Die tschechische Journalistin Barbora Votavová
wünscht sich in ihrem Land
mehr Bekenntnisse zum Feminismus in Literatur und Gesellschaft. Autorinnen, die über weibliche (Problem-)Themen schrieben, stellten das meist als individuellen Fall, aber nicht als gesellschaftlich relevant dar. "Angesichts der Tatsache, wie widerstrebend sich Schriftstellerinnen oder andere Personen des öffentlichen Lebens zum Feminismus bekennen oder eher nicht bekennen, lässt sich die Haltung von Autorinnen, die über weibliche Traumata schreiben, eher als leichte
Form des Stockholmsyndroms verstehen", meint Votavová und verweist auf eine österreichische Studie, nach der das Bekenntnis zum Feminismus im ehemaligen Ostblock Ähnlichkeiten aufweise mit dem Coming-out von LGBTQ-Menschen - offen feministische Texte würden demnach nicht nur persönlichen Mut und ein verständnisvolles Umfeld erfordern, sondern vor allem eine Gesellschaft, in der es
ungefährlich sei, sich zum Feminismus zu bekennen. Votavová (die sich nebenbei darüber ärgert, dass in einer tschechischen Nachrichtensendung über die aktuellen
Proteste im Iran ein männlicher Experte die Moderatorin darüber belehrte, es gehe bei diesen Protesten "nicht nur um Frauenrechte" - so als zählten Frauenrechte nur unter
ferner liefen) zitiert eine Reihe misogyner Äußerungen anerkannter tschechischer Literaturkritiker, die man ihrer Meinung nach nicht unwidersprochen lassen sollte. "Wenn
Schriftstellerinnen ihre laue Haltung zum Feminismus begründen, sagen sie oft, sie wüssten nicht, was sie sich genau darunter vorstellen sollten, es gebe ja viele Arten von Feminismus (…). Damit haben sie im Grunde recht, als Feministinnen bezeichnen sich Liberale, Sozialistinnen, Materialistinnen, Essenzialistinnen, Esoterikerinnen, und all diese Spektren begreifen den Feminismus leicht verschieden. Doch andere Schriftstellerinnen hindert das nicht daran, sich dazu zu bekennen - auch die Zögerlichen hätten ja die Möglichkeit, genauer zu erklären, was sie darunter verstehen, wenn man sie nach ihrer Haltung zu Frauenrechten befragt. Die Pluralität des Feminismus spiegelt in gewisser Weise die Pluralität weiblicher Erfahrungen wider, und darin liegt ein weiteres Argument, warum es nötig ist, gegen die Geringschätzung weiblichen Schreibens und einer feministischen Literaturkritik aufzubegehren." Votavová stellt immerhin fest, dass man
in der Slowakei anders als in Tschechien problemlos Schriftstellerinnen finde, die sich zum gesellschaftlichen Aspekt ihres Werks bekennen, und fragt sich, woran das liegt. "Slowakische Belletristik, die von Frauen geschrieben wird, erscheint von Tschechien aus gesehen engagierter, expliziter feministisch oder radikaler. Vielleicht ist sie von einem größeren Bedürfnis motiviert, sich von der konservativeren Gesellschaft abzugrenzen, vielleicht ist es auch ein reiner Zufall."