht, und zwar gerade deswegen, weil Clinton alles hat, was es zu einer inspirierenden Autobiografie braucht. Nach amerikanischem Vorbild verabschieden jetzt auch die Briten ein Gesetz gegen die Diskriminierung aus Altersgründen am Arbeitsplatz, berichtet der Economist zufrieden. Die Zukunft der Werbung, so der Economist weiter, liegt in der besseren Einschätzung ihrer Wirksamkeit und nicht ihrer quantitativen Präsenz. Der Economist kann gut verstehen, warum die Irakis ihre Dinare immer noch lieber in ihr Kopfkissen stopfen als sie auf einem Bankkonto zu deponieren. Irritiert fragt sich der Economist, ob Alan Greenspan bewusst ist, wie dringend man die Inflation eindämmen muss.
Im Aufmacher, aber nur in der Printausgabe zu lesen: das Porträt des neuen irakischen Regierungschef Iyad Allawi.
New York Times (USA), 27.06.2004
Lang ist die Liste der neuen Kurzgeschichten, die sich die New York Times Book Review in dieser Ausgabe vornimmt. "Entweder ist es das coolste Ding, das gerade in der anspruchsvollen Literaturszene abgeht oder der verdammt schlagende Beweis, dass die amerikanische Belletristik fast am Ende ist", poltert Walter Kirn über "Oblivion" von David Foster Wallace. Eindeutiger und wohlmeinender fällt Thomas Mallons Resümee über "The Lemon Table" aus, der neue Kurzgeschichtenband des etwas arrivierteren Julian Barnes. "Viele scharfe, sogar grausame, komische Bilder. Stilistisch vermeidet Barnes Bravourstücke und zieht den dauerhaften, gefälligen Witz des englischen komischen Realismus vor, in dem schiere Intelligenz und genaue Beobachtung die ganze Konstellation tragen, Zeile für Zeile und Seite für Seite." Hier liest Barnes selbst. Den Short-Stories-Schwerpunkt komplettieren Besprechungen von E. L. Doctorows Band "Sweet Land Stories" (Auszug) und David Bezmozgis' Zyklus "Natasha" (Auszug).
Laura Secor nähert sich der legendären Leiterin des Verlags Simon & Schuster, Alice Mayhew, die so aufsehenerregende Bücher wie "All the President's Men" herausbringt, um ihre Person aber ein großes Geheimnis macht. Geoffrey Wheatcroft begeistert sich für die gesammelten Briefe des "Geistesgiganten" Isaiah Berlin aus den Jahren 1924-1946, die einen guten Teil der sozialen und literarischen Geschichte Englands im 20. Jahrhundert entschlüsseln. Cristina Nehring lästert schließlich über den neuen Typus des Buchliebhabers, der stolz auf seine Belesenheit ist, ansonsten aber nichts zu sagen hat.
Im New York Times Magazine tröstet uns Arthur Lubow, dass nicht nur in Berlin die Kultur am Boden ist: Das altehrwürdige New York Philharmonic Orchestra kränkelt, denn das Geld fließt nicht mehr, schreibt Lubow. "Vor etwas mehr als zehn Jahren brachten Radio- und Fernsehverträge etwa 700.000 Dollar jährlich ein. Heute dümpelt man bei 150.000 herum. Und wenn das Orchester ein wichtiges neues Werk eines berühmten zeitgenössischen Komponisten einspielen will, muss es den Hut herumreichen."
Für Michael Ignatieff macht der Irak Amerika endgültig zu einem ganz gewöhnlichen Land. "Die Illusion, von der die USA im Irak und überall aufwachen müssen, ist die, dass sie Gottes Vorsehung erfüllen oder (für diejenigen mit säkulareren Ansichten) der Motor der Geschichte sind. Im Irak ist Amerika nicht der Schöpfer der Geschichte, sondern ihr Spielzeug." Erfrischend ist Deborah Solomons Gespräch mit Ronald P. Reagan, der so ganz andere Ansichten als sein präsidentieller Vater hat. Außerdem wägt Barry Bearak die Chancen des brasilianischen Präsidenten Lula ab, wie versprochen das Los seiner Landsleute zu verbessern. Und Benoit Denizet-Lewis geht der Frage nach, wie aus den mittelmäßigen Tennisspieler Brad Gilbert der beste Trainer der Welt werden konnte.
Laura Secor nähert sich der legendären Leiterin des Verlags Simon & Schuster, Alice Mayhew, die so aufsehenerregende Bücher wie "All the President's Men" herausbringt, um ihre Person aber ein großes Geheimnis macht. Geoffrey Wheatcroft begeistert sich für die gesammelten Briefe des "Geistesgiganten" Isaiah Berlin aus den Jahren 1924-1946, die einen guten Teil der sozialen und literarischen Geschichte Englands im 20. Jahrhundert entschlüsseln. Cristina Nehring lästert schließlich über den neuen Typus des Buchliebhabers, der stolz auf seine Belesenheit ist, ansonsten aber nichts zu sagen hat.
Im New York Times Magazine tröstet uns Arthur Lubow, dass nicht nur in Berlin die Kultur am Boden ist: Das altehrwürdige New York Philharmonic Orchestra kränkelt, denn das Geld fließt nicht mehr, schreibt Lubow. "Vor etwas mehr als zehn Jahren brachten Radio- und Fernsehverträge etwa 700.000 Dollar jährlich ein. Heute dümpelt man bei 150.000 herum. Und wenn das Orchester ein wichtiges neues Werk eines berühmten zeitgenössischen Komponisten einspielen will, muss es den Hut herumreichen."
Für Michael Ignatieff macht der Irak Amerika endgültig zu einem ganz gewöhnlichen Land. "Die Illusion, von der die USA im Irak und überall aufwachen müssen, ist die, dass sie Gottes Vorsehung erfüllen oder (für diejenigen mit säkulareren Ansichten) der Motor der Geschichte sind. Im Irak ist Amerika nicht der Schöpfer der Geschichte, sondern ihr Spielzeug." Erfrischend ist Deborah Solomons Gespräch mit Ronald P. Reagan, der so ganz andere Ansichten als sein präsidentieller Vater hat. Außerdem wägt Barry Bearak die Chancen des brasilianischen Präsidenten Lula ab, wie versprochen das Los seiner Landsleute zu verbessern. Und Benoit Denizet-Lewis geht der Frage nach, wie aus den mittelmäßigen Tennisspieler Brad Gilbert der beste Trainer der Welt werden konnte.