Opposition, und dann noch in einem ziemlich hoffnungslosen Fall wie
China, ist nicht nur mutig und kräftezehrend, es beschädigt die Menschen oft auch, muss Christopher Beam in seiner
Reportage über den im amerikanischen Exil lebenden chinesischen Regimekritiker
Wang Juntao feststellen. "Wie bei jedem guten Aktivisten war Juntaos Superkraft immer seine Fähigkeit zu sehen, was andere nicht sehen - sich
die Welt anders vorzustellen, als sie ist. Aber diese Fähigkeit hat auch eine Kehrseite. An einem Punkt gab Juntao zu, dass er sich selbst einreden kann, was er für wahr hält. 'Manchmal verwechseln Leute wie ich den
subjektiven Eindruck mit der objektiven Realität', sagte er. 'Wenn wir glauben, dass etwas wahr ist, beruht das in Wirklichkeit auf
unserer Hoffnung und nicht auf der Realität.'" Das kann manchmal zu Verfolgungswahn führen, aber ohne diese Hoffnung geht es eben auch nicht: "Als er noch in China lebte, steckte ihn das kommunistische Regime
zweimal ins Gefängnis, und seit Jahrzehnten hat er nur begrenzten Kontakt zu seiner Familie, um sie vor offiziellen Schikanen zu bewahren. 'Die chinesische Regierung nimmt deine Verwandten in Beschlag', sagt er. 'Wenn du sie liebst, musst du so tun, als
würdest du sie nicht lieben.' In Flushing waren einige seiner Mitstreiter bereits über 70 und 80 Jahre alt, und jedes Mal, wenn sie sich versammelten, schien ein weiterer Platz leer zu bleiben. In der Zwischenzeit erinnern die Nachrichten aus China ständig an die
zunehmend autoritäre Herrschaft der Kommunisten, von Internierungslagern in der Provinz Xinjiang bis hin zur Massenüberwachung mit Hilfe von Gesichtserkennungstechnologie. Fast drei Jahrzehnte lang hat Juntao im Exil den Traum von einer demokratischen Revolution in China aufrechterhalten, aber er ist der Verwirklichung dieses Traums nicht näher gekommen." Dann wurde sein engster Freund und Kollege im Minyun,
Jim Li, ermordet und ein Bekannter der Spionage beschuldigt. Doch Wang Juntao blieb optimistisch. Und dann wurde "unglaublicherweise
seine Vorhersage wahr. Nachdem im November zehn Bewohner eines Wohnhauses in Ürümqi bei einem Brand ums Leben gekommen waren, flammte das chinesische Internet mit Anschuldigungen auf, Xis strenge 'Null COVID'-Politik habe es ihnen schwer gemacht, dem Feuer zu entkommen. Demonstranten füllten die Straßen im ganzen Land, von der Industriestadt Zhengzhou bis zur Tsinghua-Eliteuniversität in Peking. Einige forderten den
Rücktritt von Xi. Es war eine furchtlose Rhetorik, wie es sie seit Tiananmen nicht mehr gegeben hat, und schockierend für jeden, der beobachtet hat, wie China Wachstum über politische Freiheit stellt und abweichende Meinungen unterdrückt. Die
Kundgebungen widerlegten alles, was die Zyniker zu wissen glaubten. ... Juntaos Plattitüden über die Aufrechterhaltung der demokratischen Flamme in den dunkelsten Stunden fühlten sich plötzlich wahr an. Und obwohl politische Analysten darauf hinwiesen, dass der zivile Ungehorsam nur von begrenzter Tragweite war, hatte eine neue Generation die Lektion gelernt, die Juntao sein Leben lang zu vermitteln versucht hatte: dass
Veränderungen immer möglich sind."