Vom Nachttisch geräumt

Intrigantenstaderl

Von Arno Widmann
14.05.2019. "Eine saubere, anständige und brave Arbeit" - Vergiftetes Lob aus dem Briefwechsel Hermann Bahrs mit Arthur Schnitzler.
Am 12.10.1895 besprach Hermann Bahr die Uraufführung von Arthur Schnitzlers "Liebelei" im Burgtheater. Ich habe nicht in alten Jahrgängen der damals u.a. von Hermann Bahr herausgegebenen Wiener Wochenschrift Die Zeit geblättert, sondern bin in dem fast 1000 Seiten umfassenden, großartig aufgearbeiteten Briefwechsel der beiden Autoren darauf gestoßen. Ich lese diese Rezension mit einigem Amusement. Schnitzler hatte seinem guten Bekannten Bahr nichts erzählt von seiner Arbeit an der "Liebelei". Bahr bat dann ein paar Tage vor der Uraufführung um den Text des Stückes. Schnitzler schickt ihn ihm am 6. Oktober. Am 9. Oktober notiert Leopold von Andrian, ein Freund Hofmannsthals und guter Bekannter von Bahr und Schnitzler in sein Tagebuch, Hermann Bahr habe erklärt, Giuseppe Giacosa sei viel mehr ein Dichter als Schnitzler. Das geschah am Tag der Uraufführung von Schnitzlers "Liebelei". Bahr bezog sich bei seinem Urteil auf Giacosas Theaterstück "Rechte der Seele" aus dem Jahre 1894. Was Bahr von "La Boheme", "Tosca" und "Madame Butterfly" hielt, weiß ich nicht.

"Die Direction des Burgtheaters hat ein neues Schauspiel von Dr. Arthur Schnitzler: 'Liebeleien', zur Aufführung angenommen." Meldung aus der Neuen Freien Presse vom 19. Januar 1895


Für diese Puccini-Opern schrieb Giacosa die Libretti. Hermann Bahrs Rezension der "Liebelei" ist ein Verriss der Aufführung und ein schwer vergiftetes Lob des Stückes. Das liest sich so : "Das Stück sagt also : 'Seid selber etwas! Seid so viel, dass, wenn man auch das Amt, die Liebe, alle Beziehungen nimmt, in euch selber immer noch genug bleibt! Lebt, statt euch bloß leben zu lassen!' Das wird von ihm sehr wahr und gerecht, auch mit einer freilich mehr feuilletonistischen als dramatischen Anmut und nicht ohne einen gewissen Geist gelehrt. Die Führung der Szenen ist oft geschickt, glückliches Detail ergötzt, hübsche Worte fehlen nicht, es ist eine saubere, anständige und brave Arbeit, und so wäre man nicht abgeneigt, von Schnitzler zu sagen, was Laube einmal über Bauernfeind schrieb: 'Jedenfalls ist es für die Theaterdirection ein Glück, wenn in ihrer Stadt ein producierendes Talent sich entwickelt, welches in gebildeter Weise und außerhalb der alltäglichen Routine die neuen Lebenselemente der Stadt dramatisiert. Nur darf man nicht verschweigen, dass er vorderhand noch nicht soweit ist. Er weiß die neuen Elemente der Stadt zu fühlen, auch zu schildern; 'dramatisieren' kann er sie noch nicht.'"

1930 notierte Bahr in seinem Tagebuch: "Der Nobelpreis für Thomas Mann ehrt Deutschland und wir Österreicher freuen uns dieser Ehrung neidlos mit, aber insgeheim fragt sich unsereiner gelegentlich doch, ob denn in Schweden niemand bemerkt, dass es noch immer, wenn auch bloß in aller Stille, sozusagen verschämt, Österreicher gibt. Da Hofmannsthal uns vor der Zeit erlosch, wäre für den Nobelpreis jetzt Arthur Schnitzler an der Reihe." Schnitzler bekam ihn nie. 1930 erhielt ihn Sinclair Lewis.

Hermann Bahr - Arthur Schnitzler : Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891-1931,hrsg. von Kurt Ifkovits und Martin Antin Müller, Wallstein Verlag, Göttingen 2018, s/w Abbildungen, 44,90 Euro