Magazinrundschau - Archiv

Kafka

3 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 08.11.2004 - Kafka

Die Kafka-Ausgabe ist ganz dem neuen und alten Antisemitismus in Europa gewidmet. Der Historiker Michael Wildt sieht vor allem in der Ablehnung des Neuen ein altes Muster: "In der Kritik an Israel entzündet sich offenbar ein symbolischer Konflikt, der mit antisemitischen Stereotypen befeuert wird. Ähnlich wie im 19. Jahrhundert die Juden zum Inbegriff der Moderne wurden und jedwede Kritik an Modernität antisemitisch ausgedrückt werden konnte, so steht am Beginn des 21. Jahrhundert zu befürchten, dass alle Erfahrungen von globaler Unsicherheit, Diskriminierung und Bedrohung im Krieg zwischen Israel und den Palästinensern ein weltweites Symbol finden und Antisemitismus erneut zu einem 'kulturellen Code' werden wird."

Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, kann dagegen keinen gestiegenen Antisemitismus in Europa feststellen: "Die Israelis sollten dazu übergehen, anstatt ihrer historischen Empfindlichkeit nachzugeben, die kritischen Thesen gegen ihre Politik mit Argumenten zu widerlegen."

Der in der Slowakei geborene Autor Peter Ambros erklärt den "Volksantisemitismus des klero-faschistischen Staates" als einen "sentimentalen Antisemitismus der moralischen Verzweiflung" und weist auf einen entscheidenden Unterschied hin: "Der jüdische Volksfeind in der Slowakei war weder der Komponist noch der Unternehmer. Es waren die Dorfschankwirte." Außerdem schreiben Ulrich Beck, György Dalos, Basil Kerski ...

Und wie immer das ganze auch auf Tschechisch, Ungarisch, Polnisch und Slowakisch.

Magazinrundschau vom 26.04.2004 - Kafka

Die neue Ausgabe von Kafka beschäftigt sich mit den Vertreibungen des 20. Jahrhunderts und das wie immer auch auf Polnisch, Ungarisch, Tschechisch und Slowakisch..

Der tschechische Psychiater und Publizist Petr Prihohoda fürchtet, dass die Vertreibung der Sudetendeutschen nur eine von mehreren unbewältigten Vergangenheiten ist: "Die meisten Tschechen haben außer Befürchtungen keine spontane Zukunftsvision. Eine Minderheit setzt auf die Europäische Union. Und die Mehrheit? Die ist ambivalent, viele empfinden Unlust... In diese Gemengelage dringt von Zeit zu Zeit die Stimme der Sudetendeutschen. Es sind nicht viele, doch rühren sie an den neuralgischen Punkt unserer Existenz. Ihre Vertreibung hat nicht nur sie, sondern auch uns verletzt. Selbst wenn man einen Moment lang die moralische Seite ausklammert, sind die Beschädigungen enorm. Die sudetendeutschen Gebiete erlebten eine Zerstörung, die wir nicht rückgängig gemacht, sondern noch vergrößert haben. Die Vertreiber und ihre Befürworter waren später entscheidend an der Gestaltung der Verhältnisse im ganzen Land beteiligt. Vertreibung wurde eine zulässige Methode, denn auf die Vertreibung der Deutschen folgte die weiterer Gruppen; nicht aus dem Land, sondern an den Rand der Gesellschaft und in die Gefängnisse."

Die jugoslawisch-ungarische Schriftstellerin Victoria Radics erzählt von den Isbeglica, den Hunderttausenden von Heimatlosen auf dem Balkan: "Isbeglica an der grünen Grenze, Isbeglica in sündhaft teuren Autos. In Massenquartieren, in Luxushotels und in Gästezimmern. Im Zug, die Habe gebündelt auf dem Rücken, oder mit riesigen Siegelringen an den Fingern. In Wien, in Berlin, in Budapest. Ungarn, Albaner, Serben und Moslems."

In der Printausgabe ist auch ein Essay von Karl Schlögel über das Jahrhundert der Vertreibungen zu lesen: "Wo solch ungeheure Menschenmassen im Bruchteil einer historischen Sekunde versetzt werden, müssen ungeheure Kräfte wirksam gewesen sein. Es bedarf einer ungeheuren Gewalt, um die Trägheit des Lebens zu überwinden, die Routinen zu erschüttern und Menschen in Bewegung zu versetzen. Daher ist seit jeher der Schock, die überfallartige Situation, die das Überraschungsmoment nutzt, ganz entscheidend. Mit langen Erklärungen wird nur alles komplizierter, ja verdorben. Man darf den zum Abtransport Bestimmten nicht mehr als maximal eine halbe Stunde geben, sonst kommen sie ins Nachdenken darüber, was man dagegen unternehmen kann ..."

Weiteres: Der Publizist Adam Krzeminski glaubt, dass der deutsch-polnische Streit um die Vertriebenen weniger diesen selbst und ihrem Schicksal gilt als vielmehr der politischen Rolle des Bundes der Vertriebenen. Und Doris Liebermann erinnert an verschiedene Schicksale deutscher Tschechen.

Magazinrundschau vom 22.12.2003 - Kafka

Mit Freude nehmen wir zur Kenntnis, dass Kafka, die Zeitschrift für Mitteleuropa, nun auch ihre Texte ins Netz stellt. Zumindest einige und zwar auf Deutsch, Polnisch, Tschechisch/Slowakisch und Ungarisch! Die neue Ausgabe ist dem Wort und seiner Schöpfermacht gewidmet. Das Editorial erinnert allerdings daran, dass es die Gensequenz Fox P2 ist, die unsere Sprachentwicklung steuert, und dass dieses Gen bei Mensch und Maus nur in drei von 715 Aminosäuren unterschiedlich ist.

Der polnische Schriftsteller Stefan Chwin (mehr hier) geht in einem langen Essay der Frage nach, wer eigentlich macht, "dass einige Wörter leben, dauern, glänzen, strahlen"? "Früher, im totalitären System, war der Zensor, der Sekretär, der Offizier der Geheimpolizei Herr der Wörter (missliebig waren etwa Katyn, Stalinsche Verbrechen, Machtmissbrauch oder Butter- und Fleischmangel). Heute ist es nicht nur der Eigentümer des Fernsehkonzerns, der entscheidet, was die Sprecher in der Hauptausgabe der Tagesschau sagen sollen. Es ist auch der Fernsehzuschauer mit der Fernbedienung, der mit einem Fingerschnipp den Politiker, dessen Worte ihm 'nicht passen', vom Bildschirm verschwinden lässt und das Literaturprogramm mit dem Nobelpreisträger auf einen Sendeplatz um 23.45 Uhr verbannt, weil 'solche Sachen' ihn 'langweilen'."

Weiteres: Ales Knapp versucht, sich die Anti-Kundera-Stimmung in Tschechien zu erklären, die, wie Knapp darstellt, unter anderem Vaclav Havel verbreitete, weil sich Kundera 1969 weigerte, den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen als "nationale Katastrophe" zu bezeichnen. 1997 hat Kunderas tschechischer Verlag aufgehört, seine Bücher neu zu edieren. Und vom ungarischen Autor Laszlo Darvasi ist der "Bericht der Tsin Akademie über die verschiedenartige Natur der Wörter" zu lesen.

Im Print: Marleen Stoessel unterhält sich mit dem polnischen Dichter Czeslaw Milosz über die Jahre in der französischen Emigration, seine Rückkehr nach Polen, über die Identität und das "Leiden" als Schlüssel zum modernen Denken.