Der tschechische Historiker
Miloš Řezník ist Direktor des
Deutschen Historischen Instituts Warschau. Als dort im Mai der kanadisch-polnische
Historiker Jan Grabowski einen Vortrag über
polnische Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg halten wollte, zertrümmerte der rechtsextreme polnische Abgeordnete Grzegorz Braun die Mikrofonanlage, so dass der Vortrag abgebrochen werden musste (mehr dazu auch
beim Dlf Kultur). Veronika Pehe hat sich mit Řezník über diesen Vorfall und die generelle Situation der Geschichtswissenschafte in Polen n
unterhalten. Der Abgeordnete Braun vertritt zwar innerhalb des politischen Spektrums Polens nur eine marginale Strömung, so Řezník, doch wenn man die von ihm vertretene, sehr
aggressive Geschichtspolitik betrachte, die die akademische Forschung dort, wo sie ihr nicht gefalle, in die Defensive zu drängen oder gar ihre Akteure einzuschüchtern versuche, dann sei das kein marginales Phänomen. "Die polnische Rechtsregierung hat die Vorstellung, mittels Geschichtspolitik lasse sich die
nationale Identität erheblich stärken. Ihrer Meinung nach gilt es ein historisches Narrativ zu entwickeln, auf das die Angehörigen des polnischen Volks stolz sind. Statt einer sogenannten 'Politik der Schande' - die kritische Reflexion traumatischer, unangenehmer Themen wie die
Kollaboration oder der Beitrag einzelner Polen zur Judenverfolgung - möchte sie lieber Themen wie die polnische Hilfeleistung für Juden im Zweiten Weltkrieg hervorgehoben sehen. Das ist per se nichts Illegitimes. Der Staat kann sagen, gut, wir suchen uns aus der Geschichte die und die
positiven Helden heraus und werden ihrer verstärkt gedenken. Das Problem ist jedoch, dass in der polnischen Geschichtspolitik der Beistand für die Juden als Verhalten des polnischen Volks begriffen wird, hingegen der fehlende Beistand oder gar die Mithilfe bei der Judenverfolgung als das Verhalten Einzelner. Und alles, was dieser Auslegung widerspricht, ist Gegenstand von Angriffen." Nach einem Vergleich zu seinem Heimatland
Tschechien befragt, meint Řezník, dort entbrenne zwar hin und wieder ein Streit darüber, wie etwa die Phase der 'Normalisierung' zu interpretieren sei, "aber wenn man das
von Warschau aus betrachtet, hat man das Gefühl, dass es den Tschechen eigentlich eher egal ist. Entweder interessiert es sie nicht, oder sie können sich damit abfinden, dass die Rolle der tschechischen Bevölkerung, zum Beispiel während des Protektorats oder im Kommunismus, nicht immer eindeutig war. Sie können sich sogar damit identifizieren, weil sie darin eine Art
Bestätigung ihres eigenen Klischees finden. Das ist ein riesiger Unterschied. In Polen ist die politische Kultur in diesem Punkt näher bei der Ukraine oder auch Russland, wo die nationale Identität immer über ein historisches Narrativ gebildet wird."