
Auch die
Bulgaren könnten ein bisschen mehr
Unterstützung von der EU in ihrem parteiübergreifenden Kampf gegen ihre korrupten Eliten gebrauchen, stellt man nach der Lektüre des
Artikels von Evgenii Dainov fest. "In den letzten zehn Jahren hat die bulgarische Gesellschaft die
Denkweise des 21.
Jahrhunderts übernommen, wird aber weiterhin von Menschen regiert, die in den 1990er Jahren - dem Zeitalter der
Mafiosi - feststecken. Heute wollen die Bulgaren sie loswerden und, wie der erste demokratische Ministerpräsident Bulgariens, Filip Dimitrov, zu sagen pflegte, ein 'normales westliches Land' werden. ... Es sind inzwischen eine Reihe bedeutender Dinge geschehen. Das erste ist, dass die bulgarische Nation endlich
ihre Faszination sowohl für extremen Nationalismus als auch für autoritäre Regierungen überwunden hat. Zweitens haben die quasi-faschistischen Parteien, die in Koalition mit Bojko Borissows Partei GERB regieren, keine realistische Chance mehr, die Vier-Prozent-Hürde zum Parlament zu überwinden. Drittens zeigt die Tatsache, dass die Bevölkerung insgesamt gegen einen autoritären Ministerpräsidenten protestiert, dass in Bulgarien, anders als in anderen osteuropäischen Ländern, die Abhängigkeit von einem '
starken Mann'
ihren Höhepunkt überschritten hat. Der Protest wird von Menschen mit liberal-demokratischen Forderungen angeführt. Zumindest in Bulgarien hat sich das Blatt des autoritären Populismus zu wenden begonnen."
Scharfe Kritik
üben die Geschichtsprofessoren
Cornell Fleischer,
Cemal Kafadar und
Sanjay Subrahmanyam an ihrem Kollegen
Alan Mikhail, der mit einem
Artikel in der
Washington Post (die die Erwiderung der drei Historiker nicht abdrucken wollte) dem ottomanischen
Sultan Selim ein kleines Thrönchen baute. Erst mal sei diese "Große Männer machen Geschichte"-Geschichtsschreibung ja wohl ziemlich altmodisch, schreiben die drei, und zum anderen sei sie
fake history und zählen die Fehler auf: Selim hatte keineswegs die Handelsrouten zwischen dem Mittelmeer, China und Indien monopolisiert. Er war als religiöse Autorität in der muslimischen Welt nicht unangefochten. Er machte das Kaffeetrinken in der muslimischen Welt nicht populär (das war es längst). Und er trug keineswegs zur
Verbreitung des Protestantismus bei, auch nicht indirekt: "Sein
Hauptvermächtnis in konfessionellen Fragen hat nichts mit dem Protestantismus zu tun, sondern mit bitteren Erinnerungen an seine
blutige Unterdrückung der '
Ketzerei' in seiner eigenen muslimischen Bevölkerung, eine bedauerliche Tatsache, die in dieser Art von 'Superman-Geschichte' völlig vernachlässigt wird, an die man sich aber zu einem Zeitpunkt erinnern sollte, an dem, dank BLM,
staatliche Gewalt überall kritisiert wird."
Außerdem: Mischa Gabowitsch
empfiehlt, sich erst einmal die verschiedenen
Spielarten des Antifaschismus vor Augen zu führen, bevor man ihn als Kampfbegriff gegen die Rechten in den Debattenring wirft.