Magazinrundschau - Archiv

Salon.eu.sk

44 Presseschau-Absätze - Seite 3 von 5

Magazinrundschau vom 05.10.2010 - Salon.eu.sk

Der slowenische Autor Drago Jancar erklärt in der polnischen Gazeta Wyborcza (von Salon ins Englische übersetzt), warum die slowenische Kritik über Andrzej Wajdas Film "Katyn" entweder gar nicht oder nur sehr verhalten schrieb. Denn der Film rührt auch an ein slowenisches Trauma: Die Ermordung tausender Slowenen durch die Kommunisten kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. "Es stimmt, dass Mitglieder der slowenischen Heimwehr, notorische Nationalisten und Antikommunisten, aus Opposition gegen den Kommunismus dazu getrieben wurden, während des Krieges mit den deutschen Besatzungstruppen zusammenzuarbeiten. Viele von ihnen hätten es verdient gehabt, angeklagt und bestraft zu werden. Aber diejenigen unter uns, die Loyalität für die Tradition der Antifaschisten und der Resistance empfinden, können die sinnlose und entsetzliche Überzeugung nicht akzeptieren, der immer noch in einem Teil der slowenischen Gesellschaft überlebt hat, dass die Ermordeten ihre 'gerechte' Strafe bekamen. Schon in den frühen 1970ern, nachdem [der Schriftsteller] Edvard Kocbek beinahe gelyncht worden wäre, weil er über diese entsetzlichen Ereignisse sprach und öffentlich Reue bekundete, verteidigte ihn der Nobelpreisträger Heinrich Böll mit den Worten, dass nichts rechtwidrigen Massenmord rechtfertigen könne."

Magazinrundschau vom 07.09.2010 - Salon.eu.sk

In Polen ist ein heftiger Streit um ein Kreuz entbrannt. Es wurde kurz nach dem Flugzeugunglück von Smolensk zur Erinnerung an Lech Kaczynski und die weiteren 95 Toten vor dem Präsidentenpalast aufgestellt. Eigentlich sollte es ein Provisorium sein, aber sogenannte "Kreuzritter" verhindern seitdem, dass es - wie ursprünglich vereint - in die St. Anna-Kirche gebracht wird (mehr dazu hier). "Willkommen in Polen, dem neuen Mittelalter", mit diesem Ausruf sollten wir künftig Touristen begrüßen, spottet Magdalena Sroda in Wprost (von Salon ins Englische übersetzt). In Polen gebe es kein Disneyland, sondern das echte, authentische Ding: "Das Erziehungsministerium hat - unter jeder Regierung, von links bis rechts - alles getan, um sicherzustellen, dass ein Zustand vollkommener Ignoranz in allen Fragen der Ethik und zeitgenössischer Moral aufrechterhalten wird. Gerade erst wurde ein neuer Sprecher für Bürgerrechte (für das neue Mittelalter) ernannt, der garantieren soll, dass die Lehrpläne für den Ethikunterricht mit der Katholischen Kirche abgestimmt werden. Neue Generationen werden aufwachsen in dem Wissen, dass nichts Böseres existiert als Abtreibung und Homosexualität und nichts Besseres als Johannes Paul II, denn das hat der Vatikan verfügt."

Magazinrundschau vom 18.05.2010 - Salon.eu.sk

Mit gemischten Gefühlen hat der Schriftsteller Viktor Jerofejew die gewaltigen Paraden in Moskau zum Sieg im Großen Vaterländischen Sieg und gegen Nazi-Deutschland erlebt: "Jetzt höre ich die Deutschen rufen: Was ist mit all den deutschen Freuen, die vergewaltigt wurden?! Und unsere Leute rufen zurück: Und was mit all unseren Großmüttern, die in Leningrad verhungerten?! Ich könnte auch hinzufügen: Meine Großmutter Anastasia Nikandrovna überlebte alle drei Jahre der Belagerung von Leningrad. Ich weiß nicht, was an den Feiern wichtiger ist: die Veteranen zu ehren, die mit ihren 90 Jahren wie meine Eltern zu einer Generation gehören, die Massenhinrichtungen erlebte und doppelt überlebten, Hitler und Stalin; oder Russland als eine Supermacht zu verehren, auch wenn in Zweifel steht, ob sie wirklich eine ist. Stalin ist kein Grund die globale Bedeutung von Russlands Sieg zu leugnen. Ich schätze diesen Sieg, aber ich wünschte, alle militärischen Siege wären eine Sache der Vergangenheit."

Magazinrundschau vom 11.05.2010 - Salon.eu.sk

Wie will Victor Orban, der selbst vollkommen unberechenbar ist, die Ungarn regieren, fragt sich der slowakische Journalist Martin M. Simecka. "Eine breit angelegte internationale Erhebung über geteilte Werte hat enthüllt, dass die Ungarn (neben Russland, Moldavien und der Ukraine) zu den geschlossensten Gesellschaften überhaupt gehören. Ihre Sehnsucht nach bürgerlichen und politischen Rechten ist deutlich geringer als die der Tschechen, Slowaken oder Polen, und von allen europäischen Nationen misstrauen die Ungarn ihren Institutionen oder anderen Menschen am meisten. Auf der anderen Seite liegen sie nach den Griechen an zweiter Stelle mit ihrer Sehnsucht nach sozialer Gleichheit. Für den Soziologen György Istvan Toth ist dieses trostlose Ergebnis verursacht von der Geschichte eines Landes, in dem 'die Entwicklung der Mittelklasse immer wieder unterbrochen wurde'. ... Wie soll Victor Orban eine Gesellschaft regieren, die auf der einen Seite vom Staat erwartet, dass er für sie sorgt, und auf der anderen Seite zutiefst misstrauisch ist gegenüber der Macht?"
Stichwörter: Orban, Viktor, Mittelklasse

Magazinrundschau vom 04.05.2010 - Salon.eu.sk

Die kommunistische Partei sprach gern vom "Volk", heute dagegen sorgen sich slovakische Politiker in den Kampagnen für die anstehenden Wahlen um "die Menschen". Diese Kategorie umfasst alles - von Familien bis zu Obdachlosen - nur der "Bürger", der Citoyen fehlt, schreibt Miroslav Kusy in einem Artikel für Sme, den Salon ins Englische übersetzt hat. "Niemand scheint zur Zeit Gebrauch machen zu wollen von dem verborgenen Potential der engagierten slovakischen Bürger. Keine politische Partei interessiert sich dafür, ihre Beteiligung, ihr politisches Erwachen, ihren Einzug in die politische Arena zu fördern. Es scheint fast, als hätten die Parteien Angst vor den Folgen. Dies ist unsere Arena, sagen sie sich, die Arena der roten, blauen, grünen und schwarzen Parteien. Eine Invasion ideologisch unbestimmter Bürger würde unser Spiel verderben. Wir können ohne sie gewinnen. Sie müssen nur für uns stimmen. Und so kämpfen die Parteien um die Zuneigung von Müttern und Kindern, Senioren, Arbeitslosen, um jeden, der das Label 'Mensch' trägt, nur nicht um die Bürger als politisch engagierte Wesen, die mit Forderungen nach politischen Rechten, Bürgerrechten und dem ganzen Paket der Menschenrechte, das in den politischen Programmen der Parteien nicht auftaucht, alles durcheinander bringen können.
Stichwörter: Bürgerrechte, Senioren

Magazinrundschau vom 20.04.2010 - Salon.eu.sk

Der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew schreibt über Katyn und das komplizierte Verhältnis zwischen Polen und Russland. Obwohl auch die Deutschen den Polen übel mitgespielt haben, "zeigt die polnische Emigration nach Deutschland, dass die Polen die deutsche Zivilisation mögen und sich gern darin verlieren. Natürlich hat das auch geholfen, Wunden zu heilen. Russland dagegen ist das feindliche Land geblieben, das Polen erobert hat, nicht weil es besser oder stärker war, sondern weil es für den Sieg eine riesige Anzahl der eigenen Leute geopfert hat, wie eine benebelte Frau, der es egal ist, ob sie im Schlaf einen aus ihrer zahllosen Brut erdrückt. Es ist also kaum überraschend, dass Russland mit der selben faulen Indifferenz seinen potentiellen Widersacher zerquetscht, mit der jemand mit einem Handtuch nach einer Biene schlägt, bevor sie nur versucht hat, ihn zu stechen. Darum geht es bei Katyn. ... Jeder Pole weiß Bescheid über Katyn, während die Russen nur eine vage Vorstellung davon haben. Während es für erstere ein Ereignis von apokalyptischen Ausmaßen war, war es für letztere bestenfalls eine ganz gewöhnliche Kriegstragödie. Und darum kann Russlands Bedauern für die Polen nie groß genug sein, während die Forderungen der Polen für die russischen Autoritäten zu viel sind."

Magazinrundschau vom 30.03.2010 - Salon.eu.sk

Salon hat eine in der Gazeta Wyborcza veröffentlichte Rede Adam Michniks ins Englische übersetzt, in der er den Nationalismus als böse Hinterlassenschaft des Kommunismus in Osteuropa anprangert: "Mit bitterem Zynismus meinte Cioran: 'Das Volk, wie es ist, befördert Despotismus. Es hält große Prüfungen aus, manchmal verlangt es sogar nach ihnen und dann rebelliert es gegen sie, nur um wieder neue, noch monströsere als die vorherigen zu suchen.' Zum Glück ist der Kommunismus ausgestorben. Aber er hat den Nationalismus zurückgelassen, der von Leuten praktiziert wird, die ein tierisches Vergnügen daraus ziehen, ihre Humanität zu verleugnen. Er lebt in Form von Nostalgie, einer Phobie, einer antidemokratischen, antiliberalen, antieuropäischen und antiamerikanischen Ideologie. Menschen, die so denken, trifft man in allen politischen Eliten in allen postkommunistischen Ländern - von Bukarest und Moskau bis Berlin, von Warschau bis Prag, von Zagreb bis Belgrad. Nationalismus in der postkommunistischen Zeit kann viele Formen annehmen: die des nostalgischen Kommunisten Milosevic, des postsowjetischen Diktators Putin oder der postsowjetischen Antikommunisten Viktor Orban und Jaroslaw Kaczynski."

Magazinrundschau vom 16.03.2010 - Salon.eu.sk

Wir haben heute akzeptiert, dass es nur individuelle Wahrheiten gibt, warum sollen wir ausgerechnet von einem Reporter objektive Wahrheiten fordern, fragt der Autor Andrzej Stasiuk in der Debatte um Artur Domoslawski Kapuscinski-Biografie. "Alles ist abgenutzt, zerbrochen, alternd, wir werden bombardiert mit neuen Modellen von Dingen, neuen Modellen des Verhaltens, neuen Modellen von Ideen. Das ist die Welt, die wir erschaffen haben. Auch die Wahrheit muss perfektioniert, abgestimmt und geliftet werden, sonst wird niemand einen Pfifferling dafür geben. Kapuscinski hatte wie wir alle seine eigene Wahrheit. Er hatte seine eigene Wahrheit über Afrika und Südamerika, über die Reichen und die Armen, über das Leben. Er tat alles was er konnte, um uns davon zu überzeugen, dass er Recht hatte. Gleichzeitig ist es das gottgegebene Recht jedes Lesers, dem Autor nicht ein einziges Wort zu glauben. Oder ihm nur teilweise zu glauben, das herauszunehmen, was wir brauchen, um in die Welt zu passen. Man kann einem Autor natürlich auch absolut glauben, aber das ist die schlimmste Lösung von allen. Und genau das finde ich am faszinierendsten an dem Buch 'Kapuscinski non-fiction' - die Entstehung der Vision eines Schriftstellers, der Mix aus dem Realen und dem Unrealen, der dem Kopf eines Autors entsprang, die Welt betrat und es irgendwie fertigbrachte, trotz allem, sie zu verändern." (Salon hat Stasiuks Artikel aus der Gazeta Wyborcza ins Englische übersetzt.)

Seltsam, aber seit der Wende haben die kulturellen Begegnungen zwischen Österreichern und Slowaken eher ab- als zugenommen, stellt der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky fest. Er erinnert an Alma Münzova, die Übersetzerin, die unter anderem den ersten Band von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" übersetzte: "Der Name dieser Dame, die vielleicht die bedeutendste Übersetzerin aus dem Deutschen (Nietzsche, Hegel, Jung, Zweig, Lorenz, Flusser) war, ist in den Jahren der sogenannten Normalisierung aus den Bibliotheken verschwunden. Obwohl die Staatssicherheit gegen sie ermittelte, traf sie sich mit verbannten Schriftstellern, übersetzte für die Schublade und schrieb. Und obwohl sie in der Isolation lebte, gelang es ihr, durch Risse im Eisernen Vorhang über Entwicklungen in der österreichischen Kultur informiert zu bleiben. In ihrer Wohnung in der Altstadt von Bratislava, voll mit Gemälden des Modernisten Imro Weiner-Kral, war Münzova Gastgeberin für mehrere Generationen der bedeutendsten Vertreter der slowakischen Kultur. Hier übersetzte sie den 'Mann ohne Eigenschaften', einen polyphonen dialogischen Roman, der in der deutschen Literatur beispiellos ist. Es waren Menschen wie Alma Münzova, die eine Verbindung schufen zwischen dem vergessenen alten Pressburg und dem immer noch zu entdeckenden neuen Bratislava." (Auch dieser Artikel, der im Original in der Sme erschien, wurde von Salon ins Englische übersetzt.)

Magazinrundschau vom 09.02.2010 - Salon.eu.sk

Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk schickt, von Salon ins Englische übersetzte, Reisenotizen aus Amsterdam: "Meine Dreadlocks sind hier sehr populär, vor allem bei den Schwarzen. Immer wieder hält mich jemand mit einem Lächeln an und fragt, ob ich mit einem Afrikaner verheiratet bin. Ich erkläre mit einem Lächeln, dass Dreadlocks nicht wirklich eine Erfindung der Rastafari oder Afrikaner sind. Ich benutze den Ausdruck 'Polish tangle' [Weichselzopf], der in den Berichten von Reisenden im 17. Jahrhundert gut dokumentiert ist. Zu jener Zeit war der Weichselzopf ein verbreitetes Phänomen, das in ganz Europa als 'plica polonica' bekannt war und generell mit Polen assoziiert wurde. Wir können also in gewisser Weise stolz darauf sein, diesen Haarstil in Europa eingeführt zu haben. Die 'plica polonica' sollte auf die Liste unserer Erfindungen gesetzt werden, neben Erdölverarbeitung, Piroggen und Wodka." (Der Weichselzopf wird übrigens laut Wikipedia auch "Wichtel-, Wüchsel-, Schrötleins- oder Judenzopf, Haarschrötel, Trichoma, Cirragra, Plica polonica genannt".)

Magazinrundschau vom 02.02.2010 - Salon.eu.sk

Martin Simecka denkt über Korruption in den postkommunistischen Ländern nach und findet einige Vergleichpunkte zum Regime der Geheimdienste unter den Kommunisten: "Die Geheimdienste und ihre Agenten funktionierten nach dem gleichen Prinzip von Mitwisserschaft und Komplizentum, von engen Verbindungen und Mauern des Schweigens. Sogar die Motive, die die Leute in diese geschlossene Welt treiben, ähneln sich, von der Lust auf Besitz bis hin zu Verzweiflung, etwa wenn Du Deiner Mutter helfen willst und bereit bist, dem Doktor alles dafür zu geben, so wie einst viele Leute eine IM-Erklärung unterzeichneten, weil sie hofften, ihre Familien zu schützen."
Stichwörter: Mutter