Außer Atem: Das Berlinale Blog

Sonne durch grüne Blätter: "And, Towards Happy Alleys" von Sreemoyee Singh (Panorama Dokumente)

Von Alice Fischer
22.02.2023.

Die indische Regisseurin Sreemoyee Singh hat eine berührende Dokumentation über den Iran gedreht, über sein Kino, seine Poesie und seine Musik. Und vor allem über die Menschen, die sich mit ihrer Kunst gegen die Unterdrückung durch das Regime wehren.

Eine Eigenschaft totalitärer Regime ist, dass sie Menschen zum Schweigen zwingen wollen, ihre Geschichten verbieten, ihnen die Stimme nehmen wollen. Um diese Stimmen zu hören und hörbar zu machen, ist die indische Regisseurin Sreemoyee Singh, die fließend Farsi spricht, erstmals 2015 in den Iran gereist und hat dort über einen Zeitraum von sechs Jahren mit Filmschaffenden und AktivistInnen Interviews geführt. Während ihres Studiums, so erfahren wir zu Beginn des Films, hat sie sich in das iranische Kino verliebt. Und in die Poesie der iranischen Dichterin Forough Farrokhzad.

Singhs Doku beginnt mit einem kleinen revolutionären Akt. "Sing doch das Lied, das du vorhin gesungen hast", sagt Regisseur Jafar Panahi als sie zusammen im Geschäft eines befreundeten Verkäufers stehen. Und das tut sie, sie hat eine wunderschöne Stimme, klar und berührend. Panahi wirft immer wieder einen Blick Richtung Ladentür. Was hier passiert, ist nicht ungefährlich, Frauen dürfen im Iran in der Öffentlichkeit nicht singen. Singh hat ein Gefühl für besondere Situationen und subtile szenische Arrangements. Mit Jafar Panahi, dessen Film "Taxi Teheran" 2015 den Goldenen Bären gewann, spricht die Regisseurin vor allem, während er Auto fährt. Das Meer habe ihm das Leben gerettet, erzählt er, als das iranische Regime seinen Film "The Circle" zensierte und ihm Berufsverbot erteilte. Verzweifelt, weil er keine Filme mehr machen konnte, ging er eines Abends an den Strand, beinahe hätte er sich ertränkt. "Aber die Wellen haben mich zurückgeworfen", sagt er, da habe er gewusst, dass er einen Weg finden müsse, weiter Filme zu drehen.

Die Menschen, die Singh zu Wort kommen lässt, sind alle von den Repressionen des Regimes betroffen und in ständiger Gefahr, vor Zensur, Gefängnis oder Schlimmerem. Sie halten mit ihrer Kunst dagegen, und mit Humor. Beispielsweise wenn der Filmemacher Mohammad Shirvani draußen vor seiner Terrassentür sitzt, warmes Sonnenlicht im Gesicht, und über Erotik in seinen Filmen spricht. Aus der Ferne hört man den Lärm von Bauarbeiten. Immer, wenn Shirvani beginnt von regimekritischen Themen zu sprechen, setzt auch der Krach ein: "Siehst du, die Zensur ist überall", lacht er.


In einer Szene sagt Singh zu Panahi im Auto, er solle sie einfach bei einer Bushaltestelle absetzen. "Hier findest du keine Haltestelle," sagt der Regisseur. Sie befinden sich in der Nähe des Evin-Gefängnisses, in dem Panahi 2010 drei Monate inhaftiert war. Es ist dasselbe, in das man ihn letztes Jahr brachte, sieben Monate hielt man ihn dort fest, bis er diesen Februar entlassen wurde, nachdem er in einen Hungerstreik getreten war.

Der Film lässt seine Protagonisten ganz ohne Pathos erzählen, er ist leise und nachdenklich. In den Bildern dominieren Wärme und Helligkeit, Wind und Licht, oft flimmert Sonne durch grüne Blätter. Grün, die Farbe der Hoffnung und auch die der iranischen Oppositionsbewegung. Singh widmet einen großen Teil ihres Films dem Kampf der Iranerinnen für ihre Rechte. Sie zeigt Handyaufnahmen vom Beginn der Protestwelle 2017, als sich Vida Movahed, auf einem Stromkasten stehend den Hijab herunterzog, mitten auf der riesigen Enghelab Street, auf der die Sittenpolizei stark kontrolliert. Singh lässt die Frauen zu Wort kommen, die seit Jahren für ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfen, so wie die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Nasrin Soutodeh. Als sie 2010 verhaftet wurde, weigerte sie sich den Tschador zu tragen, der für die inhaftierten Frauen Pflichtuniform war, erzählt sie. Durch ihr Engagement konnte sie durchsetzen, dass dieses Gesetz geändert wurde. 2018 wurde Soutodeh allerdings erneut in Gewahrsam genommen und zu 38 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt. International wird für ihre Freilassung gekämpft.

Die Schauspielerin Mina Mohammadkhani und ihre Schwester Aida berichten, wie sie nach einmonatigen Protesten endlich erreicht haben, dass sie Farbe und Muster ihrer Verschleierung selbst wählen dürfen. Die Kamera ist nah an den Menschen, aber nie aufdringlich, Singh gibt ihren Gesten und Blicken Raum, lässt sie nachdenken und fragt nur manchmal nach. Sie hört zu und bewertet nicht, wenn beispielsweise zwei junge Frauen von ihren unterschiedlichen Einstellungen zu Schönheitsoperationen erzählen, die im Iran boomen.

Zwischen all dem klingen immer wieder die Verse der feministischen Dichterin Forough Farrokhzad, die ihre Kunst dem Aufbrechen starrer Geschlechterbilder gewidmet hat, vorgetragen von der Autorin Jinous Nazokkar. Ihre Lyrik ist traurig und kraftvoll und zugleich voller Hoffnung. Wie ein Motto des Filmes wirken die Verse ihres Gedichts "Window" und zugleich wie eine alle in diesem Film Versammelten einende Losung: "When they would blindfold me, with the dark handkerchief of Law, and from my anxios temples of desire, fountains of blood would squirt out, When my life was nothing more than the tic toc oft he wall clock, I knew I must, I must, I must, love insanely."

"And, towards happy alleys" ist wie Farrokhzads Lyrik: poetisch und hoffnungsvoll. Singhs Debütfilm ist eine Hommage an die Kunst und ihre Rolle im Kampf für die Freiheit. Am Ende des Films besucht Singh eine Mädchenschule. Sie soll dort ein Lied singen, "Soltane ghalbha" von Aref Arefkia. "Nicht mitsingen!", warnt die Lehrerin die Kinder, bevor die Regisseurin beginnt. Doch die Mädchen lassen sich nicht abhalten, alle kennen den Text auswendig. Und so endet der Film wie er beginnt, mit einem Lied, das verboten ist und trotzdem gesungen wird.

Alice Fischer

"And, Towards Happy Alleys." Regie: Sreemoyee Singh. Dokumentarische Form. Mit Jafar Panahi, Nasrin Soutodeh, Jinous Nazokkar, Farhad Kheradmand, Aida Mohammadkhani.Indien 2023, 75 Minuten. (Alle Termine)