Außer Atem: Das Berlinale Blog

Der Mensch verliert sich: Thomas Vinterbergs 'Kollektivet' (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
18.02.2016. Der Architekt Erik und seine berühmte Fernsehfrau Anna, erben eine Villa, die für sie allein viel zu groß wäre. Also holen sie sich lauter fantastische Menschen ins fantatische Haus.


So mitleidslos hat das Kino schon lange keinen mehr über die Klinge springen lassen wie Thomas Vinterberg den kleinen Vilads. Der Sechsjährige war ein durchaus unsympathisches Kind, aber solch einen erbarmungslosen Tod hätte man ihm nicht gewünscht: Gerade machen sich alle in der Kommunge - mit sich und dem Lauf der Dinge versöhnt - zu Elton Johns "Goodbye Yellow Brick Road" ein Bier auf, da liegt der Junge tot in den Armen der Mutter. Ein Schnitt und die Urne liegt in den Armen des Vaters, während sich der Film weiter zu der sentimentalen Musik wiegt. Das Leben kommt, das Leben geht, die Kommune bleibt bestehen, soll das heißen. Vinterberg meint das vielleicht in einem hinduistischen Hippie-Sinne, aber es kommt einem eher maoistisch vor.

Überhaupt weiß man nie genau, worauf Vinterberg mit seinem Film über eine Kommune in Kopenhagen in den siebziger Jahren hinaus will. Er sei als Kind in einer aufgewachsen, erzählte der Regisseur auf der Pressekonferenz in Berlin, und wolle etwas von dem positiven Geist bewahren. Doch in seinem Film, der auf einem Theaterstück beruht, merkt man nichts davon: Der Architekt Erik und seine berühmte Fernsehfrau Anna, erben eine Villa, die für sie allein viel zu groß wäre. "Der Mensch verliert sich in so einem großen Haus", sagt Erik. Sie holen eine Reihe von Freunden ins Haus: "Ein fantastisches Haus voller fantastischer Menschen", schwärmt Anna. Doch Vinterberg reiht so viele Klischees aneinander, dass man lange Zeit denkt, er steuere auf eine grobe Satire zu: die Hausordnung, der Abwasch, die gemeinsame Kasse - die fantastischen Menschen sind langhaarig und tragen Nickelbrille und Wollpullover. Das sind alles so abgelutschte WG-Bilder, dass man gar nicht glauben mag, dass Vinterberg eigenes Erleben verarbeitet. Von Aufbruch, Umbruch, Tabubruch keine Spur. Politische Diskussionen? Gesellschaftliche Vorstellungen? Fehlanzeige.

Dann beginnt Erik eine Affäre mit einer ungefähr dreißig Jahre jüngeren Studentin. Dänemarks Schauspielerstar Trine Dyrholf spielt sich als seine Frau Anna die Seele aus dem Leib: Im Sinne ihrer aufgeklärten Ideen will sie die offene Partnerschaft akzeptieren, kommt jedoch nicht klar. Erst verliert sie ihren Job, dann ihren Verstand. Der Schrecken erreicht die Mitbewohner, als die junge Geliebte mit ins Haus ziehen soll. Sie akzeptieren sie nur als Gast, als Exempel möchten sie das - schon aus eigenem Interesse - lieber nicht statuieren. Also doch ein kritisches Drama über den Untergang des Einzelnen im Kollektiv, über Doppelmoral und Heuchelei? Nicht wirklich. Auch wenn Vinterberg eine der schönsten Szenen aus Ingmar Bergmans "Fanny und Alexander" zitiert, den Tanz zu Weihnachten, kommt er doch nie in die Nähe eines Beziehungsdramas. Vinterberg benutzt das Dramatische nur als Spannungsmoment, kommt ihm eine andere Idee in den Sinn, hat er die Tragödie von eben schon wieder vergessen. Und die vernachlässigte Tochter, die man schon auf Abwegen befürchten musste, fällt im Sinne der Sache und der Zukunft das entscheidende Urteil. "Anna gibt ihr Leben für den Geist der Kommune", ruft Vinterberg bei der Pressekonferenz - und strahlt vor Freude.

"Kollektivet - The Commune". Regie: Thomas Vinterberg. Dänemark/Schweden/Niederlande 2015, 111 Minuten. Mit Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen und anderen (Alle Termine).