9punkt - Die Debattenrundschau
In preisgünstigen Kleidungsstücken
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Kulturpolitik
Manuel Brug klagt in der Welt über "Berliner Wurstigkeit" bei der Sanierung der Berliner Staatsoper und meint: Abreißen und Neubauen wäre billiger gewesen. Und Nikolaus Bernau fragt verärgert in der Berliner Zeitung: Wo wird das fehlende Geld wohl abgezwackt - beim Neubau für die Zentral- und Landesbibliothek vielleicht? In jedem Falle peinlich, denn: "Nur für die in Berlins Staatsbauwesen üblichen Kostensteigerungen bauen andere deutsche Städte ganze Akademien, Bibliotheken, Museen und Theater. Und wie kann die Hauptstadt ihr 400-Millionen-Desaster vor den Konzert- und Opernfreunden in Rostock oder im Ruhrpott rechtfertigen, die zittern, dass ihnen ihre Landesregierungen wegen einiger hunderttausend Euro den Betrieb dicht machen? Vor München oder Hamburg, die ihre Schulden selbst zahlen? Gar nicht."
Weiteres: Jörg Altwegg fragt in der FAZ wie sich die Schweiz nach dem Abkommen mit Deutschland über die Gurlitt-Bilder wohl den eigenen "Fluchtkunstwerken" gegenüber verhalten wird: In Deutschlanfd genügten Indizien, um einen Verkauf zu verhindern, die Schweizer wollten gleich enne kaum zu erbringenden Beweis: "Die Schweizer Regierung lobt den deutschen Standard, den sie im eigenen Land verhinderte." Und Eckhard Fuhr berichtet in der Welt, dass die Weichen für ein Bauhaus-Museum in Dessau nun gestellt seien - im Jubiläumsjahr 2019 soll es stehen.
Ideen
Politik
Richard Herzinger gibt in der Welt zu bedenken, dass der Westen im Umgang mit Russland mit "Genscherismus" - gemeint ist beharrliche Diplomatie - nicht weiterkommt: "Putin treibt seine Aggression voran, weil er die Verteidigungsfähigkeit des Westens bezweifelt. Nur wenn ihm diese glaubhaft vor Augen geführt und er durch eine effektive Abschreckung von der weiteren Verfolgung seines Expansionsdrangs abgehalten wird, haben die von Genscher eingeforderten neuen Kooperationsprojekte mit Russland eine Grundlage."
Jessica Schulberg ist in der New Republic zwar zufrieden, dass die US-Regierung der Folter - auch in Guantanomo - offiziell abgeschworen hat, aber einige Fragen bleiben offen, zum Beispiel die der Entschädigung. Dabei spricht sie auch den Fall des Deutschen Murat Kurnaz an, der von 2002 bis 2006 unschuldig in Guantanomo saß und mit Waterboarding und Elektroschocks gefoltert worden war: "Er hat von der der US-Regierung keine Entschädigung erhalten. "Finanziell waren die Dinge nicht einfach für ihn, er war in Guantanomo, und nicht in der handelsschule, darum war es schwer für ihn, eine richtige Arbeit zu finden", sagt sein Anwalt Baher Azmy. "Es geht ihm heute besser, aber ich denke, er sit besonder stark. Veiele ehemalige Gefangene sind traumatisiert.""
Medien
Cordt Schnibben, einer der wichtigen Repräsentanten der Print-Spiegel-Redaktion, hat sich auf einem Facebook-Eintrag (der bei Meedia nachzulesen ist) gegen den Vorwurf verwahrt, die Redaktion sperre sich gegen eine Reform. Stattdessen sei der jetzt geschasste Chefredakteur Wolfgang Büchner "der falsche Mann zum richtigen Zeitpunkt am falschen Ort" gewesen: "Dialog sei wichtiger als Digitalisierung, war Büchners Credo. Meine Dialoge mit ihm, immerhin sein "digitaler Scout", wurden nie zu Gesprächen. Erkenntnisse aus der digitalen Welt, die seinem Konzept widersprachen, interessierten ihn nicht. Unsere Einwände, seine "digitale Strategie" sei zu wenig, würden das Problem des Spiegel nicht lösen, führten nicht zu mehr Dialog sondern schließlich zu Null-Dialog." turi2 verlinkt auf eine ganze Reihe von Reaktionen auf Twitter zu Schnibbens Abrechnung. Hier die Reaktion von Wolfgang Blau, dem ehemaligen Online-Chef der Zeit.
Mit dem Abschied von Wolfgang Büchner sind die Probleme des Spiegels längst nicht gelöst, glaubt Reinhard Mohr in der Welt. Print und Online-Ressort sollten sich endlich einander annähern: "Manche Spiegel-Redakteure brüsteten sich, niemals die Web-seite anzuklicken. Das schien unter ihrer Würde zu sein. Leider bekamen sie so aber auch nicht mit, dass viele junge Online-Leser (die doch immerhin Leser sind!) ältere Zeitgenossen bei Gelegenheit ganz erstaunt fragten: "Ach, gibt"s da noch ein Heft dazu?"" Auch Michael Hanfeld fürchtet in der FAZ eine Existenzkrise beim Spiegel - trotz "exzellentem Journalismus": "Das Zeitfenster, in dem traditionelle Medien sich für das Geschäft mit unabhängigem Journalismus im digitalen Zeitalter neu finden müssen, wird sich in nicht allzu ferner Zukunft schließen." Ulrike Simon setzt in einem Klaus Brinkbäumer-Porträt in der Berliner Zeitung große Erwartungen in Büchners voraussichtlichen Nachfolge.
Zwei der prominetesten Redakteure der New Republic, Franklin Foer und Leon Wieseltier, verlassen das Magazin, das dem Facebook-Gründer Chris Hughes gehört. Der neue Chefredakteur Guy Vidra soll das Magazin in eine "vertically integrated digital media company" umbauen, berichtet Julia Fleischaker in Mobylives.
Überwachung
Europa
Glaubt man Julian Hans von der SZ in seinem Kommentar zu Wladimir Putins gestriger Rede an die Nation dann ist Putin ein Sieger: "Russland steht vor einem großen Sieg. Es ist der Sieg des Wunsches über die Wirklichkeit."
Gesellschaft
In der NZZ erklärt der Neurobiologe Michael Meaney, wie sich Angst und Stress der werdenden Mutter auf die Hirnentwicklung des Kindes auswirken. "Wie wichtig es ist, möglichst frühzeitig einzugreifen, lässt sich am Beispiel des Schwangerschaftsdiabetes veranschaulichen: Die Kinder kranker Frauen tragen ein hohes Risiko, später fettleibig zu werden und selbst an Diabetes zu erkranken. Früher ging man davon aus, das sei ausschließlich genetisch bedingt und lasse sich daher schwer ändern. Wie man inzwischen jedoch weiß, trifft die Erbanlagen nicht die alleinige Schuld. So lässt die Erkrankungsgefahr merklich nach, wenn man den Diabetes der werdenden Mutter behandelt." (Und wenn sie ablehnt? Landet sie dann wegen Körperverletzung vor Gericht?)
In einem Essay in der Welt fordert Marko Martin einen härteren Umgang mit radikalen Jugendlichen: "Freilich machen die vermeintlich wachsameren konservativen Wutbürger keine bessere Figur. Im Gegenteil. Wer die Notwendigkeit der Terrorabwehr mit xenophoben Ressentiments vermischt und tatsächlich so hirnrissig ist, ausgerechnet die Schimäre des "christlichen Abendlandes" als Bollwerk gegen den Islamismus zu feiern, entscheidet sich bewusst für eine rassistische Ethnisierung eines fundamentalen Wertekonfliktes und will ebenfalls eine andere Republik."
Außerdem: Die Niederlande streiten um den "Zwarte Piet", den schwarzen Helfer des Nikolaus, berichtet Elsbeth Gugger in der NZZ.