Die Buchmacher

Flucht in den kulturellen Naturschutzpark

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
11.02.2008. Was die Kalender-Verleger besorgt. Warum die Branche von einer Audible-Amazon-Allianz profitiert. Wieso die eskapistischen Buchhandels-Azubis keine Ahnung von BWL und elektronischen Medien haben. Und weshalb Verleger demnächt ein Praktikum als Übersetzer absolvieren sollen.

buchreport.express

Im Aufmacherartikel zieht buchreport eine Bilanz des Kalendergeschäfts, das den Verlegern Sorgen bereite. Mit dem Warenhaushandel schwächele ein bedeutender Vertriebsweg, der ein Publikum erreiche, das nicht im klassischen Buchhandel stöbere. "Die Warenhäuser aber klagen über zum Teil deutliche Umsatzrückgänge, was sich auch im Kalendergeschäft niederschlägt." Außerdem belaste die große Titelzahl die Rentabilität der Verlage - mmittlerweile über 5000 Neuerscheinungen sorgten für immer kleinere Durchschnittsauflagen. "Aus Sicht des Buchhandels bleibt das Kalendergeschäft ein Wachstumsbereich", analysiert buchreport. "Nach Berechnungen von buchreport haben die Kalenderumsätze in den letzten fünf Jahren um insgesamt ein Drittel zugelegt. Durch ein größeres Angebot niedrigpreisiger Kalender bis 5 Euro ist der Absatz, also die Zahl der verkauften Exemplare, sogar noch stärker gewachsen."

Ein weiterer Schwerpunkt des Hefts: Das Bundeskartellamt kontrolliert erstmals die Expansionspolitik von Thalia (hier der Bericht). "Anders als bei den zahlreichen Übernahmen zuvor, haben die Bonner Fusionswächter die Ende Dezember angemeldete Übernahme von Buch Kaiser in Karlsruhe nicht durchgewunken, sondern am Donnerstag vergangener Woche die "vertiefte Prüfung" angeordnet", berichten die Dortmunder. Dabei komme der lokale Markt unter den Röntgenschirm; mit der Entscheidung sei erst in drei Monaten zu rechnen.

Außerdem untersucht buchreport die geplante Übernahme des Weltmarktführers im Vertrieb von digitalen Hörbüchern, Audible Inc., durch Amazon (Gesamtwert der Transaktion: 300 Millionen Dollar). Anders als bei der Microsoft-Jagd auf Yahoo ernte die geplanteÜbernahme weitestgehend positive Resonanz. "Amazon ist der stärkste Vertriebspartner, den man sich in diesem Bereich vorstellen kann. Es ergibt sich eine Mischung aus traditionellem Content und modernen Zugangsformen, die gut zusammen passt", zitiert das Blatt Karl-Heinz Pütz, Verlagsleiter von Random House Audio. Als Vorteile des Deals erkennt buchreport, dass sich durch die Verknüpfung der Audible-Hörbücher mit dem MP3-Musikshop von Amazon die Reichweite erhöhte und das Hörbuch-Branchen-Marketing schlagartig verbesserte. Unklar sei noch, ob Amazon künftig bei Audible auf Kopierschutz verzichte. "Eine Entscheidung contra DRM würde wohl die Hörbuch-Verleger vergrätzen", vermutet buchreport. Außerdem könnte die Rivalität von Amazon und Apple die langjährige Zusammenarbeit von Audible und Apple beenden - was den Audible-Umsatz schmälerte.

Weitere Themen: Die Verlagsgruppe Beltz übernimmt den Vertrieb von Nonbook-Anbieter if. Der Buchumsatz lag im Januar fünf Prozent unter Vorjahr. Zahl der Woche: Die zehn größten Verlage der USA haben im vergangenen Jahr 92 Prozent aller Hardcover- und 93 Prozent aller Taschenbuch-Bestsellerplätze belegt. Fnac hat 2007 14 neue Filialen eröffnet, 2008 sellen 14 weitere folgen. Hier das Inhaltsverzeichnis und hier die Bestsellerlisten.

Börsenblatt

Im Editorial des Börsenblatts fordert Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir einen Verbund der Buchhandels-Verbünde: eine Allianz von Zusammenschlüssen wie eBuch und LG Buch sowie AUB. Hintergrund: Eine Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung und des Börsenvereins habe einmal mehr gezeigt, dass viele Sortimenter von BWL keine Ahnung haben. "Es gibt nur einen prinzipiellen Ausweg: Erträge steigern, Kosten dämpfen", weiß Casimir. Abhilfe könne nur ein "Verbundverbund, mindestens aber eine intelligente Moderation der gemeinsamen Interessen" schaffen. Passend zum Thema meldet das Verbandsblatt, dass sich der Arbeitskreis Kleinerer Sortimenter (wohl aus Minderwertigkeitskomplexen) in Arbeitskreis unabhängiger Sortimenter umbenannt hat - na, das ist doch schonmal ein Anfang.

Am 16. und 17. Februar will der Verband der Übersetzer auf seiner Mitgliederversammlung über den neuen Vorschlag mehrere Verlage zur Vergütung von Übersetzern abstimmen - dann soll sich klären, ob der Bundesgerichtshof zum Jahresende urteilen oder doch eine außergerichtliche Lösung gefunden wird. Im Gastkommentar fordert Random-House-Chef Jörg Pfuhl die Gegenseite zum Kompromiss auf. Hintergrund: In den vergangenen fünf Jahren gab es über 20 Klagen von Übersetzern gegen Verlage und den Börsenverein. Das vom Bundesgerichtshof (bei dem allein vier Klagen gegen Random House anhängig sind) zu erwartende Urteil, so Pfuhl, werde nur Verlierer bringen; für das Gros der Übersetzer werde es kaum Verbesserungen geben, allein die Bestseller-Übersetzer würden sich besser stehen - was die Quersubventionierung vieler Titel in den Verlagen unterminiere. "Die Uhr tickt", mahnt Pfuhl und verweist auf das jüngste Angebot der Verlegerseite, bei dem die Übersetzer bereits ab 5000 verkauften Exemplaren am Umsatz beteiligt würden. Im Internet hat sich auf Pfuhls Artikel inzwischen eine Diskussion entwickelt (hier), an der sich u.a. der Übersetzer Marcus Ingendaay (u.a. von William Gaddis) beteiligt. "Ich empfehle in allen diesen Fällen ein einjähriges Praktikum in dieser Wirklichkeit (also mindestens bis zum ersten Steuerbescheid), damit die Betreffenden wenigstens wissen, wovon sie reden. Ich kann schon jetzt garantieren: Ihre frühere Entrüstung über den Wunsch über den Wunsch nach einer angemessenen Beteiligung käme ihnen absurd vor."

Der "Altverleger" Heinz Gollhardt wertet das Ergebnis einer Umfrage aus, nach der sich die meisten Azubis im Buchhandel weder für BWL noch für elektronische Medien interessieren. "Ich habe den Verdacht, dass der Durchschnitt unserer Azubis nicht repräsentativ ist für den Durchschnitt junger Menschen - auch nicht derjenigen mit Abitur", schreibt Gollhardt. Und legt vorsichtig nach: "Zu vermuten ist, dass die potenziellen Azubis angelockt werden durch ein Image unserer Branche, in dem Betriebswirtschaft und moderne Technik eher eine Randrolle spielen; mit anderen Worten: Hier lockt das Image eines kulturellen Naturschutzparks, in dem man geschützt ist vor Neuerungen und so profanen Dingen wie kaufmännischen Anforderungen." Freilich erntet auch der Gollhardtsche (vorsichtigst formulierte) Vorbehalt Kritik, hier zum Beispiel.

Weitere Themen: Eckart Baier und Christina Schulte analysieren, wie Großbuchhändler und Verlage allmählich das Pricing entdecken. Jennifer Minke zieht eine Zwischenbilanz zu den Frühjahrsreisen der Vertreter. Holger Heimann interviewt den Suhrkamp-Verlag-der-Weltreligionen-Chef Hans-Joachim Simm. Wolfgang Schneider stellt die Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse vor. Andreas Trojan porrätiert den Chef des Oekom Verlags, Jacob Radloff. Den Fragebogen hat der Agent und Historiker Ernst Piper ausgefüllt (Lieblingsbeschäftigung? "Arbeiten"). Hier das Inhaltsverzeichnis.
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