Magazinrundschau - Archiv

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Magazinrundschau vom 05.03.2024 - Tablet

Dass amerikanische Universitäten zu Hotspots antiisraelischer Agitation wurden, ist kein Zufall, erzählt Neetu Arnold. Viele Unis leben geradezu davon, dass sie Studenten aus dem "globalen Süden" aufnehmen, deren Studiengebühren von den entsendenden Staaten übernommen werden. Dass die Staaten der arabischen Halbinsel da eine besonders großzügige Geberrolle spielen, dürfte niemanden erstaunen. Von den Studenten verlangen diese Staaten Wohlverhalten und spionieren sie aus. Aber auch "chinesische Studenten werden häufig zum Schweigen gebracht, sowohl von der chinesischen Regierung als auch von ihren eigenen Eltern, wenn sie die Regierungspolitik kritisieren, wie zum Beispiel die autoritären Lockdowns Chinas während der Covid-Pandemie. Selbst in dem verschwindend seltenen Fall, dass Universitäten versuchen, ein Umfeld der akademischen Freiheit und der freien Meinungsäußerung auf dem Campus zu kultivieren, wird dies nie vollständig auf geförderte internationale Studenten aus Ländern mit autoritären Regierungen zutreffen. In vielerlei Hinsicht wird dadurch der Hauptzweck der Präsenz von internationalen Studenten auf amerikanischen Universitäten zunichte gemacht: der freie und offene kulturelle Austausch zwischen ihnen und amerikanischen Studenten."

Magazinrundschau vom 12.12.2023 - Tablet

Charles Fain Lehman nimmt die "Black Hebrew Israelites" unter die Lupe, ein gar nicht so kleines Sammelsurium bizarrer Sekten, die glauben, dass Afroamerikaner die wahren Nachkommen der alten Israeliten sind und dass sich die Juden ihr Judentum sozusagen kulturell angeeignet haben. Eine extreme Splittergruppe hat im Jahr 2019 ein Attentat auf einen koscheren Supermarkt in New York verübt, bei dem vier Menschen umkamen. Lehman hat eine Umfrage unter Amerikanern durchgeführt, die sich als "schwarz" definieren und er mit einer Umfrage unter Amerikanern, die sich nicht als schwarz definieren, abgeglichen. Dabei stellt sich heraus, dass unglaubliche 49 Prozent schwarzer Amerikaner glauben, sie stammten von den Israeliten der Bibel ab. Aber etwas an diesem Phänomen ist nicht "schwarz", schreibt Lehman: "Eine Möglichkeit, diese Ergebnisse zu erklären, besteht vielleicht darin, den schwarzen hebräischen Israelismus in die lange, stolze amerikanische Tradition der Verschwörungstheorien einzuordnen. Schwarzer hebräischer Israelismus ist keine Abweichung oder Besonderheit einer bestimmten Untergruppe der amerikanischen schwarzen Gemeinschaft; er ist ein spezifischer Ausdruck einer zutiefst amerikanischen Tendenz. Verschwörungstheorien sind im amerikanischen Leben ungeheuer populär, und das schon seit Jahrzehnten. Zwei Drittel der Amerikaner bezweifeln die offizielle Geschichte des Kennedy-Attentats; ein kleinerer, aber beachtlicher Anteil stimmt zu, dass wir Kontakt zu Außerirdischen aufgenommen haben oder dass mit Fluor versetztes Wasser der Gedankenkontrolle dient. Obwohl Medien oft behaupten, Verschwörungsdenken sei in erster Linie ein Phänomen des rechten Flügels, hat die politikwissenschaftliche Forschung gezeigt, dass Verschwörungstheorien im gesamten politischen Spektrum gleichermaßen verbreitet sind."

Magazinrundschau vom 10.10.2023 - Tablet

In Tablet macht Edward N. Luttwak unter anderem eine gewisse Vertrauensseligkeit der israelischen Regierung gegenüber der Hamas für das katastrophale Versagen aller Alarmmechanismen verantwortlich. Eine Weile lang sah es so aus, als überließe die Hamas dem ebenfalls von Iran gesteuerten, aber viel kleineren 'islamischen Dschihad' den Beschuss Israels mit Raketen, während sich das Verhältnis zu Israel entspannte. "Israel erwiderte den De-facto-Waffenstillstand der Hamas umgehend, indem es Tausenden von Menschen aus dem Gazastreifen erlaubte, in Israel zu arbeiten - zunächst 17.000, dann 20.000, mit der Möglichkeit, dass es noch viel mehr werden. Ihr Verdienst veränderte das Leben von 100.000 Familienmitgliedern mit der Aussicht auf noch größere Vorteile. Was vor Ort geschah, schien einen Weg zur Ruhe für Israel und zu einem gewissen Wohlstand für Gaza zu eröffnen. Offensichtlich war das alles eine Illusion. Die Hamas ist genau wie Arafats PLO bereit, alles für Palästina zu tun - und ganz und gar nichts für die Palästinenser."

Tablet ist ein jüdisch-amerikanisches Magazin mit sehr prononciert proisraelischem Standpunkt und nicht allzu scharfer Kritik an Netanjahu. Davon ist sicher auch die Kritik an Barack Obamas und später Joe Bidens Iran-Politik geprägt, die sich in einem Artikel Alana Newhouses und Jeremy Sterns findet, in dem die AutorInnen die wichtigsten Fragen nach den Pogromen vom Wochenende stellen wollen. Bei der Frage nach den Szenarien, die sich jetzt auftun, stellt sich auch die, ob ein militärischer Schlag Israels gegen den Iran möglich wäre. Nein, meinen sie: "Leider diktiert Amerikas Abkommen mit dem Iran auch hier die Antwort. Israel kann kaum gegen den Iran zurückschlagen, selbst wenn es das wollte, weil der Iran jetzt unter dem Schutz der Vereinigten Staaten steht, die das Regime mit regelmäßigen Geldlieferungen versorgen und versprochen haben, sein Atomprogramm zu schützen. Ein israelischer Angriff auf die iranischen Ölfelder oder ein Angriff auf das iranische Atomprogramm oder die Enthauptung des iranischen Regimes wäre wahrscheinlich gut für Israel und gut für die Region. Da es sich dabei jedoch um Schläge gegen die regionale Ordnung handeln würde, die von den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen wurde und von ihnen unterstützt wird, würde ein Schlag gegen den Iran Israel in einen direkten Konflikt mit den Vereinigten Staaten bringen. Das ist ein zu großes Risiko für ein gespaltenes und traumatisiertes Israel."

Magazinrundschau vom 26.09.2023 - Tablet

Anti-Zionismus oder Antizionismus? Izabella Tabarovsky plädiert dafür, den in Amerika normalerweise mit Bindestrich geschriebenen Begriff ohne Bindestrich zu schreiben, denn so drückt er besser aus, dass es es sich um ein geschlossenes Weltbild und nicht etwa um eine Auseinandersetzung mit Zionismus handelt. Wenn sich also jetzt in den USA ein antizionistisches Forschungsnetzwerk namens "Institute for the Critical Study of Zionism" (ICSZ) bildet, das angibt, Studien über den Zionismus betreiben zu wollen, aber zutiefst der BDS-Bewegung verbunden ist, dann sollte man trotz der fatalen Verortung an Universitäten keine wissenschaftliche Zielsetzung erwarten, meint Tabarovsky unter Bezug auf einen Aufsatz David Hirshs über den heute modischen Antizionismus: "In seinem Aufsatz in der demnächst erscheinenden "Routledge History of Antisemitism" stellt Hirsh fest, dass der 'Zionismus', gegen den der Antizionismus seine Ideologie definiert, etwas ist, das aus antijüdischen Fantasien zusammengezimmert ist'. Der Antizionist stellt sich den Zionismus als 'Kolonialismus, Apartheid, Rassismus, Überwachungsstaat, als etwas, das dem Nazismus ähnelt, und überhaupt als etwas, das gute Menschen ablehnen würden', vor - mit anderen Worten, als ein Phänomen, das sich von dem von Juden vertretenen Zionismus 'zutiefst unterscheidet'. Genauso wie Antisemiten gegen ein Hirngespinst von 'den Juden' kämpfen, das in ihren eigenen Köpfen existiert, kämpfen die neuen Antizionisten gegen einen 'Zionismus', der nirgendwo auf der Welt existiert und stattdessen von ihrer eigenen fiebrigen Fantasie heraufbeschworen wird. Die Abschaffung des Bindestrichs in 'Antizionismus' mag nicht wie ein radikaler Schritt erscheinen, aber genau wie die Änderung der Schreibweise von Anti-Semitismus in Antisemitismus hat dies wichtige konzeptionelle Auswirkungen und hilft uns, das Phänomen aus neuen Blickwinkeln zu betrachten." Die Denkfiguren dieses modischen Antizionismus sind laut Tabarovsky übrigens uralt und lassen sich bereits auf den sowjetischen Antizionismus zurückführen, mehr zu dem Thema von Tabarovsky hier.

Magazinrundschau vom 05.09.2023 - Tablet

Auf irgendeine Weise ist das Tablet Magazine an Kontoauszüge gekommen, die zeigen, welche Figuren aus der Fifa von Katar bestochen wurden, als es darum ging, dem Land die Fußball-WM zuzuschanzen. Gut 550 Millionen Dollar sollen an Bestechungsgeldern gezahlt worden sein. Armin Rosen nennt nicht allzu viele Namen, vielleicht auch aus juristischen Rücksichten, aber der größte Empfänger war Putins Sportfunktionär Witali Mutko, der über 100 Millionen Dollar bekommen haben soll. Aber Rosen konstatiert auch, dass Katar mit seiner Politik der Versklavung von Arbeitern (einige hundert Tote) und der Beeinflussung westlicher Öffentlichkeiten alles in allem prächtig durchgekommen ist. Vielleicht hat das Land auch ein paar Anzeigen in Zeitungen springen lassen? "Die amerikanische Presse, die andere Staaten des Nahen Ostens heftig kritisiert hat, war von Katars gut finanzierter PR-Offensive rund um die Fußballweltmeisterschaft weitgehend begeistert. Am 5. Dezember 2022 veröffentlichte der Newsletter 'Today's WorldView' der Washington Post eine gutgläubige Tourismuswerbung für die Golfmonarchie und schwärmte, dass 'Doha ein attraktives Reiseziel für Besucher aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika sein könnte'. Der demokratische Senator Chris Murphy aus Connecticut, der sich oft über die angeblichen Missetaten Israels und Saudi-Arabiens auslässt, lobte Katar als 'unseren besten Partner in der Region'. Geld spielt für Doha keine Rolle, wenn es darum geht, eine widersprüchliche Strategie voranzutreiben, nämlich eine pro-islamistische Monarchie zu sein, die sich gleichzeitig als zukunftsorientierter und fortschrittlicher Staat präsentiert, der dieselben Werte verkörpert wie die westlichen Demokratien… Das Land hat genug Geld, um sich Popularität zu erkaufen: Hier überschüttet es Al Gore und seine Partner mit einer halben Milliarde Dollar, um seinen scheiternden Kabelkanal zu kaufen, dort sagt es der Brookings Institution 14,8 Millionen Dollar zu und dann lässt es mal wieder führende Vertreter der jüdischen Gemeinde nach Doha einfliegen, oder es richtet eben mal das größte Sportereignis der Welt aus."

Magazinrundschau vom 15.08.2023 - Tablet

Orientalismus mal ganz anders. Arian Khameneh erzählt, wie schüchtern amerikanische Iran-Kundler an den amerikanischen Unis auf die Frauenbewegung im Iran reagieren. Da sie in der Regel der akademischen Linken angehören, tendieren sie zumeist zum "Humanismus-Narrativ" und setzen auf "Reformer" innerhalb des Regimes, die nicht nur in der iranischen Opposition oder Diaspora längst abgeschrieben sind. Kritik am iranischen Kopftuchzwang mögen sie nicht äußern, aus Furcht, dass ihnen das als "islamophob" ausgelegt wird. "In den Augen der Forscher geht es darum, einer 'neokonservativen Agenda' entgegenzuwirken, die den Iran dämonisiere, um die Unterstützung für einen Regimewechsel zu gewinnen. Oft hält man sich aber auch nur zurück, um karrierefördernde Quellen im Land zu sichern. Laudan Nooshin, Musikethnologin an der City Universität London, bekennt zum Beispiel, dass sie rechtliche Schritte gegen den Verleger des 'Rough Guide to World Music' androhte, nachdem dieser ihren Aufsatz mit Formulierungen eingeleitet habe, die die Kleriker beleidigen könnten, was ihren Zugang zu Feldforschungen im Iran gefährdete."

In einem weiteren Artikel fragt Joshua Tait, was von der "Alt Right"-Bewegung geblieben ist: physisch nicht viel, aber im Diskurs der amerikanischen Rechten bleibt sie verankert.

Magazinrundschau vom 25.07.2023 - Tablet

Entgegen einiger anderslautender Behauptungen waren die jüngsten Unruhen in den Pariser Banlieues nicht antisemitisch geprägt, ist Marc Weitzmann, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift Les Inrockuptibles, überzeugt. Wenn jüdische Geschäfte geplündert wurden, dann, weil sie reich waren. Und reich bedeutet auch: assimiliert, akzeptiert. Und hier wirds kompliziert,so Weitzmann: "Neben dem Rassismus ist einer der am meisten unterschätzten Gründe dafür, dass die Franzosen keine aktive Politik zur Integration von Migranten aus ihren ehemaligen Kolonien entwickelten, die Tatsache, dass dies von den neuen nationalistischen algerischen und marokkanischen Regimen, deren Öl und Gas für die französische Wirtschaft lebenswichtig waren, als Casus Belli angesehen worden wäre. Noch 1993 konnte der marokkanische König Hassan II. im französischen Fernsehen erklären, dass 'die Marokkaner niemals Franzosen sein würden, sich nicht assimilieren wollten und Frankreich gut beraten wäre, es nicht zu versuchen.' Die algerische FLN war noch nationalistischer. Die Ehre stand auf dem Spiel. Die ehemaligen Kolonien legten Wert darauf, ihre Staatsangehörigen auf französischem Gebiet direkt zu kontrollieren, und der französische Staat stimmte dem zu. Infolgedessen kontrollierten die ehemaligen Kolonien auch die Moscheen und die Kultur der Migranten in Frankreich. Gefangen zwischen französischen Vorurteilen einerseits und der Kontrolle durch ihre Herkunftsländer andererseits, wurden die Migranten sowohl von ihren alten als auch von ihren neuen staatlichen Behörden aktiv daran gehindert, ihre eigene autonome Kultur in Frankreich zu entwickeln. Dieser Loyalitätskonflikt belastete oft die Migranten selbst, insbesondere die Väter, die im Falle Algeriens im Unabhängigkeitskrieg gegen die Franzosen gekämpft hatten. Das Versagen der zweiten Migrantengeneration und auch der französischen Regierung, die Identitätswidersprüche zu lösen, die durch diese gespaltene Realität während der französischen Bürgerrechtsbewegungen der 80er Jahre entstanden sind, führte zum Bau der Mauern um die Cités, zum Aufkommen islamistischer Propaganda, zu den Unruhen von 2005 und zum heutigen Krypto-Sezessionismus."

Magazinrundschau vom 18.07.2023 - Tablet

Kunst muss wieder unpolitischer werden, Kunstwerke, die sich "politisch" nennen und gesellschaftliche Probleme verhandeln wollen, verkaufen sich in den letzten Jahren wunderbar, doch vieles davon ist letztendlich gefällig und oberflächlich, verkündet Alice Gribbin. Sie erlauben den Konsumenten "ihre Sorgen im blutleeren Reich der Abstraktion auszuleben". Das liege auch daran, dass das Wesen der Kunst im Kern ein anderes sei. Kunstwerke, meint Gribbin, sind "Phänomene, die der ästhetischen Vorstellungskraft entspringen", darauf sollten sich Künstler zurück besinnen. Statt öffentliche Diskurse in ihre Arbeiten zu inkludieren, sollten sie sich auf ihren individuellen künstlerischen Ausdruck konzentrieren: "Wenn in den letzten Jahrzehnten die Kunstwerke, die von einflussreichen Menschen angepriesen wurden - die Werke, die gefördert, in den höchsten Tönen gelobt und mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet wurden -, vom Publikum auch in zehn Jahren noch nicht als bedeutsam empfunden werden, dann liegt das nicht so sehr daran, dass bestimmte Themen überrepräsentiert sind. Vielmehr leiden die Künste darunter, dass sie von einer Perversion des demokratischen Geistes überholt wurden. Politische Kunst ist in den Vordergrund getreten; abgeleitete, pedantische, unambitionierte, historisch unwissende, seichte, von einem Ausschuss entworfene Kunst ist noch stärker in den Vordergrund getreten. Große Kunstwerke können schwierig sein oder auch nicht, aber sie sind immer rücksichtslos singuläre Ausdrucksformen, deren Wesen aristokratisch ist. Eine Kultur, die Inklusion über alles andere stellt, wird ihre Meisterwerke nie kennen."

Magazinrundschau vom 23.05.2023 - Tablet

Wenn William Deresiewicz auf die aktuellen Erzeugnisse der Kultur blickt, kommt ihm das große Gähnen. Der Niedergang setzte schon in den 60ern ein, als Kultur sich zu institutionalisieren und die Kulturindustrie aufzublühen begann. Von da an wurde Kultur immer stärker genormt - das war jedenfalls die These des 2021 gestorbenen Kunstkritikers David Hickey. "Nach etwa einem Jahrhundert, in dem sich die Kunst laut Hickey der institutionellen Kontrolle entzogen hatte - einem Jahrhundert der Pariser Bohème, der modernistischen Vagabunden und visionären Spinner, von Rimbaud, van Gogh, Nijinsky, Cage, Gertrude Stein und anderen - wurde sie standardisiert und, was noch wichtiger war, moralisiert. Mit anderen Worten, auch das Publikum wurde genormt", so Deresiewicz, der anders als Hickey nicht nur der Industrie die Schuld am kulturellen Niedergang geben will. "Es geht nicht darum, dass die Konzerne den Geschmack des Volkes entwürdigt haben. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kulturindustrie ist ebenso wie die Junk-Food-Industrie sehr gut darin geworden uns unseren Geschmack zurückzuspiegeln und ihn zu befriedigen. Und mit dem Internet sind die Rückkopplungsschleifen immer effizienter geworden. Mit anderen Worten: Kunst ist heute langweilig, weil wir langweilig sind." Deresiewicz vermisst die Ambition, das Verlangen, sich weiterzubilden, das die Nachkriegsgeneration auszeichnete. "Ich sehe diese Art von Bestreben nicht mehr (sie war bereits am Ausklingen, als ich in den frühen 80er Jahren auf den Campus kam), dieses Gefühl schmerzhafter Unvollständigkeit, diesen Hunger nach einem höheren Anderen. Was ich sehe, ist Narzissmus: die Forderung, dass die Kunst uns bestätigt, uns niemals bedroht, uns niemals das Gefühl gibt, unzulänglich oder unwissend oder klein zu sein, und uns unser kostbares kleines Selbst zurückspiegelt."
Stichwörter: Kultur, Kulturkritik

Magazinrundschau vom 21.03.2023 - Tablet

Gebannt begibt man sich mit der Historikerin Aline Pennewaard auf die detektivische Spurensuche nach der Identität von Luka, der Frau, die den Aufstand der Häftlinge im Konzentrationslager Sobibor mitorganisiert hatte, bei dem 300 Insassen aus dem Lager flüchten konnten. 57 überlebten, darunter Alexander Pecherski, der eng mit Luka zusammengearbeitet und zeitlebens versucht hatte sie wiederzufinden, ohne Erfolg. Eine Datenbank der deportierten holländischen Juden führt Pennewaard auf die Spur von Liselotte Karoline Rosenstiel. Ein 92-jähriger Zeitzeugin bestätigt ihre These: "Er hat Liselotte sofort erkannt, als ich ihm die beiden Bilder von ihr gezeigt habe. 'Ja, das ist sie', sagt er sofort. Ihr Gesicht nach so langer Zeit wiederzusehen, scheint ihn zu berühren. 'Hat sie geraucht?', habe ich ihn später gefragt. Ton Leeders nickt. 'Ja - heimlich', sagt er zwinkernd. 'Das durfte natürlich niemand wissen.' Wir reden noch ein bisschen, bis ich mich traue, die wichtigste Frage zu stellen: 'Haben Sie jemals mitbekommen, dass jemand sie bei einem anderen Namen als Liselotte gerufen hat? Hatte sie einen Spitznamen, der wie Lika oder Luka klang…?' Seine Augen leuchten auf, als er sich erinnert. 'Ja, Luka. Luka. So wurde sie zuhause genannt.' Er nickt mit entschlossenem Blick. Wir schauen uns überrascht an. An diesem Donnerstagmorgen hat sich der Kreis geschlossen. Leenders Aussage ist die Bestätigung, auf die ich kaum zu hoffen gewagt habe: Liselotte Karoline Rosenstiel ist in der Tat die mysteriöse Luka, über die Alexander Pechersky sein ganzes Leben nachgedacht hat."
Stichwörter: Sobibor, Konzentrationslager