Außer Atem: Das Berlinale Blog

Streamingaffiner First-World-Eskapismus: "Past Lives" von Celine Song (Wettbewerb)

Von Patrick Holzapfel
19.02.2023.

Mit der geradlinigen Tearjerker-Romanze "Past Lives" legt die US-amerikanische Produktionsfirma A24 den nächsten sicheren Arthouse-Hit vor. Ein Satz wie aus einem Werbeprospekt, der hier nicht ganz umsonst am Anfang steht. Denn egal, ob man sich mitnehmen lässt von dieser Geschichte einer unerfüllten Liebe, die sich über Orte und Zeiten am Leben hält, oder nicht, es muss zumindest registriert werden, dass die Berlinale endgültig jedweden filmischen oder politischen Anspruch aus ihrem Hauptwettbewerb entfernt hat. Egal, ob man sich von Filmen genau diese Identifikationsdichte wünscht oder nicht, es muss gefragt werden, ob die Antwort des Kinos auf die Herausforderungen heute wirklich im streamingaffinen First-World-Eskapismus liegt. Aber wahrscheinlich sind diese Worte altmodisch und haltlos. Man kann nichts ausrichten gegen die billige Kraft sogenannter allgemeingültiger Gefühle, in denen so viele glauben den Sinn der siebten Kunst zu erkennen.

Der Film gehört jedenfalls zu den besseren, das heißt effektiveren Romanzen dieser Art, die man in den letzten Jahren sehen konnte. Das liegt weder an den geglätteten Bildern noch an der sentimentalen Musik, sondern daran, dass die Debütregisseurin Celine Song, die hier autobiografische Erlebnisse verarbeitet und verkitscht, das Einfache unendlich komplex erscheinen lässt. Denn eigentlich folgt "Past Lives" einer völlig entschlackten Reißbrettdramaturgie: In Korea mögen sich die beiden Kinder Nora und Hae Sung. Nora wandert gemeinsam mit ihren Eltern in die USA aus (daher auch ihr Name). Nach zwölf Jahren nimmt Hae Sung wieder Kontakt mit ihr auf und die beiden sprechen eine Zeit lang über Skype. Dann bricht Nora den Kontakt ab, weil sie sonst nicht mit ihrem neuen Leben fortfahren kann. Ein weiteres Jahrzehnt später taucht Hae Sung in New York auf. Inzwischen hat Nora Arthur auf einer Artist-Residency kennengelernt und geheiratet. Zwischen Nora und Hae Sung gibt es noch immer Gefühle. Alle werden verletzt und müssen damit umgehen lernen.

Eine urklassische Dreiecksgeschichte also, in der, das unterscheidet das romantische Drama von der romantischen Komödie, niemand einen Fehler macht, nicht einmal einen Fehltritt begeht. Die Umstände des Lebens sind es, die alles ins Tragische wenden. In der sauberen, reichen Welt des Films betreffen diese Umstände (die man im Jargon des Genres Schicksal oder inyeon, also die Verbindung zwischen Seelen über verschiedene Leben hinweg nennt), vor allem karrierebedingte Entscheidungen und die Migration. Die Beziehung zu Heimat und Sprache beeinflusst die Bewegungen der Figuren. Das äußert sich etwa darin, dass Noras Koreanisch stockender wird oder Arthur von einer Angst erzählt, die entsteht, weil dieser Teil Noras ihm, obwohl er die Sprache erlernt, versperrt bleibt.

Song hat ein gutes Gespür für die Aufregung, die durch Körper geht, unmittelbar bevor man die trifft, für die man Liebe empfindet. Dass sie die daraus folgende Nervosität auch vor dem Laptop oder Handy oder in der Skype-Warteschleife filmt, zeigt, dass entgegen mancher Befürchtung auch die über diese Medien liebende Generation zu ihren großen romantischen Kinobildern kommen kann. Wie gewohnt vermeidet A24 aber, dass die generischen Bilder ins Ikonische oder Lächerliche entgleiten. Dieses Kino erzählt von jenen, die gelernt haben, sich zu beherrschen. Das emotionale Gewicht vermittelt sich durch Nahaufnahmen und gerade in dieser anhaltenden, ambivalenten Hemmung zwischen dem, was empfunden wird und dem, was (nicht) gelebt wird, entfaltet sich die Dramaturgie des Films. Das Vergehen der Zeit, die Endlichkeit des Lebens, die Unauflösbarkeit der Liebe, das alles findet Song in ihrem Dreieck, weil sie nur das Notwendigste erzählt und den Rest dem sich selbst in den Film projizierenden Publikum überlässt.

Was möchte "Past Lives" von uns? Wahrscheinlich vor allem, dass wir ähnlich empfinden wie die Protagonisten. Tatsächlich fühlt man sich aufgefordert, nach dem Film längst vergessene Freunde aufzusuchen. Manche werden auch weinen, weil sie das nie getan haben. Diese existenzialistische Rührseligkeit ist Symptom eines egozentrischen Kinos wohlgestellter, kulturaffiner Denkweisen, das seinen höchsten Wert darin erkennt, wenn Menschen nichts mehr auf der Leinwand sehen außer sich selbst.

"Past Lives". Regie: Celine Song. Mit Greta Lee, Teo Yoo, John Magaro u.a., USA 2022, 105 Minuten. Alle Vorführtermine.