
David Bezmozgis erzählt in einem
fast buchlangen Artikel die wilde, düstere und heldenhafte Geschichte des
Alexander Aronowitsch Petscherski, eines russischen Offiziers, der zuerst Kriegsgefangener war und dann, als die Nazis seine jüdische Herkunft entdeckten, in das
Vernichtungslager Sobibor gesteckt wurde, wo er als einer der wenigen nicht sofort vergast wurde, sondern Zwangsarbeit verrichtete. Hier führte er einen ungeheuer kühnen und
erfolgreichen Aufstand der Gefangenen gegen die SS an, um sich dann zunächst den Partisanen und schließlich wieder der Roten Armee anzuschließen. Nach dem Krieg haben die Sowjets seine Leistung nie anerkannt, im Gegenteil, er wurde
schikaniert. Erst in den zehner Jahren, über zwanzig Jahre nach dem Tod Petscherskis, regte sich Interesse. Der Autor
Ilja Wassiljew schrieb ein Buch und drehte später einen Film über Petschersky, der nun zu einem erbaulichen Helden der
neostalinistischen Geschichtspolitik Wladimir Putins wurde. Wassiljew habe erkannt, "dass Petscherskis Geschichte perfekt mit dem sowjetisch-russischen Narrativ des Zweiten Weltkriegs übereinstimmte, wonach schwache, hilflose westeuropäische Länder, die sich Hitler ergeben hatten, von der Roten Armee gerettet wurden. Dasselbe geschah in Sobibor, wo wehrlose, handlungsunfähige Bürger westeuropäischer Länder Sowjetbürger brauchten, die schnell die Initiative ergriffen und triumphierten. (Wenn man eine Handvoll Spitzfindigkeiten ignoriert, ist diese Darstellung im Grunde richtig)."
Die Publizistin
Bari Weiss, die neulich die
New York Times verließ und darüber einen deftigen Blog-Artikel verfasste (unser
Resümee)
warnt die Juden Amerikas vor einer Ideologie, die sie als tendenziell bis manifest antisemitisch ansieht, nämlich die auch hierzulande weitverbreiteten Ideen der akademischen Linken, die seit neuestem unter dem Begriff der "
Social Justice Studies" zusammengefasst werden - dazu gehört die Critical Race Theory, deren Protagonisten wie
Ibram X. Kendi (
Coverboy bei
GQ) Weiss besonders suspekt sind. Diese Ideologie, so Weiss, beherrsche nicht mehr nur die amerikanischen Unis, sondern auch Kulturinstitutionen, Modemagazine (die
Vogue widmet der Farrakhan-Anhängerin
Tamika Mallory eine
Modestrecke) und sei sogar in Unternehmensleitungen angekommen. Am schwersten, so Weiss, haben es junge Juden, die es sich nicht nehmen lassen,
Israel zu verteidigen: "Es spielt keine Rolle, wie fortschrittlich Sie sind,
wie vegan oder schwul, wie sehr Sie für universelle Gesundheitsversorgung und Vorschulen sind und ein Ende des Drogenkrieges fordern. An die Existenzberechtigung
des jüdischen Staates zu glauben, überhaupt an eine jüdische Besonderheit zu glauben, bedeutet, sich zum Feind dieser Bewegung zu machen. 'Es ist schwer zu übertreiben,
wie erstickend diese Weltanschauung besonders für jüdische College-Studenten ist', schrieb mir kürzlich
Blake Flayton, ein linker jüdischer Student an der George Washington University. 'Wir passen nicht in die Kategorien '
Unterdrücker' oder '
Unterdrückte'. Wir sind sowohl privilegiert als auch an den Rand gedrängt, werden von der Politik geschützt und dennoch von denselben rassistischen Verrückten ins Visier genommen wie People of Color. Der Hass, den wir auf dem Campus erleben, hat nichts mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu tun. Er kommt daher, dass Juden der antirassistischen Ideologie durch
ihre bloße Existenz widersprechen."
Bari Weiss' Artikel steht im Kontext einer
höchst beunruhigten Stimmung im
Tabletmag, dessen Redaktion leider nur im Newsletter der Zeitschrift eine
bittere Abrechnung mit der allgegenwärtigen
Farrakhan-Idolatrie liefert. Louis Farrakhan, bekanntlich Chef der "Nation of Islam", ist durch zahllose
antisemitische Äußerungen hervorgetreten und macht die Juden für die Sklaverei verantwortlich. Aber er hat immer noch viele Anhänger und auch Anhängerinnen (siehe oben), etwa den Rapper
Ice Cube, der von Donald Trump hofiert wird. Aber "auch von den Redakteuren der
New York Times wird diese vergiftete Fiktion verbreitet, die an diesem Wochenende einen
zuckersüßen Kommentar über die Frauen hinter Farrakhans 'Million Man March' brachte, ohne dass seine offenen und abscheulichen Hassreden, die den verstorbenen
John Lewis zum Boykott der Veranstaltung veranlassten, auch nur mit einem Hinweis bedacht wurden. Als jüdische Leser ihre Verärgerung über diese Schönfärberei zum Ausdruck brachten, forderte die Autorin des Artikels
sie auf Twitter auf, sich nicht immer
als Mittelpunkt zu betrachten. Können Sie sich vorstellen, dass ein Mitarbeiter der
Times dies zu irgendeiner
anderen Minderheitengruppe sagen würde, die Ziel von Gewalt ist? Und dies in dem selben Jahr, in dem es ein
Attentat gegen Juden gab, dessen Täter von den Ideen Farrakhans inspiriert waren?"