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Ode an das weibliche Gesicht: Alex Ross Perrys 'Queen of Earth' (Forum)

Von Patrick Holzapfel
10.02.2015. In seinem Porträt zweier unglücklicher Frauen lehnt Alex Ross Perry sich mit "Queen of Earth" eng an Ingmar Bergman und Roman Polanski an. 


Jede Bewegung der Mundwinkel auf den Gesichtern in Alex Ross Perrys "Queen of Earth" wird von den sensiblen Fühlern der 16mm-Kamera eingefangen. Es sind die Schatten und Falten, die Tränen und das Lächeln, die dem Film Leben geben.

"Queen of Earth" zielt gleichermaßen auf Größe und Bescheidenheit. Letztere ist eine Folge des geringeren Budgets, der Beschränkung auf mehr oder weniger eine Location und deutlich weniger Figuren. In schmerzvollen psychologischen Beobachtungen folgt der Film auf unterschiedlichen Zeitebenen Catherine (eine fantastische Elisabeth Moss) und Virginia (Katherine Waterstone). Die beiden Frauen sind beste Freundinnen, aber auch beste Feindinnen. Beide haben und hatten Schwierigkeiten in ihrem Liebesleben und in privaten sowie sozialen Dingen. Die beiden ziehen sich in ein verlassenes Haus an einem See zurück und versuchen ihre Wunden zu lecken. Gestört und begleitet werden sie hauptsächlich von ihren Partnern, die entweder in Erinnerungen oder in der Gegenwart zu Besuch sind. Dabei entsteht ein kontemplativer Sog aus Reue, Zweifel und Ängsten, bis zum Wahnsinn.

Dabei setzt Perry weiterhin auch aber vermindert auf Dialoge, die von persönlichen Wahrheiten sprechen und tief in eine Zone treffen, die man normal sogar vor sich selbst verborgen hält. In "Queen of Earth" geht es um Fragen der Ehrlichkeit in Beziehungen und Freundschaften, Selbstzweifel und die Unmöglichkeit von Nähe und Ewigkeit. Dabei nutzt Perry auch filmische Mittel, um ein Gefühl für die Konflikte aufzubauen. Dialoge werden häufig durch einen versierten Umgang mit Tiefenschärfe und Räumlichkeit inszeniert. So wechselt der Fokus in einem langen Gespräch der beiden Freundinnen über die Vergangenheit immer wieder zwischen den Gesichtern hin und her und macht damit das Zuhören und das Zusehen zu einem zweischneidigen Ereignis. Ebenso suggestiv erscheinen die Überblendungen zwischen dem flirrenden Wasser des Sees und den Silhouetten der Frauen im Gegenlicht oder manche Einstellungen, die das Haus zu einem dritten Protagonisten werden lassen. Nicht nur in diesem Sinn ist der Film ein Horrorfilm über den Verlust von Hoffnung.

Doch der Film ist ambitioniert, und hier können sich die Geister durchaus scheiden. "Queen of Earth" versucht gar nicht erst zu verschleiern, dass er sich ziemlich offen an Ingmar Bergman (hier vor allem "Persona") und Roman Polanski (hier vor alle "Ekel") orientiert - durch ein Potpourri aus Zitaten, das weit über eine Hommage hinausgeht und den Film für Kenner der beiden Regisseure zu einem Suchspiel werden lässt. Mit den weitwinkligen, subjektiven Einstellungen durch die Augen der langsam abdriftenden Catherine arbeitet Perry ganz nahe an der Stilistik von Polanski. Dort spielte auch eine gewisse Catherine (Deneuve) die Hauptrolle. Statt einem langsam verrottenden Hasen gibt es bei Perry einen Salat, aber auch sonst greifen Hände aus dem Nichts nach der Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, und ein Horror, der auch durch die Enge des Raumes entsteht, gewinnt überhand. Es ist auch ein Film über die Tatsache, dass es in der Liebe immer das Unglück des Dritten, des Außenstehenden gibt und Polanski und Perry finden gleichermaßen klare Bilder und Töne für die Entfremdung, die sich zwischen einer Beziehung und den Opfern dieser Beziehungen auftun. So zahlen sich Catherine und Virginia jeweils Situationen heim, in denen sie Außenstehende des Glücks der anderen Person waren.

Die Beziehung der beiden Frauen erinnert dagegen womöglich etwas zu stark an Bergmans "Persona". Seine Nähe zum schwedischen Regisseur drückt Perry nicht nur durch das Setting am See, erneute direkte Bildzitate und manchen Dialog aus, sondern auch über seine neugewonnene Faszination am Schweigen. Ruhige Momente mit Blicke auf den See unterbrechen die Redewut der Figuren, und so kann man die Mischung aus Bergman und Polanski durchaus als gelungen sehen. Auf diese Weise überlagern sich nicht nur Vergangenheit und Gegenwart sondern auch das Subjektive und das Objektive zu einem atmosphärischen Schleier, der einen das Bewusstsein für Zeit verlieren lässt und durch die bis zur Erschöpfung eingesetzte musikalische Untermalung eine Bedrohung über alle Bilder legt.

Allerdings gewinnt "Queen of Earth" fast keine eigene Energie aus diesen verborgenen Melodramen seiner Vorbilder. Einzig in den penetrant eingesetzten Nahaufnahmen geschundener, leidender und dennoch lebendiger und forscher Frauengesichter findet der Film seinen individuellen Funken, der das versteckte Drama zu einem ambivalenten Ausdruck im Gesicht werden lässt. Sämtliche Regungen, jedes Zucken der Lippen, kleine Perlen, die Tränen bilden, werden registriert und in einer großen Unschuld eingefangen. Dabei lässt Perry großen Raum für seine Darsteller, die ihre Sache äußerst gut machen. Statt in die Falle von Schauspielmomenten zu tappen, halten sie sich zurück und erreichen somit eine hohe Glaubwürdigkeit und Persönlichkeit.

Martin Scorsese hat einmal gesagt, dass eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Regisseurs Geschmack ist. Eine vielleicht gewagte Aussage, der man nach "Queen of Earth" aber durchaus zustimmen mag (solange man den Geschmack teilt...).

Patrick Holzapfel

Alex Ross Perry: "Queen of Earth". Mit Elisabeth Moss, Katherine Waterston, Patrick Fugit, Kentucker Audley, Keith Poulson, Kate Lyn Sheil, Craig Butta. USA 2015, 90 Minuten. (Vorführtermine)