Der
Spiegel bringt eine erstaunlich zahnlose Reportage über den
Fall Fabian Wolff. Bei Wolff fragen sie allen Ernstes "Durfte er das?" Bei Mirna Funk notieren sie hingegen streng: "Funks Text erfüllt kaum journalistische Standards.".
Verantwortliche in der Zeit werden nicht namhaft gemacht. Immerhin erfährt man ein wenig über die Verhältnisse in dem Laden: "Wer in diesen Tagen mit der
Zeit-Belegschaft spricht, trifft auf Menschen, die ihr eigenes Haus nicht wirklich verstehen. Drei Autostunden trennen die Redaktion der Wochenzeitung in Hamburg von ihrem Onlinependant in Berlin, doch die
Ressentiments und Missverständnisse zwischen den Häusern lassen die Strecke mitunter wie eine Weltreise erscheinen. Printredakteure beteuern, von dem Text nichts gewusst,
höchstens gehört zu haben. Ein Onlineprojekt sei das gewesen, von dem selbst manche Führungskräfte nicht in Kenntnis gesetzt wurden." Der Online-Kulturchef se hingegen von dem Wolff-Text ergriffen gewesen: Ein "
Dokument der Zeitgeschichte" sei das, soll er gesagt haben.
Die Affäre rührt deshalb so auf, meint Jan Küveler in der
Welt, "weil sie ans Herz einer zurzeit weitverbreiteten Ideologie rührt, der
Identitätspolitik. Deren zentraler Glaubenssatz bestreitet die aufklärerisch-universalistische Idee von der Kraft des
besseren Arguments. Diese diskursive Utopie, meinen die Anhänger der Identitätspolitik, lasse die Sprecherposition sträflich außer Acht. In der westlichen Tradition seien die intellektuellen Wortführer über lange Zeit mehrheitlich weiße, christliche, heterosexuelle Männer gewesen - zuungunsten von Frauen, Homosexuellen, Schwarzen… und nicht zuletzt auch Juden. Was als Wahrheit ausgegeben werde, sei tatsächlich das kaum verhohlene Partikularinteresse eines angeblichen Patriarchats.Fabian Wolff legte es erfolgreich darauf an, eine ganz besondere Sprecherposition zu bekleiden: die des
linken,
israelkritischen Juden, der dem jüdischen Staat systematische Unterdrückung der Palästinenser vorwirft und der deshalb sogar antisemitische Organisationen wie den BDS unterstützt."
Auch
Perlentaucher Thierry Chervel
sieht die Affäre in einem Twitter-Thread als "die Katastrophe jener inzwischen so weit verbreiteten Idee, dass
ein Argument nur zählt, wenn die Identität stimmt". Und er fragt, warum die
Zeit-Redakteure, die Wolffs Text brachten nicht namhaft gemacht werden: "Warum äußern sich diese Personen nicht, und warum insistieren die KollegInnen des
Spiegel nicht? Bei der Relotius-Affäre wurden doch auch Namen genannt, zu Recht... Die Print-
Zeit hat die Wolff-Affäre ja tatsächlich
mit keinem Wort erwähnt. Kein Wort zu einem GAU!"
In der
taz kommt auch Carolina Schwarz auf die
Rolle der ZeitOnline-
Redakteure zurück, denen ja irgendwann durchaus bekannt war, dass Wolff eine falsche Identität vorgab: "Journalistisch sauber wäre zu diesem Zeitpunkt gewesen, Wolff nicht die Möglichkeit zu geben, ein 70.000 Zeichen langes
Geschwafel zu veröffentlichen, sondern ein
kritisches Interview mit ihm zu führen oder seine Biografie selbst zu recherchieren." Und eine Entschuldigung von Wolff fehlt bis heute im übrigen auch, so Schwarz: "Auf die Frage,
warum Wolff sich nicht entschuldigt habe, antwortet dieser der taz: 'Der Text ist die Abbitte, nicht als Selbstentschuldigung, sondern aus Selbstverantwortung.'"