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Hauptplatz Kurti Superstar

Von Rüdiger Wischenbart
07.02.2003. Nach dem globalen Dorf kommt das lokale Universum. "Superstar"-Shows suggerieren, dass, wer hier auf dem Dorfplatz gewinnt, die ganze Welt zu Füßen hat. Global ist nur die Industrie.
In Graz gab es früher stets Leute, die waren in Graz weltberühmt. So kannte jeder den "Hauptplatz Kurti", als dieser per Autostopp über Belgrad, Teheran und Kabul nach Indien gereist war.

Etwa zur gleichen Zeit, also in den späten sechziger oder frühen siebziger Jahren, fuhr auch Wolli, eine Szenefigur aus Hamburg Sankt Pauli, nach Indien. Diese Reise zeichnete Hubert Fichte später in dem schönen Interview-Band "Wolli Indienfahrer" nach. Beide Reisen fanden unter der spirituellen Anstiftung und Oberaufsicht diverser Pop-Musiker statt, die, angeleitet von George Harrison, jeweils einen Guru hatten und sich mühten, die E-Gitarre mit einer Sitar in Einklang zu bringen.

Kurzum, es ist ein bekanntes und ehrwürdiges Erscheinungsbild in der Pop- und Unterhaltungskultur, dass an vielen Orten die lokalen Helden ihren jeweiligen globalen Vorbildern liebevoll nacheifern, um ein wenig von deren Glanz abzukriegen.

Diese Kunst der Lokalisierung mag später, in den forschen achtziger und neunziger Jahren, vorübergehend in Vergessenheit geraten sein. Denn da wurde lieber gleich die Eroberung der ganzen Welt geplant, egal ob es sich um die Expansion der Finanzmärkte oder des Ruhmes von Musik Stars handelte. Mittlerweile gilt es wieder andersrum. Die Kirche bleibt im Dorf.

Die Erfolgsgeschichte von MTV etwa gehorchte noch dem alten globalen Prinzip. Zwar ist MTV unterdessen zu einem weltumspannenden Puzzle aus lokalen und regionalen TV Stationen gewachsen, von Brasilien bis Südostasien, mit jeweils lokalen Moderatoren, Formaten und, in gewissem Maß auch, lokalen Identitäten. Aber zusammengehalten wird das bunt flackernde und wummernde Patchwork von den immer gleichen Stars, also von den echten Kylie-Minogue-bis-Robbie-Williams.

Oder, um es um noch einen Dreh mehr zu pointieren: Gerade die in der mühevollen Kleinarbeit hochprofessioneller Castings erschaffenen synthetischen Gruppen nach dem Muster der Spice Girls brauchen unbedingt einen Hauch von Authentizität um zu funktionieren. Und wer nur einfach in Spanien oder Korea lokal Britney Spears nachahmt, taugt, ganz so wie jeder klassische Elvis Imitator, bestenfalls für einen "look alike" Auftritt in der nächsten Shopping Mall.

Das hat sich, ziemlich genau um die Jahrtausendwende, mit dem Aufkommen von Realitäts-TV schlagartig verändert.

Interessant waren schon bei "Big Brother" bekanntlich jeweils nur die Bewohner des Containers im eigenen Land. In Graz etwa war die lokale - noch dazu öffentlich rechtliche - Formel "Taxi Orange" dem sonst so wirkungsmächtigen RTL Import haushoch überlegen.

Noch mehr gilt dieses Gesetz der Nähe für die Millionen-Show, deren US Ableger "Joe Millionnaire" den lokalen Helden bereits im Titel trägt, ganz so als würde in Deutschland Günther Jauch jeden Kandidaten als deutschen "Michel" anreden.

Der generelle Trend zeigt freilich keine Gnade, und Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" - beziehungsweise dessen internationale Entsprechungen in mittlerweile bald mehr als 50 Ländern - setzen auch dieser Geschichte eine neue, golden schimmernde Krone auf.

Denn natürlich interessieren nur jeweils die lokalen Kandidaten, die sich bei "Star Academy" (Frankreich), "Operacion Triunfo" (Spanien), "American Idol", "DSDS" oder - zwischen Graz, Wien und Innsbruck - "Starmania" unter Tränen umarmen, während das Publikum mit ihnen "Zehn kleine Negerlein" spielt. Wirklichkeits-TV als Akademie des Tratsches funktioniert nur im Dorf oder in der Kleinstadt, wo irgendwie jeder jeden kennt.

Worte wie "Superstar" - oder, wie im Originalkonzept, "Idol" - greifen allerdings weit über den Platz vor der eigenen Kirche hinaus. Sie suggerieren, dass, wer hier auf dem Dorfplatz gewinnt, die ganze Welt zu Füßen hat. Das Versprechen ist nichts weniger als Weltruhm, auch wenn dieser dann nur im eigenen Gärtlein gilt.

Das Konzept von "Pop Idol" ist allerdings keine Posse aus der Provinz. Die Ausgangsidee wurzelt in der über Jahrzehnte gewachsenen britischen Tradition des Pop-Management.

"Pop Idol" wurde von Simon Fuller kreiert, dem zur Zeit wohl erfolgreichsten Musik-Impresario, der allein in England seit 1985 170 "Top 40" Singles verantwortete und sowohl die Spice Girls wie auch die Kinderband Sclub erfand.

Gemeinsam mit der BBC entwickelt Fuller allerdings auch noch ganz andere, erstaunliche Dinge. "Pop goes English" lautet die Devise. Es geht um Englisch-Sprachkurse für Kids. Das Basiskonzept klingt unterdessen vertraut. Jeweils lokale Pop-Sternchen treten als Lehrer und Mittler auf. In Taiwan etwa "national pop artist e-Vonne, provided by Universal Music, Taiwan." Und ein wenig helfen zur Abrundung natürlich auch die Mitglieder von Fullers Band Sclub mit Songs und Live Auftritten mit.

Manch einer (zum Beispiel ein Artikel der New York Times) sieht in solchen Paketkonzepten gar einen profitablen Silberstreif am Horizont für die kränkelnden Plattenkonzerne und einen lukrativen Jungbrunnen für den unter der Werbekrise ächzenden TV-Markt.

Während in Deutschland der altmodische Einzelkämpfer Dieter B. gerade mal einen alten Song für die Nachwuchssuperstars recyclen konnte, brachte das spanische Fernsehen bei "Operacion Triunfo", nach einer Anregung von Big-Brother-Erfinder Endemol, jede Woche eine Hit-Single als Auskoppelung der Show auf den Markt, mit Durchschnittsauflagen von 200.000 und einem Weihnachtsspezial von einer Million. Die Plattenfirma Universal Music, Teil des im Vorjahr ins Schlingern geratenen Unterhaltungsmultis Vivendi Universal und Platten-Koproduzent der französischen Star Academy, steigerte in Frankreich nach einem Bericht in Le Monde ihren Marktanteil vorweihnachtlich von üblicherweise 37 auf kaum glaubliche 55 Prozent.

Der erstaunliche jüngste Schritt im Zeichen der Globalisierung ist die Neuerfindung der Nähe. Die Welt wird nicht kleiner. Im Gegenteil. Jedes Dorf und jedes Land entdeckt seine Einzigartigkeit - und grenzt sich damit auch von allen anderen ab.

Der Schlüssel zum Schatz ist so etwas Ähnliches wie Authentizität. Bloß, die Wächter und die Verwalter des Schatzes, die leben natürlich längst nicht mehr im Dorf.