Außer Atem: Das Berlinale Blog

Keine Schwarzmalerei: Jafar Panahis 'Taxi' (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
06.02.2015. In "Taxi" versucht Jafar Panahi vergeblich, seine Nichte zufriedenzustellen. Alle anderen Fahrgäste erzählen gern von sich.


Die kleine Nichte weiß genau, wie ein Film gemäß den staatlichen Vorgaben aussehen darf. Sie soll einen für die Schule drehen und ihre Lehrerin hat genaueste Anweisungen gegeben: Islamische Kleidung ist Pflicht, die Guten müssen auf jeden Fall islamische Namen tragen und wenn möglich Krawatte, Politik und Wirtschaft dürfen nicht vorkommen, und vor allem bitte, das ist das wichtigste: keine Schwarzmalerei. Düsterer Realismus ist das letzte, was der Iran jetzt gebrauchen kann.

Zufällig, aber vergeblich filmt die Kleine also das Liebesdrama, das sich im Nachbarhaus in geradezu Shakespeareschen Dimensionen abspielt, doch weil der Geliebte der Tochter ein Afghane ist, kommt die Tragödie nicht in Frage. Auch die Episode, in der ein armer Straßenjunge ein bisschen Geld auf der Straße findet, kann sie nicht verwenden, der Junge müsste es dem Bräutigam zurückgeben, dem es aus der Tasche gefallen ist. Also quengelt und bettelt sie den Jungen an, doch der ist nicht bereit, auf sein bisschen Glück zu verzichten, damit sie einen besseren Schluss für ihren Film bekommt.

Die kleine Nichte ist eine der Personen, die Jafar Panahi auf seiner Taxifahrt durch das heutige Teheran und den iranischen Irrsinn mitnimmt. Immer wieder steigen neue Fahrgäste ein: Ein Straßenräuber, der härte Gesetze und mehr Hinrichtungen verlangt, um sich unsoziale Konkurrenten vom Hals zu schaffen. Zwei ältere Damen, die aus einem verrückten Aberglauben ihre Goldfische bis Punkt zwölf zu Alis Quelle gebracht haben müssen ("Nicht nur Inshallah. Wir müssen!"). Ein Film-Verkäufer, der mit seinen illegalen Kopien die Filmgeschichte auch für den Iran offenhält. Oder ein früherer Nachbar, der ihm über die Aufnahmen seiner Überwachungskamera zeigt, wie er im eigenen Haus überfallen und ausgeraubt wurde.

Und schließlich steigt auch eine unglaublich viel Respekt abnötigende Anwältin in den Wagen, die - wie Panahi als Chaffeur - als Blumenfrau firmiert und von Mandantinnen erzählt, die sie im Gefängnis besucht. "Erst legen sie eine Akte an, dann werfen sie dir moralische Verfehlungen vor und sperren dich ein. Wenn Du rauskommst, steckst Du in einem noch größeren Gefängnis. Dann gehen deine Freunde auf Abstand." Natürlich droht auch ihr Berufsverbot.

Panahi sitzt dabei am Steuer und dirigiert seinen Wagen sicher durch die Schluchten des Teheraner Alltags und an den Klippen der iranischen Zensur vorbei. Die Dialoge sind inszeniert, und abgesehen vielleicht von einer etwas überdreht-tragikomischen Szene funktionieren sie immer perfekt als konkrete Erzählung und als Reflexion über das Kino und das Filmemachen. Gespielt werden die Szenen, wie es scheint, nur in einigen Fällen von Schauspielern; der Regisseur und Taxifahrer Panahi gibt eher Freunden, Bekannten und Weggefährten das Wort. Rolle und Person, Zufall und Drehbuch, Inszenierung und Dokumentation lassen sich kaum auseinander halten, aber man fühlt sich niemals um den Unterschied betrogen. Es ist eher so, dass Panahi sie neu denkt.

Längst ist Panahi zum wichtigsten noch im Iran lebenden Regisseur geworden. (Der Film ist intellektuell und künstlerisch ungefähr das Gegenstück zu Isabel Coixet, deren Eröffnungsfilm "Nobody Wants the Night" in gleich mehrfacher Hinsicht das Drama scheiternder Frauen zu einer Erfolgsgeschichte umdeuten wollte. Panahi wächst selbst in einer solchen kleinen Form über sich hinaus.) Man kann nur staunen, mit was für einer künstlerischen Klugheit Panahi die iranischen Behörden umgeht, die ihm ein zwanzigjähriges Berufsverbot als Regisseur auferlegt haben. Ebenso bewundernswert ist, wie skrupulös, unprätentiös und komisch zugleich er dabei Fragen nach Kino, Kunst und Verantwortung behandelt. Immer im Raum steht zum Beispiel die Frage, was ein Regisseur anderen Menschen im Sinne der Kunst abverlangen darf. Und natürlich, auch nicht zu unterschätzen, die Frage der kleinen Nichte: "Was bist Du für ein Regisseur, wenn Du so eine Kiste fährst?"

Jafar Panahi: Taxi. Iran 2015, 82 Minuten.
(Vorführtermine)