Post aus New York

Alte Bücher neu verpackt

Von Ute Thon
12.05.2001. In Amerika gibt es einen neuen Trend zur Zweitveröffentlichung alter Bücher - mit leicht überarbeiten Text unter neuem Titel.
Die Amerikaner sind eigentlich keine großen Freunde von Recycling. "Ex and hopp" lautet hier normalerweise die Devise. Dann muss was Neues her. Doch bei ihren Bestseller-Autoren machen sie offenbar eine Ausnahme. Die New York Times vermeldet jedenfalls den Trend zur Zweitveröffentlichung alter Buchtitel mit leicht überarbeiten Text unter neuem Titel. Krimiautoren wie James Patterson oder Dean Koontz, die mit ihren Sex-and-Crime-Schmöckern ohnehin schon Millionen von Büchern verkaufen, recyclen jetzt ihre alten Paperbacks. Ein paar Seiten rausgestrichen, ein paar Namen geändert und fertig ist das neue, alte Buch.
Pattersons Verleger Little, Brown bringt Ende des Monats "Cradle and All" (Wiege und alles) als neustes Hardcover heraus. Doch die Geschichte der Nonne, die zur Amateurdetektivin wird, erschien unter dem Titel "Virgin" schon 1980. Davon werden die Leser nur in einem bescheidenen Absatz im Klappentext gewarnt. Dort steht in einem klitzekleinen Kasten ganz unten, dass das Buch auf einem früheren Titel Pattersons beruht und "Szenen und Charaktere aus diesem Buch enthält".

Die Verlegerposition ist klar: je mehr man von den Erfolgsschreibern vermarkten kann, desto besser fürs Geschäft. Doch was verleitet die Autoren zum Griff in die Klamottenkiste? Koontz, der schon mehrere seiner alten Psychothriller umgeschrieben hat, begründet die Zweitveröffentlichungen mit "Handwerker-Ehre". Er sei heute einfach ein besserer Schriftsteller als damals, als seine ersten Bücher erschienen.

Der Recyclingtrend beschränkt sich nicht nur auf die Niederungen der Unterhaltungsliteratur. Die ehrwürdig Cambridge University Press hat unlängst verkündet, dass sie Amerikas vielleicht berühmtesten Klassiker, "The Great Gatsby", in einer überarbeiteten Version herausbringen werden und damit die Gemüter der Literaturgemeinde erhitzt. F. Scott Fitzgerald hatte die Ursprungsfassung des New Yorker Sittenromans 1924 unter dem Titel "Trimalchio" erstmals seinem Verleger Scribner angeboten. Der Lektor war entzückt, schlug aber einige Straffungen und stärkere Charakterzeichnungen vor. Der Autor baute um, strich, feilte, fügte neue Kapitel hinzu und so entstand schließlich das Meisterwerk.

Die Cambrigde Press rekonstruiert mit Hilfe alter Manusskripte den Ursprungstext. Kritiker und indignierte "Gatsby"-Fans werfen dem Universitätsverlag literarische Leichenfledderei vor. Schliesslich habe Fitzgerald zu seinen Lebzeiten nie Anstalten gemacht, den Urtext zu veröffentlichen. Doch er hat das Manuskript auch nicht in den Kamin geworfen. Wenn "Trimalchio" Ende des Monats erscheint, wird es Fitzgerald sicher nicht vom Sockel stürzen. Doch vielleicht können angehende Schriftsteller bei der vergleichenden Lektüre feststellen, dass auch der "Grosse Gatsby" nicht vom Himmel gefallen, sondern wie alle grossen Werke der Literatur erst in mühseliger Redigierarbeit entstanden ist.

Manche Titel werden doppelt und dreifach vermarktet, andere totgeschwiegen. Das Time-Magazin rügt in dieser Woche die Kollegen von Washington Post bis Chicago Tribune wegen ihrer systematischen Nichtbeachtung einer neuen, provokativen Lincoln-Biografie. "Forced into Glory: Abraham Lincoln's White Dream" (Johnson Publishing Co.) entblösst den gefeierten US-Präsidenten, der den Bürgerkrieg gegen die Südstaaten gewann, als eingefleischten Rassisten. Der grosse Sklavenbefreier hegte offenbar Pläne, die Schwarzen nach Afrika oder Südamerika auszuschiffen. In den Salons erzählte er gern "Nigger-Witze" und politisch träumte er von einem "lilienweissen Amerika ohne Indianer, Afroamerikaner und Martin-Luther-King-Typen", schreibt Lerone Bennett Jr. Der Autor ist ein angesehener Historiker und Chefredakteur des afroamerikanischen Traditionsblatts "Ebony".

Ein neues Buch über eine historisch bedeutende Figur wie Lincoln sollte eigentlich auf der Rezensionsliste ganz oben stehen. Doch, so mutmaßt Time-Kolumnist Jack E. White, wegen Bennetts Hautfarbe bekomme sein Buch nicht die Aufmerksamkeit, die vergleichbaren Titeln weisser Autoren zuteil wird. Bisher hat von den grossen Zeitungen nur die Los Angeles Times eine nunancierte Buchkritik von Columbia University-Historiker Eric Foner veröffentlicht. Weder New York Times, Washington Post, USA Today oder die sonst so geschichtswissenschaftlich-berufene New York Review of Books haben Bennetts Buch, das im Februar erschienen ist, bisher eine Zeile gewidmet. Der Autor sieht sich als Opfer einer "Verschwörung des Schweigens". Offensichtlich berichten die Feuilletonchefs lieber über schlechte Krimis als über schlechte Manieren ihres hochverehrten Präsidenten.