Magazinrundschau

21 Variationen von Winnie the Pooh

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
24.10.2023. Harper's schickt eine Reportage über die Anti-Avocado-Milizen im Süden Mexikos. Der New Yorker stellt den unaufhaltsamen Aufstieg Chinas in Frage. Der New Statesman würdigt die Zivilgesellschaft in Polen. Bookforum denkt darüber nach, welchen Einfluss der Geist eines Ortes auf die dort lebenden Künstler hat. Lidove noviny erinnert an die große Dame der tschechischen Literatur, die hierzulande völlig unbekannte Zdena Salivarová. Desk Russie erzählt, wie Putin die Welt in Mafia-Territorien einteilt. Die LRB wirft ein hartes Schlaglicht auf die Eliten in Afrika.

Harper's Magazine (USA), 01.11.2023

Christopher Ketcham porträtiert den "Ökoterroristen" Stephen McRae, der acht Jahre wegen eines Anschlags auf ein Stromkraftwerk (bei dem niemand verletzt wurde) im Gefängnis saß. Ketcham hatte ihn schon vor seiner Verhaftung kennengelernt, ein aufbrausender, ganz von der Wahrheit seiner Ansichten überzeugter Mann. "Wenn ich all das Geld und die Zeit hätte, würde ich die Welt allein in die Knie zwingen", sagte er einmal zu Ketcham. Er ist nicht der einzige. Seit den 1990er Jahren hat sich die Ökosabotage in den USA ausgeweitet, erklärt Ketcham. Das ist eigentlich wenig überraschend, weil es "mit einer Ära expansiver Plünderung und Enteignung" der natürlichen Ressourcen zusammenfiel. Angesichts dieser Tendenzen ist es nicht überraschend, dass sich die Bewegung dem Katastrophismus zuwandte. An der Spitze dieses Wandels stand eine Gruppe namens Deep Green Resistance, die von den Autoren Derrick Jensen, Lierre Keith und Aric McBay ins Leben gerufen wurde, die sich selbst als Ökophilosophen und Aktivisten bezeichnen und bereits zahlreiche Bücher gegen die Industriegesellschaft veröffentlicht hatten. Die drei behaupteten, dass unsere Zivilisation unhaltbar sei und die Erde unbewohnbar machen würde. Insbesondere Jensen forderte seine Leser dazu auf, 'unsere Körper und unser Leben zwischen das industrielle System und das Leben auf diesem Planeten zu stellen. Wir müssen anfangen, uns zu wehren. Diejenigen, die nach uns kommen, die das erben, was von der Welt übrig bleibt, wenn diese Kultur gestoppt ist, werden uns nach danach beurteilen, was wir hinterlassen...' Er hatte eine apokalyptische Vision: Je länger wir mit der Demontage der Maschine warteten, desto mehr würde ihr Fortschritt die Tragfähigkeit des Planeten untergraben, und desto größer würde letztlich unser Leid sein. Die amerikanische Öffentlichkeit kannte dieses Denken natürlich schon, denn es wurde in den neunziger Jahren von dem verrückten Mörder Theodore Kaczynski verbreitet, der in seinem Manifest die Industriegesellschaft anprangerte und zu ihrem gewaltsamen Umsturz aufrief. 'Um unsere Botschaft an die Öffentlichkeit zu bringen', schrieb Kaczynski, 'mussten wir Menschen töten.' Jensen, der an Morbus Crohn leidet und auf Hightech-Medikamente angewiesen ist, gibt zu, dass er einer der Ersten sein wird, der gehen muss. ('Ich bin mir auch bewusst', schreibt er, 'dass die Tatsache, dass diese Medikamente wahrscheinlich mein Leben retten werden, kein ausreichender Grund ist, die Zivilisation nicht zu zerstören')."

In einem Brief aus Cherán erzählt Alexander Sammon vom Kampf der Anti-Avocado-Milizen im Süden Mexikos. Auf der Hochebene von Michoacán werden der größte Teil der Avocados angebaut, die in den USA verzehrt werden. Für den Boden ist das schlecht, weil Avocados ungeheuer viel Wasser verbrauchen. In Cherán jedoch ist alles anders, erklärt Sammon, weil es dort eine kleine, bis jetzt sehr erfolgreiche Revolution gab: "Vor zwölf Jahren verhinderten die Einwohner der Stadt, dass korrupte Beamte und ein lokales Kartell illegal einheimische Wälder abholzten, um Platz für die Ernte zu schaffen. Eine Gruppe von Einheimischen nahm Holzfäller als Geiseln, während andere ihre Lastwagen verbrannten. Schon bald hatten die Einwohner die Polizei und die Kommunalverwaltung entlassen, die Wahlen abgesagt und das gesamte Gebiet abgeriegelt. Ein revolutionäres Experiment war im Gange. Monate später wurde Cherán mit einem völlig neuen Staatsapparat wiedereröffnet. Politische Parteien wurden verboten und ein Regierungsrat gewählt; eine Aufforstungskampagne wurde gestartet, um die kargen Hügel wieder aufzuforsten; eine militärische Einheit wurde gegründet, um die Bäume und die Wasserversorgung der Stadt zu schützen; einige der fortschrittlichsten Wasserfiltrations- und Recyclingprogramme des Landes wurden geschaffen. Und die Avocado wurde geächtet. Unter Berufung auf die mexikanische Verfassung, die indigenen Gemeinschaften das Recht auf Autonomie garantiert, beantragte Cherán beim Staat die Unabhängigkeit. Im Jahr 2014 erkannten die Gerichte die Gemeinde an, und sie erhält nun jährlich Millionen von Dollar an staatlichen Geldern."

New Yorker (USA), 23.10.2023

China befindet sich in einer ziemlichen Krise, stellt Evan Osnos fest: Der Generalsekretär Xi Jinping hat das Land in eine ungute Situation von wirtschaftlicher Stagnation, internationaler Isolation und ideologischen Zwängen geführt: "Im Alter von siebzig hat Xi die Amtszeitbegrenzung für seine Regierung aufgehoben und selbst treue Gegner eliminiert. Er reist weniger als früher und verrät weniger über die Gefühle hinter seinen Entscheidungen; es gibt keine öffentlichen Schimpftiraden oder Prahlereien. Er bewegt sich so gezielt, dass er an einen Schwimmer unter Wasser erinnert. Vor der Pandemie haben ihn die chinesischen Staatsmedien oft vor Menschenmengen gezeigt, die ihm in gestelzter Anbetung applaudierten. Diese Videos zirkulierten im Ausland mit der verächtlichen Bildunterschrift 'Westliches Nordkorea', aber zu Hause in China bewachen die Zensoren Xis Ehre mit Argusaugen; ein Leak aus einem chinesischen sozialen Medium hat letztes Jahr gezeigt, dass nicht weniger als 564 Spitznamen für ihn blockiert werden, darunter 'Cäsar', 'der letzte Kaiser', und einundzwanzig Variationen von Winnie the Pooh." In der Bevölkerung regt sich angesichts der mauen Wirtschaftsdaten dennoch zusehends Unmut, so Osnos: "Nach einem Jahrzehnt von Xis Kampagne für übermächtige Kontrolle hat er in den Chinesen Überzeugungen geweckt, aber nicht so, wie er sich das vorgestellt hat. Ich habe mit einem ehemaligen Banker gesprochen, der mit seiner Familie von Shanghai nach Singapur gezogen ist, nachdem er befürchten musste, sein Wissen über mächtige Menschen und ihre Finanzen könnte für ihn zum Risiko werden. 'Auch wenn ich China liebe, die Nation ist eine Sache und die Regierung eine andere - sie ist eine Gruppe von Personen, die für einen kurzen Moment im großen Wurf der Geschichte Macht über das Land hat', erklärt er mir. 'Ich habe keinerlei Intention, die Regierung zu stürzen, noch hätte ich die Fähigkeit dazu. Aber es gibt Wahrheiten, von denen ich glaube, dass die chinesischen Bürger das Recht haben, sie zu kennen. Wir sind alle darauf gedrillt worden, dass es besser ist, den Mund zu halten. Aber das ist falsch. Wenn die Informationen nicht frei zirkulieren können, wird sich das ganze Land zurückentwickeln.'"

Weitere Artikel: Elizabeth Kolbert macht eine Kostenrechnung für die Plünderung des Planeten auf. Alex Ross hört eine "Madame Butterfly" in Detroit. Jackson Arn besucht die Henry-Taylor-Ausstellung im Whitney Museum. Und Anthony Lane sah im Kino Martin Scorseses "Killers of the Flower Moon".
Archiv: New Yorker

New Statesman (UK), 23.10.2023

Der Westen hat die demokratische Standfestigkeit Polens unterschätzt, analysiert David Broder nach der Abwahl der rechtspopulistischen PiS-Regierung. Die hatte sich, führt er aus, zwar tatsächlich daran gemacht, demokratische Institutionen zu demolieren. Aber "das düstere Bild der demokratischen Standards in Polen muss auch die allgemeine Stärke der Zivilgesellschaft und der demokratischen Mobilisierung berücksichtigen. Deren Vitalität zeigte sich an den Wahlurnen: Während in den 1990ern und 2000ern oft weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben (der Tiefpunkt kam im Jahr 2005 mit 40.6 Prozent, und das war auch die Wahl, durch die die PiS erstmals Teil der Regierung wurde), lag die Wahlbeteiligung am 15. Oktober bei über 74 Prozent. Und war damit höher als bei der ersten kompetitiven Wahl 1989, und auch höher als zuletzt etwa in Großbritannien, Frankreich und Italien." Überhaupt ist Polen möglicherweise nicht gar so weit entfernt von den politischen Trends im restlichen Europa, denkt sich Broder. "Das mediale Narrativ, das rechtsautoritäre Tendenzen 'orientalisiert', indem sie der unvollständigen demokratischen Entwicklung des ehemaligen Ostblocks zugeschrieben wird, betrifft nicht nur Polen allein. Im Deutschland werden derzeit die vermeintlich unterentwickelten demokratischen Sitten der früheren DDR-Bürger für den Aufstieg der AfD verantwortlich gemacht. Eine weniger voreilige Analyse würde fragen, warum junge Ostdeutsche deutlich häufiger die AfD wählen als diejenigen, die 1989 bereits erwachsen waren, und auch warum die AfD sogar in den wohlhabendsten westlichen Bundesländern zunehmend erfolgreich ist."

Warum sprechen alle über die Rolle Irans als Unterstützer der Hamas, und niemand über die Rolle Katars, fragt John Jenkins. Selbst Israel hatte die Verbindungen zwischen Doha und Gaza gestärkt, indem Zahlungen aus Katar an die Hamas genehmigt und dadurch die Kontrolle der Terrororganisation über das Gebiet gestärkt wurden - auch in der Hoffnung, dass die politische Spaltung der Palästinenser zwischen Fatah und Hamas deren politische Position insgesamt schwächt. Diese Taktik hatte nun offensichtlich fatale Konsequenzen: "Die Hamas hat sich nicht verändert. Sie steht nicht für die Möglichkeit einer politischen Lösung, sondern für die endlose Fortsetzung des Konflikts. Das wirft die Frage auf, was Katar sich von der Unterstützung der Gruppe erhofft hatte. (...) Israel hätte fragen können, warum Katar derart große Geldbeträge ausgegeben hat, um diverse extrem konservative, oft separatistische und hochgradig spaltende Islamismen in Europa aufzubauen. Es hätte überprüfen können, was genau die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft an Katar durch die Fifa über die Redlichkeit des Regimes aussagt, und was die Cyberattacken auf Katars Kritiker darüber aussagen, wie Doha mit allen umzugehen gedenkt, die die Motive Katars in Frage stellen."
Archiv: New Statesman
Stichwörter: Iran, Qatar, Hamas, Israel, Polen, PiS-Partei, AfD, Katar

Bookforum (USA), 23.10.2023

Jennifer Krasinski liest mit großem Interesse Prudence Peiffers Buch "The Slip: The New York City Street That Changed American Art Forever". Am Coenties Slip an der unteren Spitze Manhattans lebte und arbeitete zwischen 1956 und 1967 eine Gruppe von Künstlern "mit großen Ambitionen und wenig Geld": Robert Indiana, Ellsworth Kelly, Agnes Martin, James Rosenquist, Lenore Tawney, Jack Youngerman und Delphine Seyrig wohnten hier in billigen Lofts zwischen Fischerschiffen und Matrosen, weit entfernt von der Kunstwelt in der City. "Hier entwickelten sie Intuitionen und Ideen zu radikalen Praktiken und produzierten Werke, die schließlich Teil des Zeitgeistes wurden. 'Der Ort ist eine unterschätzte Determinante des kreativen Schaffens', schreibt die Autorin und Wissenschaftlerin Prudence Peiffer in ihrer Geschichte über diese Künstler zu jener Zeit, und sie schlägt vor, dass jede Chronik einer ästhetischen Entwicklung nicht nur das Wer, sondern auch das Wo berücksichtigen sollte. 'Was wäre, wenn es nicht die Technik oder der Stil ist, sondern der Geist des Ortes, der einen entscheidenden Moment definiert?' Diese Frage scheint perfekt in das zwanzigste Jahrhundert zu passen, das Zeitalter des gefundenen Objekts, des Readymade, des bereits Gemachten, der Pop Art und der Aneignung, als die Künstler begannen, alles zu nehmen, was sie umgab - das Alltägliche, das Weggeworfene, das Übersehene - und es als Material zu verwenden."
Archiv: Bookforum

Lidove noviny (Tschechien), 21.10.2023

Zu ihrem 90. Geburtstag feiert Radim Kopáč die hierzulande völlig unbekannte Zdena Salivarová als große Dame der tschechischen Literatur. Mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Josef Škvorecký, emigrierte sie nach der Zerschlagung des Prager Frühlings 1969 nach Toronto und gründete dort den legendären Exilverlag Sixty-Eight Publishers, in dem namhafte tschechoslowakische Dissidentenliteratur erschien, "ein unverzichtbarer Kanon, Gedächtnis und Identität: Blatný, Effenberger, Hiršal, Heisler, Hostovský, Peroutka, Seifert, aber auch Gruša, Havel, Hrabal, Kliment, Kundera, Lustig oder Vaculík." Zdena Salivarová- Škvorecká war aber nicht nur eine wichtige Verlegerpersönlichkeit, sondern auch selbst Schriftstellerin, erinnert Kopáč, "eine der wenigen Frauen der tschechischen Literatur der Sechzigerjahre", die zudem "gegen die Männer aufbegehrte". Auf Milan Kunderas "Buch der lächerlichen Liebe", der doch recht "machohaften Darstellung von Liebesbegegnungen, in denen der Mann als raffinierter Beziehungskombinator erscheint und die Frau als Spielobjekt fungiert", antwortete Salivarová mit ihrem Erstling, der Erzählsammlung "Pánská jízda" (Herrenfahrt) von 1968, in der sie den männlichen Helden als selbstverliebten Zyniker in Sachen Sexualität darstellte, "zu jener Zeit ein vergleichsweise kritischer, gewagter Ton". Zugleich betont Kopáč die Kosmopolität der Literatin, die sie angesichts ihrer Familiengeschichte zwangsläufig pflegte: "Der Vater Jaroslav Salivar, ein Buchhändler und Verleger, geriet 1949 in stalinistische Gefangenschaft und emigrierte nach seiner Freilassung in die USA. Ihr Bruder Lumír überlebte als Widerständler gegen das kommunistische Regime die schlimmen Jahre 1949-1959 als Zwangsarbeiter in den Uranminen von Jáchymov und floh 1976 nach Kanada." Existenzielle Erfahrungen, denen Salivarová in ihrem Werk und Leben jedoch stets den Humor entgegengesetzt habe. (Ein Beispiel ihres unnachahmlichen Tons ist der Roman "Ein Sommer in Prag", der im Frühjahr erstmals auf Deutsch im Mitteldeutschen Verlag erscheint.)
Archiv: Lidove noviny

Desk Russie (Frankreich), 17.10.2023

Die französische Russland-Expertin Françoise Thom analysiert Putins diesjährige Rede beim politischen Waldai-Forum in Sotschi vom 5. Oktober. Putin lobte in der Rede ausdrücklich die AfD und Gerhard Schröder und wurde im Weiteren programmatisch. Thom vergleicht sie mit der Rede Andrei Schdanows 1947, die endgültig die Kooperation mit den Westalliierten aufkündigte und den Kalten Krieg einläutete. In der Rede preist Putin ein angeblich multipolares Modell der Weltordnung, das laut Thom nur darin besteht, dass jeder Mafiaboss das Territorium der anderen Mafiabosse respektiert. Das Interessante aber ist, wie sich bei Putin Elemente des Postkolonialismus mit Diskursen der extremen Rechten zur Unkenntlichkeit vermischen: "Putin versteht nichts von der westlichen Zivilisation. Aber er hat einen untrüglichen Instinkt dafür, was sie zerstören kann. Er setzt auf Relativismus, der im Westen gerne mit Objektivität verwechselt wird: 'Es gibt viele Zivilisationen, und keine von ihnen ist besser oder schlechter als die andere', verkündet er. Sein Feindbild ist der Universalismus: Dass Regeln, die er nicht selbst definiert hat, für alle gelten sollen, ist für ihn unerträglich. Putin ist ein Outlaw im wahrsten Sinne des Wortes. 'Zivilisation ist kein universelles Konzept, eines für alle - das gibt es nicht', sagt er. Er hegt einen tödlichen Groll gegen Russen, die den zivilisatorischen Vorhof der 'russischen Welt' verlassen, die er als sein Eigentum betrachtet: 'Natürlich ist es verboten, seine Zivilisation zu verraten. Das führt zu allgemeinem Chaos, ist unnatürlich und abstoßend, würde ich sagen'."
Archiv: Desk Russie

Quillette (USA), 24.10.2023

Ralph Leonard liest ein Buch, das den zeitgenössischen Antirassismus amerikanischer Prägung hinterfragt. Hat nicht jedes Land seine eigene Geschichte? Das denkt jedenfalls der britische Autor Tomiwa Owolade in "This Is Not America: Why Black Lives in Britain Matter". Jedes Land, so Owolades These, muss seinen eigenen spezifischen Rassismus verstehen lernen. So gab es in Britannien wieder Sklavenplantagen noch etwas ähnliches wie die Jim-Crow-Gesetze in den USA. Ganz zu schweigen von den ganz anderen Erzählungen der jüngsten Flüchtlingsbewegung: "Erzählungen über die Schrecken der Middle Passage oder Vorträge über die Geschichte des Geschichte des Kampfes gegen die Sklaverei haben zwangsläufig nicht die gleiche Resonanz für Menschen, die aus Nigeria, Somalia und Simbabwe nach Britannien eingewandert oder geflohen sind, wie für Afroamerikaner und Afro-Kariben. Owolade und ich sind beide nigerianischer Abstammung. Wir haben unsere ganz eigene Beziehung zum britischen Empire und dem kolonialen Unternehmen, das unsere Eltern hierher brachte. Wir sollten diese unterschiedlichen historischen Entwicklungen nicht ignorieren. Die Allgegenwart des amerikanischen Kulturmodells hat dazu geführt, dass sich zu viele Menschen auf eine bestimmte Vorstellung von 'Schwarzsein' verlassen. Diese wurde von der afroamerikanischen Kultur abgeleitet, die in den Rest der Welt exportiert wurde und ihn dazu verleitet hat, an eine einheitliche 'schwarze Erfahrung' zu glauben. Dies ist eine Art amerikanischer intellektueller Imperialismus."

Außerdem: Der israelische Historiker Benny Morris fragt, was kommt als nächstes auf Israel zu.
Archiv: Quillette

London Review of Books (UK), 16.10.2023

Der britisch-nigerianische Journalist Adéwálé Májà-Pearce wirft ein hartes Schlaglicht auf die Eliten in Afrika. Schön ist der Anblick nicht. "Afrika hat die jüngste Bevölkerung und einige der ältesten Staatsoberhäupter der Welt. Viele sind schon seit Jahrzehnten an der Macht. Gabun wurde vor dem Militärputsch im August mehr als ein halbes Jahrhundert lang von der Bongo-Dynastie regiert. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ist unter 22 Jahre alt. Faure Gnassingbé übernahm 2005 die Präsidentschaft in Togo nach dem Tod seines Vaters Gnassingbé Eyadéma, der 38 Jahre lang regiert hatte. Um dem Enthusiasmus für Mehrparteiendemokratien nach dem Kalten Krieg zu entsprechen, kündigte er an, dass er nur zwei fünfjährige Amtszeiten absolvieren würde. Im Jahr 2019 änderte er seine Meinung und setzte eine Verfassungsänderung durch, die ihm eine weitere zehnjährige Amtszeit ermöglichte. Es ist gut möglich, dass er lebenslang Präsident bleibt: Er ist erst 57 Jahre alt, ein "kleiner Junge" im Vergleich zum 65-jährigen Paul Kagame aus Ruanda (23 Jahre im Amt), dem 79-jährigen Denis Sassou Nguesso aus der Republik Kongo (26 Jahre im Amt), dem 81-jährigen Teodoro Obiang Nguema Mbasogo aus Äquatorialguinea (44 Jahre im Amt) und dem 90-jährigen Paul Biya aus Kamerun (41 Jahre im Amt). Kagame und Biya haben vor kurzem ihre Führungsriege umgestellt. Sie alle blicken ängstlich über die Schulter zum Militär. Der 81-jährige Präsident von Côte d'Ivoire, Alassane Ouattara, übernahm 2010 die Macht, argumentierte aber, dass eine Reihe von Verfassungsänderungen, die 2016 verabschiedet wurden, seine Amtszeit effektiv auf Null zurückgesetzt hätten und er daher für zwei weitere fünfjährige Amtszeiten kandidieren könne. Im Jahr 1999 behauptete Ouattara, dass sich 'vor unseren Augen eine afrikanische Renaissance entfaltet ... Die meisten Länder wurden während ihrer Unabhängigkeit zum längsten Teil von autokratischen Führern regiert - autokratisch, weil sie, ob aufgeklärt oder nicht, über dem Gesetz standen." Und dann sind da Guinea, Mali, Niger und Burkina Faso, die in den letzten Jahren die alten Regime durch Militärjuntas ersetzt haben. Machen sie einen Unterschied? Májà-Pearce winkt ab: "Die Vorstellung, dass diese neuen Regime einen grundlegenden Wandel in der Regierungsführung darstellen - eine Vorstellung, die sich bei den jungen Westafrikanern immer mehr durchsetzt - ist ein Irrglaube. Tchiani, der versprochen hat, die Macht in drei Jahren abzugeben, war ein ehemaliger Chef der Präsidentengarde, der befürchtete, dass er bald pensioniert werden würde. General Brice Oligui Nguéma, der neue Präsident von Gabun, stand Bongo père nahe und war zuletzt Chef der Republikanischen Garde unter Bongo fils, doch wie Tchiani wuchs auch bei ihm die Sorge, dass er in den Ruhestand versetzt werden könnte. Ali Bongo wurde eine Woche nach seiner Absetzung vom neuen Militärregime aus dem Hausarrest entlassen und kann offenbar nach Frankreich reisen, wo er sich auf sein Familienanwesen im Wert von schätzungsweise 85 Millionen Euro zurückziehen kann; sein Nachfolger soll eine Reihe von Immobilien in den USA gekauft haben."

Weitere Artikel: Adam Shatz warnt, dass die Gewalt auf beiden Seiten Palästinenser und Israelis verändern wird, die Israelis vielleicht noch ein bisschen mehr. Amjad Iraqui ist entsetzt über die Ermordung zahlreicher israelischer Zivilisten durch die Hamas, aber er fürchtet auch, dass die israelische Armee jetzt die Bevölkerung aus Gaza in die Wüste Sinai vertreiben wird.