Magazinrundschau - Archiv

Frontline

12 Presseschau-Absätze - Seite 1 von 2

Magazinrundschau vom 25.07.2017 - Frontline

In einem Interview spricht die indische Autorin Arundhati Roy über ihren neuen Roman "Das Ministerium der äußersten Glückseligkeit" und ihr Selbstverständnis als Schriftstellerin. Vehement widerspricht sie allen Zuschreibungen, wonach sie ihre Stimme für die Rechtlosen erhebe ("Es gibt sie nicht, die Menschen ohne Stimme - es gibt nur die zum Schweigen Gebrachten.") Und eine "Aktivistin" will sie sich schon gar nicht nennen lassen: "Niemand sollte in diesen Zeiten zurückstecken. Es spielt keine Rolle, ob man Schriftstellerin, Klempner, Buchhalter oder Politiker ist. Es gehen höllische Dinge vor sich, und wir müssen alles tun, um diesen Horror zu verhindern. Es gibt keine Aktivistin in mir. Ich habe mich selbst nie als Aktivistin begriffen. Ich bin Schriftstellerin. Ich schreibe über die Welt, in der ich lebe. Früher war das die normale Aufgabe von Schriftstellern. Deswegen galten sie als gefährliche Leute. Aber das ist vorbei. Heute erscheint die Definition von Schriftstellern reduziert, man erwartet von ihnen nur noch, dass sie es sich zwischen Literaturfestivals und Bestseller-Listen gemütlich machen."
Stichwörter: Roy, Arundhati

Magazinrundschau vom 31.01.2017 - Frontline

Der indische Bundesstaat Tamil Nadu wurde in den letzten Monaten von einer verheerenden Dürre heimgesucht, berichtet T.S. Subramanian in einer Reportage, die in Erinnerung ruft, in welches Elend man stürzen kann, wenn man auf die Natur angewiesen ist: "Schlangenhaargurke, Flaschenkürbis, Wintermelone und andere Kürbisgewächse sind verwelkt. Medizinische Pflanzen, die im Bezirk Nagapattinam angebaut werden, sind verwelkt. Jasmin und Ringelblumen blühen nicht. Trinkwasser fehlt und das Vieh findet kein Futter mehr. Die Luft ist von Verzweiflung erfüllt. Die umfassende Not hat dazu geführt, dass sich zwischen dem 4. November 2016 und dem 8. Januar 2017 102 Bauern umgebracht haben oder an einem Herzinfarkt gestorben sind. Die, die sich umgebracht haben, haben sich entweder erhängt oder Pestizide geschluckt. Einige sind auf den Feldern zusammengebrochen und zwischen ihren verwelkten Pflanzen gestorben."

Tatsächlich begehen in Indien jährlich tausende Bauern Selbstmord. In Himal erzählt Rianna Pauline Starheim, was aus ihren Frauen wird.

Magazinrundschau vom 27.01.2014 - Frontline

Der Filmwissenschaftler und Publizist M.K. Raghavendra versucht am Bollywood-Kino den Wandel der indischen Gesellschaft und ihrer Werte abzulesen. Bedenklich erscheint ihm, dass die ethische Orientierung zunehmend zugunsten von Geschichten aufgegeben wird, die persönliche Bereicherung - durchaus auch mit kriminellen Mitteln - propagieren: "Der wirtschaftliche Aufschwung in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends ließ anglophone Inder in die Städte streben und bescherte ihnen höhere Löhne und größere Zahlungskraft. Der wachsende Wohlstand in den Metropolen schlägt sich im Film in einem klaren Bruch nieder. Hatte sich das Hindi-Kino einst mit den Armen, insbesondere den Bauern, identifiziert, erscheinen sie nun als geeigneter Gegenstand für ethnografische Studien. In dem Maß, wie sich der Fokus auf das persönliche Fortkommen verschiebt, kann Bollywood nicht mehr die moralische Rolle spielen, die es bis dato innehatte."

Auch Sashi Kumar beschreibt Veränderung im Bollywood-Kino, jedoch auf technischer Ebene: Mit der Schließung des Prasad Colour Lab, Indiens größtem kommerziellen Filmentwicklungslabor, sieht er das Ende des analogen Produktionsprozesses besiegelt.
Stichwörter: Bollywood

Magazinrundschau vom 03.04.2012 - Frontline

Shajahan Madampat denkt in einem großen Essay über Islamismus und Demokratie nach. Der Islam als Religion ist selbstverständlich mit Demokratie vereinbar, meint er, beim Islamismus, also dem politischen Islam, sei das jedoch anders, unabhängig davon, ob man den radikalen oder gemäßigten Islamismus betrachtet: "Guilan Dinoux hat festgehalten, dass die Strategie der Radikalen einem leninistischen Ansatz folgt. Doch auch im Lager der sogenannten Moderaten sehen wir oft extrem radikale Überreste der Grunddoktrinen des politischen Islams unangenehm koexistieren mit hochkultivierten und versöhnlichen Ideen, die vereinbar sind mit den Erfordernissen eines demokratischen Pluralismus. Rachid Ghannouchi zum Beispiel, der tunesische islamistische Denker, der hinter dem Erfolg von Al Nahda steht, hat kategorisch erklärt, dass ein offen ausgedrückter Atheismus in dem islamischen Staat, den er anstrebt, nicht nur toleriert, sondern auch beschützt werden würde. Gleichzeitig erklärte er bei anderer Gelegenheit, dass Apostasie als politische Straftat behandelt werden sollte, wie Landesverrat."

Außerdem: Der Anglistikprofessor Satya P. Mohanty erklärt in einem langen Interview über sein Buch "Colonialism, Modernity, and Literature": "Kulturchauvinismus ist Gift für einen Studenten der Literatur."

Magazinrundschau vom 20.07.2010 - Frontline

T.K. Rajalakshmi berichtet in Frontline, dass Indiens Regierung und Polizei zunehmend in die Kritik geraten, weil sie zu wenig tun, um die weit verbreiteten "Ehrenmorde" zu stoppen. Von denen sind nicht nur Paare betroffen, die zwischen den Religionen unerwünschte Beziehungen eingehen, sondern zwischen verschiedenen Hindu-Kasten. Rajalakshmi weiß von einem Dreifachmord in dem zu plötzlichen Reichtum gekommenen Dorf Wazirpur nahe Delhi: "In dem Dorf entschieden sich vor vier Jahren Kuldeep, ein Junge aus der Rajputen-Kaste, und Monica, eine Gujjar-Nomadin, zu heiraten. Sie waren das erste Paar in dem vierhundert Jahre alten Dorf, das sich über Kastengrenzen hinweg verbinden wollte. Am 21. Juni töteten zwei Cousins des Mädchen die beiden im Namen der Ehre. Am nächsten Tag wurde eine weiteres Mädchen ermordet aufgefunden, Monicas Cousine. Die Jungen, die das Verbrechen zugaben, erklärten, sie konnten nicht die Verachtung der Dorfbewohner ertragen, nachdem die Mädchen 'Schande' über sie gebracht hatten, eine indem sie außerhalb ihrer Kaste geheiratet hatte, die andere, weil sie gern Model werden wollte."
Stichwörter: Ehrenmorde, Models, Heirat, Delhi, Model

Magazinrundschau vom 27.04.2010 - Frontline

Deepa Kurup berichtet über die dritte National Free Software Konferenz in Bangalore, die der praktischen Relevanz von Open Source Software gewidmet war und, wichtiger noch, der Frage, wie diese helfen kann, die digitale Kluft in einem Land wie Indien zu überwinden. "Ashoke Thapar, Vice-Kanzler der West Bengal State University, warb für die Nutzung von FOSS (free and open source software) mit einem einfachen Videoclip über eine wenig bekannte Erfolgsgeschichte im ländlichen Westbengalen. Er erzählte die Geschichte einer kleinen staatlichen Schule in Bijra, einem Dorf nahe Durgapur im Bezirk Burdwan, wo Studenten einer Linux User Gruppe am nahe gelegenen B.C. Roy College für Ingenieurwissenschaften ein Zentrum für Computerbildung einrichteten. Die Studenten setzten Rechner auf, die meisten alt und aus zweiter Hand waren, installierten Linuxbetriebssysteme, Server und LAN - alles auf Bengali eingestellt, erzählte Professor Thapar. Die Gesamtkosten betrugen gerade mal 60.000 Rupien [ca. 1014 Euro) und veränderten das Gesicht der Schule, deren Schüler aus extrem zurückgebliebenen Gemeinden kamen und eine hohe Abbrecherquote hatten."
Stichwörter: Bangalore, Linux, Open Source, Vice

Magazinrundschau vom 12.01.2010 - Frontline

Frontline feiert seinen 25. Geburtstag und hat aus diesem Anlass neue Essays mit Texten aus älteren Heften flankiert (mehr dazu im Editorial), so dass man einen guten Eindruck von indischem Qualitätsjournalismus bekommt. Wer mit indischen Themen nicht vertraut ist, muss sich in manches erst reinfriemeln, aber die Mühe lohnt sich fast immer.

S. Viswanathan nimmt - mit wenig Respekt für das Ergebnis - die halbherzig ausgeführten staatlichen Versuche aufs Korn, den niederen Kasten in Indien mittels "positiver Diskriminierung" bessere Ausbildung und Jobs zu verschaffen. "Im Fall der Dalits wurde die Situation eher schlimmer, vor allem wegen der, wie Dalit-Führer es beschreiben, 'trägen' Umsetzung von Quoten. Dalit-Aktivisten beschweren sich über Diskriminierung im Rahmen der 'positiven Diskriminierung'. Bürokraten aus den 'unterdrückenden Kasten' zeigen kein besonderes Interesse daran, Quoten umzusetzen. Eine große Anzahl reservierter Posten bleiben unbesetzt, und Beamte aus den höheren Kasten zeigen kaum Interesse daran, Rückstände zu beseitigen. Das beweist nur, dass Quoten bei Arbeitsplätzen und in der Erziehung nicht ausreichen, den sozialen Status der Dalits wirksam zu verbessern. Dalits, die für private Arbeitgeber arbeiten, erleiden vermutlich noch viel schlimmere Formen der Diskriminierung."

Magazinrundschau vom 03.11.2009 - Frontline

Auch Frontline beschäftigt sich in einem ganzen Dossier mit der geplanten Großoffensive gegen die maoistische Guerilla in Zentralindien. Venkitesh Ramakrishnan beschreibt sehr detailliert, welche Attentate die Guerilla in den vergangenen Monaten verübt hat, darunter auch einige taliban-artige Hinrichtungen von Polizeioffizieren. Im Interview antwortet Koteswar Rao, einer der Führer der Maoisten, auf die Frage, warum sie nicht, wie vor zwei Jahren beschlossen, mit der Ermordung Einzelner aufgehört haben: "Zu der Zeit war die Vernichtung des Klassenfeinds die einzige anerkannte Form, die Revolution voranzubringen. Wir haben das geändert. Wir sagen jetzt, dass die Vernichtung eine von mehreren Formen ist. Das haben nicht die Maoisten erfunden; wir sehen in der Geschichte, dass die Massen Hinrichtungen immer gutgeheißen haben."

Prakash Karat, Führer der marxistischen Gegenfraktion, lehnt im Interview die maoistische Strategie ab: "Sie spielen immer noch das Lied von Indien als halbkolonialem Land; ihre Politik basiert auf Gewehren und Gewalt, was die Bewegung der Arbeiterklasse existenziell auseinanderreißt. So wie sie sich in sinnloser Gewalt gegen ihre politischen Gegner ergehen, helfen die Maoisten dem Staat, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken, die zu schützen er vorgibt."
Stichwörter: Arbeiterklasse, Hinrichtungen

Magazinrundschau vom 25.08.2009 - Frontline

Frontline hat ein dickes und überaus informatives Dossier zu "Ehrenmorden" in Indien zusammengestellt. Und nein, hier geht es nicht um Muslime und die Opfer sind Männer ebenso wie Frauen. "Ehrenmorde" gibt es vor allem in den nordwestlichen, von Jats bewohnten Bundesstaaten Indiens. Die Jats sind eine ethnische Volksgruppe und in Indien (es gibt sie auch in Pakistan) zumeist Hindus oder Sikhs. Inoffiziell werden sie in ihren Dörfern von selbsternannten Kasten-Fünferräten (Caste panchayats, mehr hier) regiert, die über die Einhaltung sozialer und traditioneller Regeln wachen. Dazu gehören vor allem die unglaublich komplizierten Regeln fürs Heiraten, erklären V. Venkatesan und T.K. Rajalakshmi am Beispiel eines Dorfes in Haryana (Karte): "Nach dem 'Bruderschafts'-Prinzip in dem die khaps sich selbst organisieren, darf es keine Heiraten zwischen verschiedenen Kasten geben. Innerhalb einer Kaste darf es keine Heiraten zwischen Menschen des selben Gotras (Klans) geben. Und selbst wenn sie aus verschiedenen Gotras stammen, dürfen Menschen nicht heiraten, die aus dem selben Dorf oder angrenzenden Dörfern stammen." Es versteht sich, dass unter solchen Bedingungen Braut und Bräutigam sich gar nicht kennen können, sondern in von den Alten arrangierte Ehen mit Fremden getrieben werden. Tausende junge Paare, die sich diesen Regeln widersetzten - einige Beispiele werden in dem Artikel beschrieben - wurden von einem solchen Fünferrat zum Tode verurteilt, vom Dorfmob gelyncht und ihre Verwandten bedroht und verjagt.

Weitere Artikel: Wie hoch die Anzahl der "Ehrenmorde" genau ist, weiß niemand, erklärt Brinda Karat, Parlamentsabgeordnete der Kommunistischen Partei Indiens, im Interview. Ihre Anfrage im Parlament wurde mit der Antwort beschieden, "dass es eine solche Kategorie nicht gebe und deshalb auch keine Daten darüber erhoben würden". Der Politologe Ranbir Singh erklärt die historischen und politischen Hintergründe der Khap panchayats. Die Juristin und Frauenrechtlerin Kirti Singh erklärt im Interview, warum diese "Ehrenmorde" Ausdruck einer "tiefen Verachtung für die Wünsche junger Menschen" sind, und sie fordert ein spezielles Gesetz "dass diese Morde als Gemeinschaftsmorde betrachtet und auch die Panchayats dafür verantwortlich macht und bestraft". Venkitesh Ramakrishnan berichtet über einige barbarische Morde an jungen Paaren (die Opfer wurden in Stücke gehackt) im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh (Karte) und beschreibt das Schweigen, dass diese Morde umgibt: Nicht nur die Dörfler, auch die politischen Parteien wollen sich nicht dazu äußern. Vor allem wollen sie nicht zugeben, dass ein Caste panchayat "eine ungesetzliche Einrichtung ist, die keine rechtsstaatliche Gültigkeit beanspruchen kann". T.K. Rajalakshmi zitiert verschiedene Gerichtsentscheidungen, die sich mit "Ehrenmorden" befassen.

Und S. Dorairaj hält fest, dass es "Ehrenmorde" nicht nur im Norden Indiens gibt, sondern auch in dem an der Südostspitze Indiens gelegenen Bundesstaat Tamil Nadu (Karte). Hier sind allerdings fast immer Frauen die Opfer. Und dann gibt es noch eine lokale Besonderheit: Nach ihrer Ermordung erklärt man die Frauen zu Göttinnen. "S. Madasamy, ein ehemaliger Koordinator der 'Arivoli Iyakkam' (Alphabetisierungs-Bewegung), der eine großflächige Studie über die Geschichte wenig bekannter Göttinnen durchgeführt hat, sagt, Ehrenmorde gebe es hier noch immer, und sie würden zumeist von intoleranten Verwandten von Frauen begangen, die ihr Leben selbst bestimmen und selbst einen Partner hatten wählen wollen. Um der Polizei und juristischen Nachforschungen zu entgehen, verherrlichen die Täter ihre Opfer, indem sie in den Dörfern einen 'putam' errichten, einen Erdhügel oder einen kleinen Bau aus Backsteinen, um sie dann als Göttinnen zu verehren, sagt er. ... Die Verehrer und Priester dieser Tempel behaupten, dass die vergötterten Frauen aufgrund übernatürlicher Kräfte verschwunden seien und nicht ermordet wurden." Madasamy hat in den 1990ern über 300 solcher Altäre gefunden.
Stichwörter: Ehrenmorde, Heirat

Magazinrundschau vom 21.07.2009 - Frontline

Raza Naeem bespricht das 2008 auf Englisch und Deutsch erschienene Buch von Tariq Ali, "The Duel - Pakistan in the Flight Path of American Power" ("Pakistan. Ein Staat zwischen Diktatur und Korruption", Leseprobe). In Pakistan ist das Buch inoffiziell verboten worden, auf dem Schwarzmarkt findet man es aber, so Naeem. Die These des Buchs, das in Deutschland kaum beachtet wurde, ist, dass sich die pakistanische Elite praktisch seit der Unabhängigkeit Pakistans aus korruptem Selbstinteresse an die USA angeschmiegt und sich so von der eigenen Bevölkerung vollkommen entfremdet hat. "Ali zerschlägt einige Mythen über Pakistan, die im Westen Tonnen von Papieren füllen, die beweisen sollen, dass Pakistan ein gescheiterter Staat ist. Erstens ist das Duell, auf dass er sich in seinem Titel bezieht, nicht eins an der westlichen Grenze [Pakistans] zwischen den Taliban und der Regierung, sondern ein Duell zwischen den Menschen in Pakistan und der von Amerika unterstützten Elite, die schon immer das Land regiert und geplündert hat. Tatsächlich ist dieses Duell eine vertraute Geschichte in vielen Teilen der Welt - Kolumbien, Afghanistan, Israel, Ägypten, Äthiopien, Nigeria und die winzigen amerikanischen Protektorate am Golf, auf dem Balkan und im Kaukasus sind Teil dieses vornehmen Klubs. Zweitens [widerlegt es], dass Pakistan auf der Kippe einer Übernahme durch die Taliban steht und dass die einzige Partei, die dies verhindern kann, die Armee ist. Allerdings beweist die Art, wie Washington mit dem neuen Regime in Islamabad umgeht, dass diese Behauptung falsch ist."