Magazinrundschau - Archiv

Lidove noviny

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Magazinrundschau vom 30.01.2024 - Lidove noviny

Kateřina Černa, Praha od Ladvi, 1962. Foto: Museum Kampa


In ihrem Nachruf auf die hierzulande nahezu unbekannte tschechische Künstlerin Kateřina Černa (1937-2024) würdigt Jana Machalická das Werk "einer der eigensinnigsten Künstlerinnen aus der Generation, die sich in den 1960er-Jahren etablierte". Mit ihren verspielt-poetischen und schwer einzuordnenden Grafiken und Gemälden sei Černa (der das Prager Museum Kampa vergangenes Jahr eine Ausstellung widmete), zwischen Gruppen und Strömungen immer ein Solitär gewesen. "Auf ihren Kollagen, Zeichnungen, gemalten Postkarten finden sich meist weiblichen Figuren. Puppen, Prinzessinnen, Eiskunstläuferinnen, Schwimmerinnnen, Bräute, Mädchen am Meeresstrand (…), die ebenso aus der Welt der Märchen und Geschichten wie aus der Realität stammen, sowohl zart als auch stark sind, während in der Welt um sie herum allerlei passiert." Das Schaffen Kateřina Černás bestricke vor allem dadurch, dass die Künstlerin findig und fantasievoll unterschiedliche Techniken zu nutzen verstand, so Machalická. "Es hat in sich etwas von der Unmittelbarkeit Naiver Malerei und dem ungetrübten Reiz der Volkskunst, gleichzeitig aber sind ihre Werke raffiniert und anspruchsvoll und erzählen ihre Geschichten mit kluger Distanz und Ironie."

Magazinrundschau vom 24.10.2023 - Lidove noviny

Zu ihrem 90. Geburtstag feiert Radim Kopáč die hierzulande völlig unbekannte Zdena Salivarová als große Dame der tschechischen Literatur. Mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Josef Škvorecký, emigrierte sie nach der Zerschlagung des Prager Frühlings 1969 nach Toronto und gründete dort den legendären Exilverlag Sixty-Eight Publishers, in dem namhafte tschechoslowakische Dissidentenliteratur erschien, "ein unverzichtbarer Kanon, Gedächtnis und Identität: Blatný, Effenberger, Hiršal, Heisler, Hostovský, Peroutka, Seifert, aber auch Gruša, Havel, Hrabal, Kliment, Kundera, Lustig oder Vaculík." Zdena Salivarová- Škvorecká war aber nicht nur eine wichtige Verlegerpersönlichkeit, sondern auch selbst Schriftstellerin, erinnert Kopáč, "eine der wenigen Frauen der tschechischen Literatur der Sechzigerjahre", die zudem "gegen die Männer aufbegehrte". Auf Milan Kunderas "Buch der lächerlichen Liebe", der doch recht "machohaften Darstellung von Liebesbegegnungen, in denen der Mann als raffinierter Beziehungskombinator erscheint und die Frau als Spielobjekt fungiert", antwortete Salivarová mit ihrem Erstling, der Erzählsammlung "Pánská jízda" (Herrenfahrt) von 1968, in der sie den männlichen Helden als selbstverliebten Zyniker in Sachen Sexualität darstellte, "zu jener Zeit ein vergleichsweise kritischer, gewagter Ton". Zugleich betont Kopáč die Kosmopolität der Literatin, die sie angesichts ihrer Familiengeschichte zwangsläufig pflegte: "Der Vater Jaroslav Salivar, ein Buchhändler und Verleger, geriet 1949 in stalinistische Gefangenschaft und emigrierte nach seiner Freilassung in die USA. Ihr Bruder Lumír überlebte als Widerständler gegen das kommunistische Regime die schlimmen Jahre 1949-1959 als Zwangsarbeiter in den Uranminen von Jáchymov und floh 1976 nach Kanada." Existenzielle Erfahrungen, denen Salivarová in ihrem Werk und Leben jedoch stets den Humor entgegengesetzt habe. (Ein Beispiel ihres unnachahmlichen Tons ist der Roman "Ein Sommer in Prag", der im Frühjahr erstmals auf Deutsch im Mitteldeutschen Verlag erscheint.)

Magazinrundschau vom 25.04.2023 - Lidove noviny

Josef Mánes: "Näherin", 1858/59. Nationalgalerie Prag


Jiří Machalický berichtet von einer Ausstellung in der Prager Nationalgalerie mit Werken des böhmischen Künstlers Josef Mánes (1820-1871). Mánes, der selbst aus einer Künstlerfamilie stammte, verarbeitete in seinem Werk Strömungen der Romantik, des Klassizismus und des Realismus und übertraf laut Machalický seine Künstlerverwandten in seiner "lockeren Wiedergabe von Landschaft, die für seine Zeit sehr modern war". Er habe es verstanden, mit bloßen Andeutungen Atmosphäre zu schaffen, wenn er etwa räumliche Ebenen mit Leichtigkeit in der Ferne verschwinden ließ. "Ebenfalls mit zarten Andeutungen und ohne akademische Routine erfasste er Schönheit und charakteristische Züge von Gesichtern und hob das Wesentliche hervor." Als er nach München ging, hatte das Werk von Malern wie Moritz von Schwind oder Carl Spitzweg einen wichtigen Einfluss auf ihn. Machalický schwärmt vor allem von Mánes' freien malerischen oder zeichnerischen Studien, die gerade weil der Künstler sich nicht allzu sehr mit Details aufhielt, so lebendig und authentisch wirkten.

Magazinrundschau vom 27.09.2022 - Lidove noviny

Das legendäre Theater Rote Fackel im russischen Nowosibirsk hat kurzfristig die Premiere von Karel Čapeks Stück "Die Weiße Krankheit" abgesagt, wie die Lidové noviny berichtet. Eigentlich sollte die Inszenierung diesen September starten. "Manchmal werden Themen in einer bestimmten Zeit plötzlich irrelevant", habe der Regisseur Gleb Tscherepanow die Absage begründet - was nur die enorme Relevanz dieses Theaterstücks beweist. Der tschechische Dramatiker Karel Čapek schrieb das Stück im Jahr 1936 und nahm damals visionär den Überfall der Nationalsozialisten auf die Tschechoslowakei vorweg: Während einer weltweit herrschenden Pandemie einer unbekannten, tödlichen Krankheit beschließt ein Diktator, sein Nachbarland anzugreifen. Doktor Galén, der ein Heilmittel entwickelt, will dieses jedoch nur den Armen zukommen zu lassen, allen anderen erst dann, wenn die Regierung vom Krieg ablässt. Die Theaterkompanie führt an, der Spielplan stamme noch aus dem Jahr 2020, und seither hätten sich "viele Umstände verändert". Der frühere Leiter des Hauses, der kremlkritische Regisseur Timofei Kuljabin hatte die Rote Fackel bereits dieses Jahr verlassen - "auf eigenen Wunsch", wie die Kompanie mitteilte.

Magazinrundschau vom 19.07.2022 - Lidove noviny

Der Schriftsteller Miloš Urban, dessen neuer Roman "Továrna na maso" ("Die Fleischfabrik") im Prag der Zwanzigerjahre spielt und in einer schwarzen Groteske um den Holešovicer Schlachthof kreist, spricht im Interview auch über seine ursprüngliche Heimat Karlovy Vary, das einstige Karlsbad: "Als ich dort aufwuchs, wurde man ständig daran erinnert, dass es ein 'Kurbad von Weltrang' sei. Auf gewisse Weise stimmte das, in den siebziger Jahren versammelten sich dort ähnliche Nationalitäten wie heute - Russen, Deutsche, Schweizer, die Highsociety des Ostblocks. Die Stadt erschien einem bunt und lebendig. Nach der Samtenen Revolution haben Russen allerdings die halbe Stadt aufgekauft und dann in der Folge festgestellt, dass sie es wieder loswerden müssen - und das lange vor der Invasion in die Ukraine. Und daher kommen jetzt die riesigen Probleme der Stadt, angefangen mit den verfallenden Hotels und endend mit einem generellen Ohnmachtsgefühl. In der Umgebung konnte zwar einiges restauriert werden - es gibt jetzt zum Beispiel eine schöne Bibliothek, aber das liegt alles am Stadtrand, außerhalb des historischen Zentrums. Ich bin froh, dass Karlovy Vary jetzt zusammen mit Mariánské Lázně (Marienbad) und Františkovy Lázně (Franzensbad) ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wurde, aber wie viel das helfen wird, weiß ich nicht. Wer es fertigbringt, diese Stadt zu erhalten, sollte irgendeinen Staatspreis bekommen."

Magazinrundschau vom 04.01.2022 - Lidove noviny

Mit dreiundneunzig Jahren ist vergangene Woche der tschechische Lyriker, Journalist und Übersetzer Karel Šiktanc gestorben, "einer der Letzten (neben Milan Kundera oder Pavel Kohout), der sowohl die Erste Republik als auch den Zweiten Weltkrieg, den Stalinismus, die gesellschaftskulturelle Lockerung der sechziger Jahre, zwei Jahrzehnte der 'Normalisierung' und drei Jahrzehnte der Nachwende-Freiheit erlebt hat", wie Radim Kopáč in seinem Nachruf schreibt, "einfach all diese Purzelbäume, Hochs und Tiefs der tschechischen Geschichte." Die Sprache mit all ihren feinen Nuancen und Facetten habe in seinen Texten immer die Hauptrolle gespielt. "Er schrieb sich durch sie näher an die Realität heran", war dabei kein spontaner Dichter, der einer plötzlichen Stimmung folgte, sondern "feilte, schrieb um, schliff und schrieb wieder um". Dabei hatte er zunächst als "naiver Sänger auf einer stalinistischen Note begonnen". Seine Lyrik von Anfang der fünfziger Jahre, so Kopáč, zeugt von seiner persönlichen Begeisterung für den kollektiven Wahn, dessen Schattenseite Hunderte und Tausende Tote verzeichnete. Die Ernüchterung und allmähliche Wandlung folgten in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre. Šiktanc war Mitbegründer der Gruppe Květen, die sich der Alltagspoesie verschrieb, und wurde schließlich Samizdat-Autor. Immer spielte bei ihm das Bewusstsein eine Rolle, "dass die Sprache Gedächtnis ist und das Gedächtnis Identität - und ohne Identität der Mensch tot ist."

Magazinrundschau vom 28.09.2021 - Lidove noviny

Jana Machalická unterhält sich mit dem polnischen Theaterregisseur Krystian Lupa, der Autoren wie Kafka, Thomas Bernhard und W. G. Sebald auf die Bühne gebracht hat, international hohes Ansehen genießt, für die Kulturpolitik seines Landes jedoch harsche Worte findet: "Es ist ein Krieg. Die Regierungspartei will Künstler und Kulturschaffende in Polen unter ihrer Fuchtel haben, damit sie auf Zuruf parieren und Propaganda für sie machen. Es sind die gleichen Verhaltensformen, wie Goebbels sie hatte. Der Leiter des Wrocławer Theaters war zu unabhängig, bekam die Rechnung dafür und wurde abgelöst. Ich habe als Augenzeuge miterlebt, wie das Auswahlverfahren manipuliert wurde, und die das Sagen hatten, haben es nicht einmal verschleiert. Hinter den Klotüren sagten sie uns, sie würden uns verstehen, aber sie hätten Anweisung von oben, wer das Theater leiten soll. Darum bin ich aus der Kommission ausgetreten, und natürlich gewann der, der von vornherein dafür bestimmt war. Das Theater ist zerfallen, zum Teil gingen die Schauspieler selbst, andere wurden vom neuen Direktor rausgeworfen. Es war wirklich wie bei Kafka. Und so gibt es heute zwei Sorten von Theatern in Polen: Die einen sind Pro-Regime-Stätten, die der Regierungspartei dienen und wo sich die Schauspieler prostituieren. Und dann haben wir noch freies Theater, das dort funktionieren kann, wo es nicht auf Staatsgelder angewiesen ist, was zum Beispiel in Warschau dank des Bürgermeisters möglich ist."

Magazinrundschau vom 11.05.2021 - Lidove noviny

Toyen, Tous les éléments, 1950


Soeben wurde in der Prager Nationalgalerie die große Austellung "Toyen: Die träumende Rebellin" (Snící rebelka) eröffnet. Die tschechische Surrealistin, die eigentlich Marie Čermínová hieß, sich mit der Abkürzung des Wortes Citoyen aber einen geschlechtsneutralen Namen gab, wird "zunehmend unter Sammlern entdeckt", freut sich der Kunsthistoriker Jiří Machalický, "und die Preise ihrer Bilder steigen in schwindelerregende Höhen." Toyen gehörte früh zur tschechischen Avantgardegruppe Devětsil, begründete mit anderen zusammen den sogenannten Artificialismus und kam bald in Kontakt mit den französischen Surrealisten. Während der nationalsozialistischen Okkupation, während der sie mit ihrer 'entarteten Kunst' in den Prager Untergrund ging, "bewies Toyen außerordentlichen Mut, als sie in ihrer Žižkover Wohnung mehrere Jahre lang den Dichter Jindřich Heisler versteckte". Nach Kriegsende zog sie dauerhaft nach Paris um, wo sie wieder in engem Kontakt mit den Surrealisten, vor allem mit André Breton stand. Nach Prag kehrte sie nie wieder zurück. Die Retrospektive versammelt Gemälde, Zeichnungen und Illustrationen aus der Frühzeit bis zu den späten Werken. Machalický sieht den Höhepunkt ihrer Kunst vor allem in den frühen Werken, in denen sich "eine reizvolle Naivität mit dem Wissen um die zeitgenössischen Entwicklungen verbindet. Damals näherte sie sich dem Purismus und dem Konstruktivismus an, und ihr frühes Schaffen ist vom Zauber des Alltagslebens, des Tanzes und der schlichten Straßenunterhaltung geprägt." Für ihn ist sie "unbestreitbar eine der wichtigsten Figuren nicht nur der tschechischen Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts."

Magazinrundschau vom 08.12.2020 - Lidove noviny

Die Villa Winternitz. Foto: Jeho Archiv, Villa Winternitz. Mehr Bilder aus dem Inneren der Villa bei Lidove noviny


Zum 150. Geburtstag von Adolf Loos öffnet sich in Prag-Smíchov die Villa Winternitz zu einer Ausstellung über den Brünner Architekten und sein Werk, wie die Lidové noviny berichten, wobei das größte Exponat freilich die Villa selbst ist. Josef Winternitz ließ sich das Haus 1932 von Adolf Loos und Karel Lhota erbauen (es war das letzte Werk von Loos, das erst nach seinem Tod fertiggestellt wurde), doch die jüdische Familie Winternitz wurde wenige Jahre später von den Nationalsozialisten daraus vertrieben, die meisten von ihnen ermordet. Ein Teil der Ausstellung widmet sich deshalb auch der Familie Winternitz selbst, deren Schicksal, wie der Urenkel und jetzige Leiter der Villa David Cysař sagt, "sowohl vom Holocaust als auch vom Kommunismus tief gezeichnet wurde". Erst 1997 erhielten die Erben im Zuge der Restitution die Villa zurück und konnten sie in ihre ursprüngliche Gestalt zurückbauen. Das Besondere an der Ausstellung ist, dass alle Räume frei zugänglich sind, "der Besucher sich zum Beispiel in die Sessel setzen und die vorhandenen Bücher lesen darf, so dass man die Ideen und das Werk von Adolf Loos mit allen Sinnen aufnehmen kann".

Magazinrundschau vom 24.11.2020 - Lidove noviny

Abb. aus dem Katalog zur Ausstellung
Das Prager Museum Kampa zeigt eine Retrospektive der tschechischen Künstlerin Olga Karlíková (1923-2004). Als frühe Unterzeichnerin der Charta77 hatte Karlíková in der kommunistischen Tschechoslowakei nicht viele Ausstellungsmöglichkeiten und blieb lange recht unbekannt - was diese Ausstellung (die wegen Corona wohl verlängert wird) ändern möchte. Ihr Markenzeichen, erklärt der Kunsthistoriker Jiří Machalický, sei in Grafiken und Gemälden das Aufzeichnen von Tönen gewesen, ihr Anschwellen und Abebben, der wandelbare Rhythmus von konkreten Vogelarten oder der Geräusche, die ein ganzer Vogelschwarm von sich gibt. "In ihrem zarten Strich, der unglaublichem Geduld, ihrem Einfallsreichtum und auch der Demut vor der Natur näherte sie sich der asiatischen Kalligrafie an." Aber auch ihre Wahrnehmung von Musik (von Barock bis Moderne) drückte sie in ihren Arbeiten visuell aus. Zu jener Zeit, so der Kunsthistoriker Jiří Machalický, sei diese Verbindung auditiver Eindrücke mit visuellen Mitteln sowohl in ihrem Land als auch international einzigartig gewesen.