Außer Atem: Das Berlinale Blog

Showtime, baby: Wes Andersons 'The Grand Budapest Hotel' (Wettbewerb)

Von Elena Meilicke
06.02.2014. Wes Andersons Berlinale-Eröffnungsfilm "The Grand Hotel Budapest" zeigt nicht nur einen amüsanten Ringelreihen berühmter Schauspieler, seine zwanghafte Symmetrie hat auch etwas wirklich Tröstliches, bedenkt man das Ende.


Süß, süß, zuckersüß – das ist der erste Gedanke beim Betreten von Wes Andersons bonbonfarbenem "The Grand Budapest Hotel": eine Playmobil-Spielzeugwelt, die durch den Farbeimer gezogen wurde, alles strahlt rosa und hellblau und lila und rot. Aber der Reihe nach: wir befinden uns in einem vage mitteleuropäisch-habsburgisch angehauchten Fantasiestaat namens Zubrowka, 1932. Der Krieg steht bevor, aber noch erstrahlt der Glanz des Fin-de-Siècle. Malerisch inmitten verschneiter Wälder liegt das Grand Hotel, ein prachtvolles Gewirr aus Türmchen und Erkerchen. Concierge Gustave H. (Ralph Fiennes) hält hier alle Zügel in der Hand, findet dabei aber noch genug Zeit, um alten reichen Damen (Tilda Swinton, im pelzbesetzten roten Mantel und spektakulär hängenden Gesichtszügen) den Lebensabend zu versüßen oder dem neuen Lobbyboy namens Zero (Tony Revolori) zu erklären, wie der Hase läuft.



Der Film selbst läuft auch wie ein Hase, wie ein Duracell-Häschen, er läuft und läuft. Einmal aufgezogen (was in diesem Fall heißt, sich durch eine komplizierte, weil dreifach verschachtelte Rahmenstruktur unterschiedlicher Zeitebenen zu wurschteln, denen zudem drei verschiedene Filmformate entsprechen), einmal aufgezogen also, schnurrt "Grand Hotel Budapest" ab und fährt im Affenzahn ein Kabinett kurioser Typen auf. Wie alle Anderson-Filme ist "Grand Hotel Budapest" ein Ensemble-Film, und ein Großteil des Zuschau-Spaßes besteht darin, dass auch geringste Nebenfiguren von großen Stars gespielt werden, deren meist kurze und grotesk verkleidete Auftritte es zu erhaschen gilt: Das da ist Harvey Keitel, und dort steht Léa Seydoux. Ein fast anti-illusionistisches Programm ist das, dem es weniger um die glaubhafte Verkörperung irgendwelcher Rollen geht als eben darum, Keitel et al. in einem Anderson-Stück zu zeigen. It’s showtime, baby.

Die Babelsberg-produzierte Fantasie vom alten Europa (ein bisschen Zauberberg, ein bisschen Kafka, ein bisschen Stefan Zweig) erlaubt Anderson darüber hinaus, seinen Hang zu Pose und Uniform ungehemmt ausleben zu dürfen. Da trifft das Feldgrau wuchtiger Soldatenmäntel auf das tendenziell queere Violett der Liftboy-Livrées – für alle aber gilt: Bauch rein, Brust raus. Die mitteleuropäische "Welt von Gestern" (Zweig) zeichnet sich bei Anderson vor allem durch ihre Stocksteifigkeit aus, eine ganze Gesellschaft, die Haltung wahrt und stramm bei Fuß steht.



Natürlich speist sich aus dieser Steifheit ein Gutteil des Witzes und der Komik, die "Grand Hotel Budapest" ausmacht. Die Tendenz zur Haltung und Pose erinnert aber auch daran, dass hinter den süßen und komischen Niedlichkeiten in Anderson-Weltentwürfen stets messerscharfe Präzision liegt. Andersons Filme sind immer und total auf Zack, da ist jeder Zoom kalkuliert, und noch der wildeste Reißschwenk bewegt sich innerhalb eines penibel abgezirkelten 45-Grad-Winkels. Was auf den ersten Blick oft als kindliche Verspieltheit wahrgenommen wird, hat de facto etwas sehr Beherrschtes an sich. Das gilt auch für die vielen lateralen Kamerafahrten oder Bewegungen, die streng vertikal bzw. horizontal ausgerichtet sind. Andersons Ästhetik, könnte man sagen, ist eine der Rechtwinkligkeit, der durchaus eine gewisse Steifheit und Unflexibilität zukommt – genau wie den Mitteleuropäern im Grand Budapest. Hierzu passt auch die Vorliebe des Films für's Maschinelle, für Züge und Seilbahnen, für Fahrstühle und Essensaufzüge, für Maschinen also, die vertikale und horizontale Bewegungen organisieren.

Vielleicht macht aber genau diese zackige Steifheit Andersons Filme auch so befriedigend. Immer halten sich diese Filme an die selbst gesetzten Spielregeln, es gibt eine gewisse Vorhersehbarkeit der Bewegungen der Kamera, einen Exzess an Symmetrie. Man kann das ziemlich "obsessive-compulsive" finden, Film gewordene Zwangsstörung, es hat aber auch etwas Tröstliches an sich. Es ist, also ob alle Linien, entlang derer Kamera und Schauspieler bei Anderson interagieren, stets abgezählt und beschränkt sind, als ob alle Bewegungen auf festen Bahnen verlaufen, auf einem unsichtbaren Netz, das Halt gibt und Struktur. Ungeachtet aller Idiosynkrasien, die Anderson’sche Plots und Figuren regelmäßig aufweisen, gilt: nicht alles ist möglich. Das ist doch ungeheuer entlastend, bei der ganzen Kontingenz, der man Tag für Tag ausgesetzt ist.

Elena Meilicke

The Grand Budapest Hotel. Regie: Wes Anderson. Darsteller: Ralph Fiennes, Tilda Swinton, Saoirse Ronan, Jude Law, Edward Norton, Tony Revolori, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Adrien Brody u.a., Großbritannien / Deutschland 2014, 100 Minuten (Wettbewerb, alle Vorführtermine)