Der
Tod von Mahsa Amini, die von iranischen Tugendwächtern erschlagen wurde, weil ihr Kopftuch nicht richtig saß, hat auch die zerstrittene
iranische Diaspora im Protest gegen das Mullahregime wieder zusammengebracht,
erzählt der Autor Amir Ahmadi Arian. Unter den Demonstranten war auch
Hamed Esmaeilion, ein Schriftsteller und politischer Aktivist, der 2009 mit seiner Familie nach Kanada emigriert war. Seine Frau und Tochter waren im Januar 2020 auf dem Nachhauseweg von einer Hochzeit im Iran, als das
Zivilflugzeug, in dem sie saßen, von iranischem Militär abgeschossen wurde. Alle 176 Passagiere starben. Seitdem war Esmaeilion unermüdlich politisch aktiv, um die Islamische Republik Iran vor den Internationalen
Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Seine Hoffnung stieg mit den vereinten Protesten nach dem Tod Aminis, doch die
Einigkeit der Diaspora hielt nicht an: "Im Dezember war Iran wieder in depressives Schweigen versunken, da die Menschen angesichts der ungezügelten Inflation darum kämpften, etwas zu essen auf den Tisch zu bringen. Die iranische Diaspora, die zu Depressionen und Ressentiments neigt, witterte die Niederlage und zog sich ins Internet zurück, wo sie eine lebhafte Nachbetrachtung anstellte.
Alte Feindseligkeiten kamen zum Vorschein. Stammesdenken und Beschimpfungen verdrängten die Versuche, sich weiter zu organisieren. Im September standen Menschen aus dem gesamten politischen Spektrum vor der UNO zusammen und forderten ein Ende des derzeitigen Regimes. Fünf Monate später hielt ein Mann bei einer Kundgebung in Brüssel ein Anti-Schah-Plakat hoch, woraufhin einige Teilnehmer ihn fast totschlugen. ... Für mich und viele andere Iraner waren Esmaeilions Aufstieg, der überschwängliche Diskurs um ihn herum und das letztendliche Zerbrechen der Bewegung ein Beweis für die Anziehungskraft, aber auch für die
tragischen Grenzen des Versuchs, vom Ausland aus Veränderungen herbeizuführen. Wenn das derzeitige Regime im Iran gestürzt werden soll, muss die Arbeit von den Menschen geleistet werden, die dort leben. All die Tweets und Instagram-Posts, die Solidaritätsbekundungen von Judith Butler, Kim Kardashian, Ted Cruz und Bernie Sanders, die Unterstützungsbekundungen von Staatsoberhäuptern und das Spektakel von Prominenten, die sich die Haare schneiden - all das ist nicht so effektiv wie ein einziger Protest auf den Straßen von Teheran. Doch für diejenigen von uns, die unserem Land tief verbunden bleiben, egal wie weit wir uns von ihm entfernt haben, ist es
unmöglich,
nichts zu tun. Esmaeilion, ein Schriftsteller und Zahnarzt, hat sich nicht freiwillig zu einer zentralen Figur im politischen Drama des Iran gemacht. Er wurde
durch eine Tragödie dazu verdammt, die von eben jener politischen Korruption und Inkompetenz herrührte, der wir beide zu entkommen hofften, als wir das Land verließen. Das Schicksal von Esmaeilion könnte auch das meine sein."
Justin E.H. Smith gehört zur
Generation X und ist deprimiert, wie er in einem sehr sehr langen Artikel
klagt. Irgendwie scheint seine Alterskohorte es nicht zu schaffen, zwischen Babyboomern und Millenials einen Abdruck in der Geschichte zu hinterlassen. "Es wird oft behauptet, dass es
nie einen Präsidenten der Generation X in den Vereinigten Staaten geben wird. Niemand will, dass wir an der Spitze stehen, und
niemanden interessiert,
was wir denken. In politischen Umfragen gehen die amerikanischen Nachrichtenagenturen häufig von den Boomern zu den Millennials über. Obwohl Coupland diese Bedeutung von X im Jahr 1991 sicher nicht voraussehen konnte, zeigt sich, dass unser Name, oder das Fehlen eines Namens, perfekt zu unserem allgemeinen
Zustand der Unsichtbarkeit passt. Die Generation X ist die Generation, der man vielleicht später einmal einen richtigen Namen geben wird. Aber das ist schon mehr als dreißig Jahre her, und die Welt hat sich weiterentwickelt." Hin zu den
Millenials, deren moralische Überheblichkeit ihn noch mehr nervt als der Ausverkauf der Boomer, weil ihnen "jede der ästhetischen oder moralischen Tugenden fehlt, von denen man jahrhundertelang glaubte, dass die Beschäftigung mit der Kunst sie kultivieren würde: Geschmack, Neugier, Phantasie, Mitgefühl mit den Elenden und den Gefallenen."
Auch Adam Kirsch
befasst sich mit der Generation X. Das liest sich sehr viel interessanter, vielleicht weil er nicht über sich selbst schreibt. Obwohl andererseits
gerade die autofiktionale Literatur das Ur-Genre dieser Generation ist:
Zadie Smith, deren neuer Roman "The Fraud" gerade erschienen ist,
Elif Batuman, Nicole Krauss,
Teju Cole, Sheila Heti, Ben Lerner und
Tao Lin. Aktivismus ist ihr Ding nicht, sondern Selbstreflexion, der Versuch,
den Geist offen zu halten, wie Kirsch mit großer Sympathie erklärt: "Die Kinder der siebziger Jahre fühlen sich in dieser neuen Welt oft fehl am Platz. Es ist nicht so, dass sie sich naiv auf eine Zukunft in Frieden und Harmonie gefreut haben und nun beleidigt feststellen, dass diese nicht eingetreten ist. Es ist vielmehr so, dass ihr
literarischer Blick schon früh nach innen gerichtet war und sie weiterhin glauben, dass es die authentischste Art, über Geschichte zu schreiben, während sich das Klima verschlechtert, durch das sich das Ich bewegt. ... Am Ende von 'The Fraud' trifft die Protagonistin Eliza auf Mr. Bogle's Sohn Henry, der vom Quietismus seines Vaters angewidert ist und sich zu einem
politischen Radikalen entwickelt hat. Er wirft ihr vor, mehr daran interessiert zu sein, Ungerechtigkeiten zu verstehen, als etwas dagegen zu tun, und verkündet: 'Bei Gott, siehst du denn nicht, dass das, wonach junge Männer heute hungern, nicht
Verbesserung oder
Wohltätigkeit oder irgendeines der Schlagworte eurer Damenteegesellschaften ist? Sie hungern nach der Wahrheit! Nach
der Wahrheit selbst! Nach
Gerechtigkeit!' Diese Gewissheit und Dringlichkeit ist das Gegenteil davon, seinen Geist offen zu halten, und obwohl Eliza und Smith nicht bereit sind zu sagen, dass es falsch ist zu kämpfen, sind sie sicher, dass es nichts für sie ist: 'Sie konnte sich den von ihm beschriebenen täglichen Kampf des Lebens genauso wenig vorstellen wie die Überquerung des Atlantischen Ozeans in einem Heißluftballon.' Ob sie sich nun als Humanisten oder Ästheten, Realisten oder Visionäre bezeichnen, die einflussreichsten Schriftsteller, die in den siebziger Jahren geboren wurden, teilen diese
grundsätzliche Unnahbarkeit. Für die nächste Generation, die Millennials, mag ihr Rückzug aus dem kollektiven Kampf verwerflich erscheinen. Für mich, und ich vermute, für viele Leser in meinem Alter, ist es ein Teil dessen, was sie zu so verlässlichen Ratgebern macht, um, wenn schon nicht die Zeit, in der wir leben, so doch zumindest die
Zerrissenheit zwischen der Zeit und dem Selbst zu verstehen, das versuchen muss, sie zu bewältigen."