Außer Atem: Das Berlinale Blog

Erkunden mongolische Lebenswelten: 'Chaiki' und 'K' im Forum

Von Thekla Dannenberg
07.02.2015. Ella Manzheeva erzählt in "Chaiki" die Geschichte der jungen Elza, die aus der Enge ihres kalmückischen Dorfs ausbrechen will. "K" von Emyr ap Richard und Darhar Erdenibulag ist eine mongolische Version von Kafkas "Schloss".


Spannend ist es ja immer, mit dem Forum fremde Lebenswelten zu erkunden, in diesem Jahr führen zwei Filme in mongolische Lebenswelten, oder zumindest an sie heran: Ella Manzheeva erzählt in ihrem Film "Chaiki" von der jungen Elza, die aus ihrem Leben in einem Dorf in Kalmückien gleich mehrfach ausbrechen will. Sie will raus aus der unglücklichen Ehe mit dem Fischer Dzhiga, für den sie viel zu feinsinnig und gebildet ist. Und sie will der traditionellen Strenge entkommen, zu der sie die Familie und die dörfliche Gemeinschaft verpflichten wollen. Die Kalmücken sind ein mongolisches Volk, das in Russland an der Küste des Kaspischen Meeres lebt, die Sommer sind hier unerträglich heiß, im Winter ziehen eisige Stürme über die Steppe. Die Rolle, für die Elza vorgesehen ist, besteht darin, zu lieben, zu warten und fest daran zu glauben, dass ihr Mann von seinen Fahrten über das Kaspische Meer gesund zurückkehrt.

Im Winter ist das Fischen nicht nur wegen Eis und Schnee besonders gefährlich, sondern auch weil das Fischen zu dieser Zeit verboten ist und die russische Obrigkeit keine Mittel scheut, um die Wilderer zu jagen, wie es martialisch aus dem Radio tönt. Aber Elza liebt nicht mehr, sie will nicht mehr warten, und den Glauben hat sie schon lange verloren, an den Mann, den Sinn des traditionellen Lebens und an den Buddhismus, dem die mongolischen Kalmücken anhängen.

Evgeniya Mandshieva spielt die Elza, und man versinkt schier in ihrem schönen verschlossenen Gesicht, das weder ihrer Familie etwas von ihren Gefühlen verrät noch dem westlichen Kinozuschauer. Vieles stimmt nicht an ihrem Spiel, wie auch der Film ständig überzieht und sich nie richtig für die Sprache entscheiden kann, mit der er seine Geschichte erzählen will. Statt der ruhigen Erzählung zu vertrauen fällt er immer wieder ins Thrillerhafte, Frauenschicksalhafte oder ins Ethno-Poetische. In seinen besten Momenten zeigt der Film jedoch sehr schön, wie sinnlos jedes Offenbaren oder Erklären wäre. Dann erzählt er vom Unglück junger Menschen in einer traditionellen Gemeinschaft, die statt der Liebe nur die Pflicht kennt und statt der Entfaltung nur die Unterwerfung. Und deren Zugeständnis an die Moderne in den Autos und im Wodka besteht. Er zeigt dies, ohne anzuklagen oder zu denunzieren. Recht drastisch zeigt er dagegen, was für eine Diskriminierung Kalmücken von den Russen erfahren, weswegen Elza auch immer wieder von ihren Ausbruchsversuchen zurückkehrt.



Der Film "K" von Emyr ap Richard und Darhar Erdenibulag führt noch weiter in die fernöstliche Steppenlandschaft, in die innere Mongolei. Er ist die im Grunde völlig unmögliche mongolische Version von Kafkas "Schloss". Den Landvermesser, der aus unerfindlichen Gründen ins Schloss beordert wird, dort jedoch nie vorstellig werden darf, weil er viel zu nichtig und unbedeutend ist und eigentlich nur eine fehlgeleitete Akte, kann man sich bestens an diesem Außenposten des menschlichen Lebens vorstellen. Wie auch die Maschinerie, die von unausgesprochenen Gesetzen, undurchdringlichen Strukturen und vorauseilendem Gehorsam in Betrieb gehalten wird. Doch die Regisseure gehen in keinem Moment über die straff auf neunzig Minuten zusammengekürzte Vorlage hinaus. Stets bleibt der Film im geschlossenen Raum, im Hotel oder in der Dorfschenke, in der Untertitelung sind sogar die Originalnamen beibehalten. Nicht einmal ansatzweise transportieren sie den Stoff in die mongolische Gegenwart, fügen ihm keine eigene Deutung oder eigenen Sinn hinzu. Hier sollen nur die Worte für sich sprechen. Abgesehen von der grandiosen Eröffnung in der mongolischen Steppe hat hier kein Szene, kein Bild unabhängig vom Wort Bedeutung. Kafkas Roman als Vorlage eines Theaterstücks auf mongolischer Bühne.

Ella Manzheeva: "Chaiki - The Gulls". Mit Evgeniya Mandzhieva, Sergey Adianov, Evgeny Sangadzhiev und anderen. Russland 2015, 87 Minuten. (Vorführtermine)

Emyr ap Richard und Darhad Erdenibulag: "K". Mit Bayin, Jula, Yirgui und anderen. China/Großbritannien 2015, 86 Minuten. (Vorführtermine)