Für die Israelkritiker ist ausgemacht, dass die Israelis den Palästinensern
militärisch so haushoch überlegen sind, dass die Zerstörung Gazas nur ein genozidaler Racheakt für den 7. Oktober sein kann. Wie kurzsichtig dieser Blick ist,
erklärt der israelische Historiker
Benny Morris. Israel kämpft nicht nur gegen die Hamas in Gaza, erklärt er, sondern gegen den
Iran, der die Hamas unterstützt, die um ein vielfaches tödlichere Hisbollah im
Libanon, die Huthi im
Jemen und islamistische Milizen in
Syrien. Allen zu begegnen, würde Israel in einen
Mehrfrontenkrieg zwingen, den es nicht gewinnen könnte. Also muss
der Iran das Ziel sein, meint Morris: "Aus Angst vor einer umfassenderen und apokalyptischeren Konfrontation haben sowohl Washington als auch Jerusalem weitgehend auf Vergeltungsmaßnahmen gegen den Iran selbst verzichtet und ihre Angriffe im Allgemeinen auf dessen Stellvertreter beschränkt. Es ist höchste Zeit, dass sich dies ändert. Und die jüngsten Ereignisse könnten Biden und sogar den routinemäßig zögerlichen und ängstlichen Netanjahu dazu veranlassen, den Kern des Problems, den Iran selbst, anzugreifen. Die
Einrichtungen des Korps der Islamischen Revolutionsgarden, der Organisation, die für die Projektion der iranischen Macht in der Region verantwortlich ist, sind bekannte Ziele, ebenso wie die iranischen
Marine-
und Luftwaffenstützpunkte und die
unterirdischen Nuklearanlagen, die glücklicherweise (noch) keine iranische Atomwaffe hervorgebracht haben. Angriffe auf diese Anlagen wären moralisch gerechtfertigt und längst überfällig. Wenn der Iran schließlich die Bombe hat, wird es zu spät sein. ... Dies könnte der einzige Weg sein, Israel wahren Frieden zu bringen. Auf einer Landkarte betrachtet, scheinen die Bedrohungen, denen der jüdische Staat ausgesetzt ist, aus allen Himmelsrichtungen zu kommen. Aber wenn man sie zu ihrer Quelle zurückverfolgt, führt jede
zu derselben Adresse."
Warum so viele
linke Juden das Existenzrecht Israels nicht anerkennen, hat bisher noch niemand so recht zu erklären versucht. Man fühlt sich dabei an jene
iranischen Frauen erinnert, die Ende der Siebziger Jahre für die islamische Revolution im allgemeinen und den Tschadorzwang für Frauen im besonderen demonstrierten. Wie die Entwicklung bei linken Juden verlief, kann man jetzt ganz gut nachverfolgen in Kara Jesellas
Artikel über das Verhältnis zwischen
jüdischen und schwarzen Feministinnen in den USA seit den Sechzigern: Noch während der Bürgerrechtsbewegung oft an einem Strang ziehend, bezichtigten schwarze Feministinnen Jüdinnen zunehmend des "
Weißseins", woraufhin ein Teil der jüdischen Feministinnen immer weiter nach links rückte, um diesem Vorwurf etwas entgegenzusetzen. Wie sektenartig das am Ende wird, zeigen die ideologischen Verrenkungen, die es braucht, um zu "
Queers for Palestine" zu kommen: "Der Feminismus machte sich zueigen, was die Queertheoretikerin
Heather Love als eine Tendenz des queeren Denkens zu immer schärferer Abweichung ("injunction to be deviant.") beschrieben hatte. Der Essay 'Queer Times, Queer Assemblages' der Gendertheoretikerin
Jasbir K. Puar aus dem Jahr 2005 feierte
palästinensische Selbstmordattentäterinnen, deren '
Auflösung der Grenzen des Körpers eine völlig chaotische Herausforderung an normative Konventionen von Geschlecht, Sexualität und Rasse darstellt und normative Konventionen von 'angemessenen' körperlichen Praktiken und der Heiligkeit des nicht behinderten (able) Körpers missachtet.' Diese 'queeren Körperlichkeiten', informiert uns Puar, untergraben die liberale westliche Tradition, weil 'Selbstmordattentäter das Rationale nicht transzendieren, die Grenze zum Irrationalen nicht akzeptieren'. Sie sind die Apotheose dessen,
was Queer immer versucht hatte zu sein: nicht so sehr über sexuelle Identität definiert, sondern über 'widerständige Körperpraktiken' und Devianz selbst - über internationale Grenzen hinweg. Die ideale feministische Persona hatte sich von der gebildeten arbeitenden Frau zur jungen Radikalen, zur lesbischen Frau of Color und nun zur queeren palästinensischen Terroristin entwickelt. In der Zwischenzeit verunglimpften Puar und andere - darunter die Queer-Aktivistin Sarah Schulman - Israels 'zugegebenermaßen vorbildliche' Behandlung von Schwulen und Lesben als '
Pinkwashing', ein Mittel, um die Welt von ihrem Umspringen mit den Palästinensern abzulenken."