Essay

Auf Kosten der Rechtsinhaber

Von Martin Vogel
25.05.2023. Die VG Wort hat allen bei ihr organisierten Urheberinnen und Urhebern mit älteren Verträgen Ende März einen Brief zugeschickt mit der Warnung, sie könne ihre Rechte nicht mehr wahrnehmen und ihre Vergütungsansprüche nicht mehr eintreiben, wenn man nicht die beiliegende Neufassung des Wahrnehmungsvertrags unterzeichne. Aber der neue Vertragsentwurf enthält wiederum Klauseln, die unwirksam sind. Dies dient maßgeblich dem eigenen Organisationsinteresse der VG Wort und dem Interesse derjenigen, die auch in Zukunft auf Kosten der Rechtsinhaber zu Unrecht begünstigt werden sollen.
Wieder gibt es Ärger bei der VG Wort - diesmal, weil sie, verbunden mit der Ankündigung, sonst bestimmte Rechte nicht mehr wahrnehmen zu können, von den Wahrnehmungsberechtigten die die Unterzeichnung der Neufassung ihres Wahrnehmungsvertrags verlangt, die in Teilen offensichtlich rechtlich unwirksam ist. Hat die VG Wort aus den für die Urheber kostspieligen Verfahren "Verlegeranteil" und Herausgeberbeteiligung (dieses noch nicht rechtskräftig) nicht gelernt, dass sie sich an Gesetz und Recht zu halten hat?

Alle in der VG Wort organisierten Urheberinnen und Urheber mit älteren Verträgen haben Ende März einen Brief von der VG Wort bekommen mit der Warnung, die VG Wort könne ihre Rechte nicht mehr wahrnehmen und ihre Vergütungsansprüche nicht mehr eintreiben, wenn man nicht die beiliegende Neufassung des Wahrnehmungsvertrags unterzeichne. Notwendig werde die Unterzeichnung zumindest bei vor 1987 abgeschlossenen Verträgen, weil die alten Verträge eine Klausel "zur Einbeziehung von künftigen Änderungen und Ergänzungen des Wahrnehmungsvertrages in bereits abgeschlossenen Verträgen" enthalte, "die nach heutige Rechtslage als unwirksam angesehen werden muss".

Die VG Wort nutzt diese Aktion nun, um die Urheber neuerlich über den Tisch zu ziehen. Die Erklärung folgt, doch zunächst zum Grundsätzlichen:

Die urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften verwalten für Urheber, ausübende Künstler und andere Rechtsinhaber treuhänderisch Rechte, die diesen nach dem Urheberrechtsgesetz gegen die Nutzer ihrer Leistungen zustehen. Meist können diese Ansprüche schon kraft Gesetzes oder jedenfalls faktisch nur durch eine Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden. Die Erlöse aus der Wahrnehmung der Vergütungsansprüche gegen Nutzer sind nach den festen Regeln eines Verteilungsplans an die Rechtsinhaber - und nur an diese - zu verteilen. Die Verwertungsgesellschaften sind Treuhänder der Rechtsinhaber, die ihnen Rechte zur Wahrnehmung anvertraut haben. Sie sind deshalb verpflichtet, ausschließlich in deren Interesse zu handeln.

Die Urheber und anderen Rechtsinhaber haben keinen Einblick in das Geschäftsgebaren der Verwertungsgesellschaften. Deshalb wurde bei dem Deutschen Patent- und Markenamt eine Staatsaufsicht eingerichtet mit der Aufgabe zu überwachen, ob die Verwertungsgesellschaften ihren Treuhänderpflichten nachkommen. Seit einigen Jahren ist die Staatsaufsicht personell sehr gut ausgestattet. Eine ganze Mannschaft von Volljuristen kümmert sich offiziell darum, dass Statuten und Gebaren der Gesellschaften dem Geist der Verträge entsprechen. Dies müsste eigentlich den Schutz der Rechte und Interessen der Rechtsinhaber im Verhältnis zu ihren Verwertungsgesellschaften hinreichend sichern.

Dass die Realität teilweise ganz anders aussieht, belegt bereits das Urteil des Bundesgerichtshofs "Verlegeranteil" vom 21.4.2016 (Az. I ZR 198/13). Über Jahrzehnte hat die VG Wort bis zu 50 Prozent der Wahrnehmungserlöse, die den berechtigten Urhebern zustanden, an Verleger überwiesen, obwohl sie dazu durch nichts berechtigt war. Die Verleger hatten ihr keine entsprechenden Rechte zur Wahrnehmung übertragen. "Rechtsgrundlage" der Zahlungen an Verleger war allein eine Satzungsvorschrift, in der bestimmt war: "Den Verlagen steht ein ihrer verlegerischen Leistung [!] entsprechender Anteil am Ertrag der VG Wort zu." Dass sich die VG Wort nicht auf diese Weise selbst anmaßen durfte, an Nichtberechtigte auszuschütten, war für jeden, der diese "Rechtsgrundlage" kannte, offensichtlich. Auch der Staatsaufsicht war dies - nicht zuletzt durch klare Hinweise darauf - bekannt. Sie ist trotzdem gegen die Verletzung der Treuhänderpflichten durch die Verlegerbeteiligung nicht eingeschritten. Erst das Urteil des Bundesgerichtshofs beendete diese rechtswidrige Verwendung von Treuhandgeldern. Vorausgegangen war ein langjähriges Verfahren, in dem sich die VG Wort mit allen Mitteln und mit außerordentlich hohem Aufwand (auf Kosten der geschädigten Urheber) gegen ihre Verurteilung durch die Vorinstanzen gewehrt hatte.

Viele Urheber werden sich gern an die oft hohen Nachzahlungen der VG Wort erinnern, die ihnen aufgrund des Urteils des Bundesgerichtshofs "Verlegeranteil" zugeflossen sind. Insgesamt erhielten die Autoren viele hundert Millionen Euro zusätzlich ausgezahlt.

All dies änderte nichts daran, dass der VG Wort die Interessen der Verleger weiter sehr am Herzen lagen. Zusammen mit den Berufsverbänden der Verleger und der Urheber (!) wie ver.di, Freischreiber und dem Deutschen Hochschulverband hat die VG Wort durch intensive Lobbyarbeit in Brüssel und in Berlin dafür gesorgt, dass das Gesetz, an das sie sich nicht gehalten hatte, zugunsten der Verleger geändert wurde. Den Urhebern wurde dadurch ein beachtlicher Teil der Vergütungen, die ihnen nach der früheren Rechtslage zugestanden hätten, genommen. Falls die Verwertungsgesellschaft nicht eine noch weitergehende Schlechterstellung der Urheber beschließt (was das Gesetz zulässt), entgeht den Urhebern so zumindest ein Drittel der ihnen insoweit zustehenden Wahrnehmungserlöse (§ 27b Verwertungsgesellschaftengesetz, VGG). Es ist erstaunlich, dass sich die Berufsverbände der Autoren nicht dagegen gewehrt hatten, dass die Ausschüttungsansprüche ihrer Mitglieder gegen die VG Wort derart verringert wurden. Für einen Teil der Berufsverbände der Autoren scheint es eine Horrorvorstellung zu sein, dass ihnen eine nicht von ihnen gemeinsam mit den Verlegern beherrschte VG Wort Konkurrenz bei der Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder machen könnte.

Auch die Verurteilung im Verfahren "Verlegeranteil" hat nicht genügt, die VG Wort davon abzuhalten, weiter an Nichtberechtigte auszuschütten, besonders bei wissenschaftlichen Produktionen. Jahrzehntelang hat die VG Wort ganz erhebliche Teile ihrer Wahrnehmungserlöse an Herausgeber von Sammelbänden ausgeschüttet, obwohl die Herausgabe von Sammelbänden als solche kein urheberrechtliches Schutzrecht begründet und die Herausgeber in dieser Eigenschaft deshalb keine Rechte zur Wahrnehmung eingebracht hatten.

Eindringliche, eingehend begründete Hinweise darauf, dass die Herausgeberbeteiligung (nicht anders als zuvor die Verlegerbeteiligung) rechtswidrig ist, haben die VG Wort im Wesentlichen nur veranlasst, die - ursprünglich überdies extrem hohe - Beteiligungsquote der Herausgeber herabzusetzen. Der Staatsaufsicht war und ist die Rechtswidrigkeit der Herausgeberbeteiligung genauestens bekannt. Einen Anlass, dagegen einzuschreiten, sah sie jedoch nicht.

Die VG Wort hat bei der Herausgeberbeteiligung - wie im Fall "Verlegeranteil" - darauf spekuliert, dass kein Urheber die Mühen und Kosten auf sich nehmen werde, gegen diese Abzweigung von Wahrnehmungserlösen zu klagen. Aber auch diesmal hat sie sich getäuscht. Es kam zur Klage und in erster Instanz zu dem sorgfältig begründeten Urteil des Landgerichts München I vom 4.10.2021 (Az. 42 O 13841/19). Das Landgericht wies mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass die VG Wort nur an diejenigen ausschütten darf, die ihr nachweislich Rechte übertragen und auf diese Weise zum Aufkommen aus der Rechtewahrnehmung beigetragen haben. Dies war eben im Zeitraum, auf den sich die Klage bezieht, nicht der Fall. Die berechtigten Urheber hat dies im Zeitraum, auf den sich die Klage bezieht (1.1.2016 bis zum 30.9.2019), geschätzt etwa 40 Millionen Euro gekostet. An der Praxis der Herausgeberbeteiligung hat sich im Übrigen bis heute nichts geändert. Die VG Wort hat lediglich einige Zeit nach der Klageerhebung die Auszahlungen an die Herausgeber ausgesetzt.

Gegen das Urteil des Landgerichts München I hat die VG Wort Berufung eingelegt, über die das Oberlandesgericht München am 27.7.2023 mündlich verhandeln wird. Da der Verfasser in diesem Verfahren Kläger ist, sieht er davon ab, näher auf die Rechtslage bei der Herausgeberbeteiligung einzugehen.

Die VG Wort hat aus dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren aber jedenfalls eines gelernt:

In den unterzeichneten Wahrnehmungsverträgen haben ihr die Urheber nur die Rechte und Ansprüche eingeräumt, die bei Vertragsschluss in den Verträgen selbst aufgeführt waren.

Die Klauseln in den Wahrnehmungsverträgen, die regeln, wie spätere Änderungen des Wahrnehmungsvertragsformulars Inhalt der bestehenden Wahrnehmungsverträge werden sollen (so aufgrund eines Verfahrens mit "Zustimmungsfiktion", bei dem der Urheber einer Änderung seines Wahrnehmungsvertrags nicht ausdrücklich zustimmen muss, sondern bei Ausbleiben eines ausdrücklichen Widerspruch seine Zustimmung einfach angenommen wird (vgl. BGH Urteil vom 27. April 2021, Az. XI ZR 26/20), oder bei alten Verträgen sogar ohne Mitwirkung des Urhebers), sind unwirksam.  Denn sie sind allgemeine Geschäftsbedingungen, die die Vertragspartner der VG Wort "entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen" (§ 307 BGB). Das gilt schon deshalb, weil sie gegen die zwingende Gesetzesvorschrift verstoßen, dass eine Verwertungsgesellschaft als Voraussetzung für die Wahrnehmung der Rechte eines Rechtsinhabers "dessen Zustimmung für jedes einzelne Recht" einzuholen hat und dass diese Zustimmung in Textform (§ 126b BGB) dokumentiert werden muss (§ 10 VGG).

Die VG Wort hat also allen Anlass, die Urheber aufzufordern, eine schriftliche Erklärung abzugeben, welche Rechte sie ihr in Ergänzung der Rechteeinräumung in ihren jeweiligen Wahrnehmungsverträgen zur Wahrnehmung anvertrauen wollen. Was macht die VG Wort aber bei dieser Sachlage? Sie beschränkt sich nicht darauf, die Urheber als ihre Vertragspartner aufzufordern, einer Erweiterung der Rechteeinräumung bezogen auf bestimmte, genau bezeichnete Rechte zuzustimmen. Sie benutzt vielmehr die Gelegenheit, ihren Vertragspartnern den Wahrnehmungsvertrag in seinem vollen Umfang in seiner jetzigen Fassung als "Allgemeine Geschäftsbedingungen" unterzuschieben.

Kaum ein Vertragspartner wird erkennen, dass wichtige Klauseln im Wahrnehmungsvertragsformular in dessen übersandter Fassung vom 10.12.2021 nach der geltenden Gesetzeslage und der höchstrichterlicher Rechtsprechung unwirksam sind. Das sind die Klauseln über die Einbeziehung der Satzung und der Verteilungspläne in ihren jeweiligen Fassungen in den Wahrnehmungsvertrag (§ 5 und § 6) sowie die Regelung, dass Ansprüche gegen die VG Wort nur mit deren Zustimmung (d.h. in aller Regel gar nicht) abgetreten werden dürfen (§ 10).

Dazu kommt Folgendes: In § 17 des Wahrnehmungsvertragsformulars "informiert" die VG Wort darüber, dass von den Einnahmen aus den Rechten unter anderem folgende Abzüge vorgenommen werden: "Abzüge zur Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen und für die Einrichtung und den Betrieb von Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen gemäß der Satzung der VG Wort." Zu diesen Abzügen, die in den früheren Wahrnehmungsverträgen und in den vorangegangenen Bestimmungen des Wahrnehmungsvertragsformulars nicht erwähnt werden und auch sonst keine rechtliche Grundlage haben, ist die VG Wort nicht berechtigt. Für die Zuwendungen an den FFW (Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort GmbH), die eine allgemeine Kulturförderung auf Kosten der Rechtsinhaber bezwecken, hat dies bereits das Landgericht München I in seinem Urteil vom 4.10.2021 mit eingehender Begründung entschieden.

Es handelt sich danach bei der Aktion "Aktualisierung des Wahrnehmungsvertrages" um einen höchst eigennützigen Versuch der VG Wort, die Urheber zu übervorteilen, indem sie vorgeblich in deren eigenem Interesse - Allgemeine Geschäftsbedingungen unterzeichnen lässt, die in wesentlichen Punkten rechtlich unhaltbar sind. Dies dient maßgeblich dem eigenen Organisationsinteresse der VG Wort und dem Interesse derjenigen, die auch in Zukunft auf Kosten der Rechtsinhaber zu Unrecht begünstigt werden sollen. Mit anderen Worten: Die VG Wort behandelt die Autoren weiter wie gehabt. Es ist auch in diesem Fall nicht erkennbar, dass die Staatsaufsicht dagegen einschreitet.

Martin Vogel