Magazinrundschau - Archiv

Literary Hub

7 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 27.02.2024 - Literary Hub

Was ist eigentlich heute die Linke, fragt sich die von den vielen Widersprüchen gründlich irritierte amerikanische Autorin Rebecca Solnit. "Ich wünschte, ich wüsste es. Als die Russische Föderation am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, war die Tatsache, dass ein Teil der vermeintlichen Linken das Putin-Regime entschuldigte, rechtfertigte oder sogar anfeuerte, unter anderem eine Erinnerung daran, dass 'links' seit langem eine Wundertüte voller Widersprüche ist. Später kamen die 'Friedensmärsche', die dafür plädierten, dass die USA ihre Unterstützung zurückziehen und die Ukraine sich ergeben solle. Die jüngsten Berichte über diese Teile der Linken, die die chinesische Regierung unterstützen und deren Menschenrechtsverletzungen herunterspielen, erinnern daran, dass es sich um ein andauerndes Problem handelt, das viele Formen annimmt. Ich habe gesehen, wie diese Linke Völkermord leugnete: Sie entschuldigte die Chinesen im Fall der Uiguren, rechtfertigte die Invasion und Unterwerfung Tibets, leugnete den Holodomor - den sowjetischen Völkermord durch die Hungersnot in der Ukraine der 1930er Jahre -, beschönigte sogar die Pol-Pot-Ära in Kambodscha und stellte sich auf die Seite Assads, der einen brutalen Krieg gegen das syrische Volk führt. Es sollte eine bescheidene Bitte sein, dass 'links' nicht gleichbedeutend ist mit der Unterstützung autoritärer Regime, die mit dem Blut ihres eigenen Volkes getränkt sind."

Magazinrundschau vom 19.09.2023 - Literary Hub

Ist Englisch eine indische Sprache? Ende der 50er Jahre bejahten dies die Mitglieder des von Purushottama (P.) Lal gegründeten Writers Workshops auf jeden Fall so, erzählt Liesl Schwabe die in Literary Hub diesen unabhängigen Verlag aus Kalkutta ehrt, der immer noch publiziert. Wie wäre es auch anders möglich gewesen, sich in einem Land mit gut 100 großen Sprachen und tausenden Dialekten zu verständigen? Aber es gab natürlich auch Stimmen wie den bengalischen Autor Buddhadeva Bose, der die Mitglieder des Workshops der Anglomanie bezichtigte. Lal reagierte auf diesen Vorwurf mit einem Fragebogen, den er per Post an Dutzende indischer Dichter schickte und in dem er fragte: "'Aus welchen Gründen verwenden Sie die englische Sprache?' Insgesamt gab es sieben Fragen, darunter auch die, ob die Schriftsteller Englisch als indische Sprache betrachteten. Die verschiedenen Antworten wurden zusammen mit den dazugehörigen Gedichten 1969 zu einem Klassiker des Writers Workshops, 'Modern Indian Poetry in English: An Anthology and a Credo', herausgegeben von P. Lal. Die Nuancen und die Intimität der Antworten sind heute noch genauso ergreifend wie vor sechzig Jahren. 'Wir sprachen einen Punjabi-Dialekt', schrieb der Journalist und Dichter O.P. Bhagat, der in einer kleinen Stadt in Pakistan aufgewachsen war. Allerdings, so sagte er, 'wurde er nur gesprochen, nicht geschrieben - es sei denn, man benutzte absichtlich die persische oder Devanagari-Schrift.' In seiner Schule, so Bhagat, wurden die Jungen in Urdu und die Mädchen in Hindi unterrichtet, was die ohnehin schon vielfältigen Variablen des sprachlichen Erbes weiter verkomplizierte. Bhagat stimmte mit Bose überein, dass Englisch keine indische Sprache sei. 'Aber', so argumentierte er, 'es ist durch die historischen Umstände für viele Inder zur kulturellen und literarischen Sprache geworden.' In seiner Antwort auf den Fragebogen formuliert der südindische Schriftsteller M.P. Bhaskaran, dessen Gedichtband 'The Dancer and the Ring' 1962 vom Writers Workshop veröffentlicht wurde, eine Sichtweise, die auch heute noch bei vielen Südindern Widerhall findet: 'Die Hindi-Imperialisten fürchten, dass das Englische, wenn es nicht ausgerottet wird, dem Hindi nicht erlauben könnte, Indien zu dominieren.'" Diese Befürchung wird gerade durch die Modi-Regierung bestärkt.

Magazinrundschau vom 15.12.2020 - Literary Hub

In einem Text für die aktuelle Ausgabe des Magazins berichtet der Reiseschriftsteller Doug Mack von seinen skurrilen Erfahrungen als Gast auf der Buchmesse in Minsk, wo die Menschen ihn als echten Amerikaner bestaunen: "Nach meinem Vortrag gehe ich zu dem improvisierten Diner, wo sich eine Warteschlange gebildet hat. Ein Mann mit Cowboyhut zeigt mir das Einklebebuch seiner letzten Familienreise durch die USA: In 50 Tagen durch alle 50 Bundesstaaten. Ein Ehepaar mittleren Alters schiebt den Sohn vor mich, damit er seine Englischkenntnisse zeigen kann. Später kommen zwei Frauen Anfang zwanzig. Die eine trägt einen schwarzen Pullover und spricht selbstbewusst, die andere trägt Weiß und errötet, wenn sie eine Frage stellt. 'Stimmt es', fragt sie, 'dass es einen amerikanischen Feiertag gibt, an dem Kinder in Verkleidung herumziehen und nach Süßigkeiten fragen? Fahren die Kinder wirklich in großen gelben Bussen zur Schule? Warum gibt es auf Partys bei euch immer rote Plastikbecher?' Ich antworte so gut ich kann. Halloween ist kompliziert. Rote Tassen sind verwirrend (ich kenne niemanden, der sie als sozial bedeutsames Detail bezeichnen würde), bis ich mich erinnere, dass ich diese Frage unterwegs schon mal gestellt bekommen habe. Es stellt sich heraus, dass sie ihren Ursprung in Partyszenen aus Hollywood-Filmen hat - die verzerrende Linse der Popkultur. Dann frage ich sie nach Weißrussland. Bevor ich hier ankam, kannte ich es als ehemalige Sowjetrepublik, die die meisten Amerikaner wohl als Witz betrachten mit all den uralten sowjetischen Stereotypen von stoischen Menschen, düsteren Straßen, Bond-Schurken mit starkem russischen Akzent und ohne jede Weltgewandtheit. Ich versuche höflich zu sein, also überspringe ich das meiste davon und sage ihnen, dass ich viel Ostblockarchitektur erwartet habe. Sie kichern, es gibt eine Pause, während sie darauf warten, dass ich mehr sage. Sie kennen den Rest. Schließlich nickt die Frau in Schwarz, sie sagt: 'Die Leute denken, wir sind langweilig und immer ernst. Sind wir nicht! Und wir sind keine Russen, obwohl die meisten Amerikaner das glauben.'"

Magazinrundschau vom 09.07.2019 - Literary Hub

Literary Hub bringt ein Gespräch zwischen den Schriftstellern Nadifa Mohamed und Aleksandar Hemon, beide als Kinder eingewandert in die Länder, in denen sie jetzt leben (Mohamed aus Somalien nach Britannien, Hemon aus Bosnien in die USA), über den besonderen Blick von Migranten auf ihre Herkunfts- wie Einwanderungsländer. Hemon fällt vor allem auf, dass Menschen einen getrübten Blick auf ihre eigenen Gesellschaften haben: "Die Seltsame ist - ähnlich unseren Erfahrung in den Vereinigten Staaten im Moment -, dass die Menschen nicht glauben, was passiert, während es passiert", meint Hemon. "Ich denke oft daran, wie ich meine Eltern ein paar Wochen vor dem Ende der Belagerung in Sarajevo anrief. Während ich mit meiner Mutter am Telefon sprach, hörte ich Schüsse und meine Mutter sagte: 'Na, sie schießen schon weniger als gestern!' Sie erwartete immer wieder, dass sich die Dinge normalisieren, dass es eine Korrektur geben würde, aber natürlich kann das nicht geschehen. Die Sache, die mir in den Vereinigten Staaten in vielerlei Hinsicht am meisten Angst macht, ist dieses ewige riesige öffentliche Verlangen nach einer Korrektur - dass Trump und der Trumpismus durch eine Untersuchung oder eine Amtsenthebung oder was auch immer irgendwie korrigiert werden und dann alles mehr oder weniger wieder wird, wie es vorher war. Das ist eine totale Fantasie." Das Gespräch ist dem Buch "Lost in Media: Migrant Perspectives and the Public Sphere" entnommen.

Magazinrundschau vom 02.01.2018 - Literary Hub

LitHub dokumentiert ein langes Gespräch, das die Autoren Margaret Atwood und Andrew O'Hagan beim Vancouver Writers Festival führten. Thema war "Der Schriftsteller in der Welt" und es ging um Trump, die Zukunft und - vor allem - das Internet. O'Hagan, geboren 1968, ist einfach geschockt, in welchem Ausmaß es die jüngere Generation bereits geprägt hat: "Als ich in London lehrte stellte ich fest, dass meine Studenten absolut kein Interesse hatten mit dem Bus zu fahren und den Gesprächen der Leute zu lauschen oder überhaupt im hergebrachten Sinne zu recherchieren. Ihre Vorstellung von Recherche war, Ereignisse zu googeln. Sobald man sie bat etwas zu überprüfen, holten sie ihre Laptops raus. Die Vorstellung, mit Frauen über spezielle Probleme zu reden oder in eine Fabrik zu gehen und mit den Gewerkschaftern zu reden, war ihnen fremd. Sie wussten nicht, warum sie das hätten tun sollen. Jemand hatte doch bereits darüber geschrieben und es ins Netz gestellt. In die Augen der Menschen zu gucken und nach Schattierungen und Unterschieden zu suchen, kam ihnen nicht in den Sinn. Ich finde das seltsam. Für sie ist die Realität nicht so wirklich wie für mich."

Magazinrundschau vom 11.10.2016 - Literary Hub

Der Autor Junot Diaz hat für einen Sammelband "Die besten amerikanischen Kurzgeschichten 2016" ausgesucht und schreibt in seinem Vorwort eine feurige Verteidigung des Genres gegen dessen Verächter: "Wenn der Roman die bevorzugte literarische Form in unserer Kultur ist, auf die wir all unseren getrockneten literarischen Lorbeer häufen, dann ist die Kurzgeschichte ihr verachteter kleiner Bruder, ein ewiger Außenseiter. Aber was für ein Außenseiter. Eine Kurzgeschichte kann auf einigen Dutzend Seiten Herzen, Knochen, Eitelkeiten und Käfige brechen. Und in den richtigen Händen hat ein Gramm Kurzgeschichte mehr Pep als fast jede andere literarische Form. Es ist genau dieser anregend atomare Mischung aus Ökonomie + Kraft, die Leser und Autoren gleichermaßen seit Generationen hingerissen hat und die auch erklärt, warum die Kurzgeschichte immer noch unsere besten Autoren anzieht. Aber so viel Macht hat ihren Preis. Diese Form ist scheißgnadenlos. Sie verlangt von ihren Jüngern ein verstörendes Maß an Genauigkeit."

Außerdem: John Freeman las mit Mohsin Hamids Flüchtlingsroman "Exit West" den ersten post-Brexit-Roman: "Ich verstehe, dass sich die Leute vor Flüchtlingen fürchten', sagt Hamid im Interview. "Wenn man in einem reichen Land lebt, ist diese Furcht vor Menschen aus weit entfernten Ländern verständlich. Aber Furcht ist wie Rassismus: Verständlich, aber sie muss bekämpft und vermindert werden."

Magazinrundschau vom 24.05.2016 - Literary Hub

Megha Majumdar hat Ruanda selbst bereist und die Orte des Schreckens mit eigenen Augen gesehen. Er beschreibt eine irgendwie unbehaglich friedliche Atmosphäre, die glatten Straßen und das Fehlen jeglicher Plastiktüten. Das Regime Paul Kagamas wirkt harmonisch, aber unter der Oberfläche lauert Angst. Seine Lektüre von Anjan Sundarams Buch "Bad News - Last Journalists in a Dictatorship", das auch im Guardian schon dringend empfohlen wurde, bestätigt ihn. Es schildert Ruanda als einen Staat, das den Schrecken nicht bewältigt, sondern immer wieder neu zelebriert - etwa durch grauenhafte Fernsehbilder: "Auf dem nationalen Fernsehsender lief Genozid-Material. Die Regierung zeigte buchstäblich die Ermordungen. Ich habe nie verstanden, warum sich die Familien das ansahen. Heute glaube ich, das es es sich um eine staatlich betriebene Erneuerung des Traumas handelt, eine Auffrischung, die die neue Generation der Kinder prägt, so dass das Trauma bestehen bleibt."
Stichwörter: Kagame, Paul, Ruanda, Trauma, Genozide