Post aus New York

Wolfes Welt

Von Ute Thon
23.06.2000. Tom Wolfe ermuntert die amerikanischen Intellektuellen in Harper's Magazin zu mehr patriotischer Hochstimmung
Tom Wolfe hat ein Problem mit Amerikas Intellektuellen. Besonders mit denen, die seinem geliebten Heimatland die Federn rupfen. Warum schreibt keiner mehr Hymnen auf Amerika, dieses phantastische Land, das inzwischen "die Welt so sehr dominiert, dass Alexander der Grosse vor Verzweiflung in die Knie gegangen wäre und mit seinen Fäusten auf die Erde getrommelt hätte, weil er dagegen nur ein einfacher Krieger war und niemals etwas von Eroberungswerkzeugen wie internationalen Mergern und Aquisitionen, Rock und Rap, Megafilmen, TV, der NBA, dem World Wide Web gehört hat", fragt Amerikas scharfzüngiger Gesellschaftschronist in der Juniausgabe von Harper's Magazine in einem Essay mit dem Titel "Im Land der Rokoko-Marxisten". Der Autor von Bestsellertiteln wie "Bonefire of Vanities" und "The Right Stuff" beklagt auf 10 Seiten den mangelnden Chauvinismus seiner Landsleute. Statt die McCarthy-Ära, den Vietnamkrieg oder rechtsradikale Bombenleger als düstere Kapitel der US-Geschichte hervorzuheben, sollten Historiker lieber Amerikas Rolle als internationaler Hafen für Demokratie und Wohlstand betonen.

Schuld daran seien die Intellektuellen, "Frankfurter Schule-Marxisten", "arme Schreiberlinge", die lieber fiktive Elendsszenarien produzieren als sich an Amerikas real existierendem Konsum-El Dorado zu erfreuen. Und die Theorien von französischen Poststrukturalisten wie Michel Foucault und Jacques Derrida, die von den US-Kollegen begierig aufgesogen würden. "Unsere Intellektuellen sind immer noch kleine, schwitzende Kolonialisten, die verzweifelt hinterhertrotten und versuchen, mit ihren Idolen in Frankreich Schritt zu halten", schreibt Wolfe.
Die Empörung über ungerechte Gesellschaftsstrukturen erhebe die Intellektuellen "auf ein Plateau moralischer Superiorität", von dem sie mit Verachtung auf den Rest der Welt herabblickten. Mit dem Ende des Kalten Kriegs, dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion sollten den intellektuellen Nörglern eigentlich die Argumente ausgegangen sein, meint Wolfe. Doch anstatt endlich Amerikas Way of Life zu preisen, erfinden sie immer neue verbale Plagen, warnen vor "kulturellen Genozid", "präventivem Faschismus" oder "sozialen Gletscherspalten" und suchen sich ein neues "Paraproletariat", ethnische Minoritäten, Homosexuelle, Frauen, deren Unterdrückung sie anprangern können. Als typische Vertreter dieses "Rokoko-Marxismus" outet Wolfe Schriftstellerkollegin Susan Sontag, Stanley Fish, ein Yale-ausgebildeter Literaturprofessor der Chicago-University, und Judith Butler, eine gefeierte Expertin für Gender Studies.

Wolfes galliger Essay in der Jubiläumsausgabe von Amerikas ältestem Literaturmagazin, das in diesem Monat seinen 150 Geburtstag feiert, stieß bisher auf wenig intellektuelle Resonanz. Vielleicht liegt's an Sommer und Semesterferien. Vielleicht aber auch an der Frequenz, mit der Tom Wolfe in letzter Zeit publicityträchtige Attacken gegen ungeliebte Kollegen fährt. Vergangenen Dezember bezeichnete er Norman Mailer und John Updike im kanadischen Fernsehen als "zwei alte Knochenhaufen", die nur Angst vor seinem Talent und seinem Erfolg hätten. Hintergrund der Auseinandersetzung war deren kritische Rezension seines letztes Buchs, "A Man in Full". Updike hatte Wolfes Werk im New Yorker als "Unterhaltung, nicht Literatur, nicht einmal Literatur in ihrer bescheidensten Anwärterform" beschrieben. Mailer wiederum sagte in der New York Review of Books, dass ihn das Buch an "Sex mit einer 300-Pfund-Frau" erinnere . "Wenn sie sich auf dich legt, ist's aus. Entweder du verliebst dich, oder du wirst erstickt."

Später berichtete das Internetmagazin Salon von einem heftigen Streit mit John Irving. Wolfe sei ein ganz schlechter Schriftsteller und könne Leuten wie Updike und Mailer nicht das Wasser reichen, sagte Irving in einem Interview. Woraufhin der gereizte Bestsellerautor im Dandy-Look alle drei mit den "Three Stooges", einem Komikertrio aus den Anfängen des Fernsehens, verglich und dem Erfolgsautor von Werken wie "Garp" und "Ciderhouse Rules" dringend Luftveränderung empfahl: "Irving muss seinen Hintern hochkriegen und seine Farm in Vermont verlassen und das fantastische, wunderbar bizarre Land namens Amerika wiederentdecken", stichelte Wolfe in Salon. Wenn Amerikas Schriftsteller nicht ganz schnell seinen "Vollblut-Realismus" umarmten, dann wäre ihr Ruf bald am Ende.

Selbst für Salman Rushdie hat Tom Wolfe ein paar stilistische Ohrfeigen parat. Rushdie baue in seinen neueren Werken einen unnötigen Filter zwischen den Leser und die Realität, kritisiert er den Autor der "Satanischen Verse". Als sei es dem egomanischen US-Autor bei all seiner Amerika-Euphorie entgangen, dass Rushdies Realität in den letzten zehn Jahre nicht aus Cocktailparties und eitlen Streitereien unter Kollegen bestand, sondern aus selbstverordnetem Hausarrest und ständiger Angst vor Attentaten muslimischer Extremisten? Im aktuellen New Yorker liefert Rushdie statt einer beleidigten Retourkutsche eine Kostprobe ungefilterten Realismus, zu dem er fähig ist, wenn ihn die islamischen Mullahs in Ruhe lassen. Rushdie schreibt überschwänglich und ergriffen von Heimatgefühl über seinen ersten Indienbesuch, seit die iranische Regierung die Fatwa über ihn verhängte. Traum von der glorreichen Rückkehr, lautet die Überschrift.