Virtualienmarkt

Traurige Seiten, lustige Bilder

Von Rüdiger Wischenbart
18.02.2004. Der Frühling zieht ins Netz. Die Anzeichen mehren sich, dass Websites wieder schöner, aufregender und kreativer werden. Zumindest die Seiten aus Oslo, London oder Ljubljana. Hierzulande dauert der Winter bekanntlich etwas länger.
Dies wird eine - dieser zwiespältigen Jahreszeit hoffentlich angemessene - Ausgabe des Virtualienmarktes. Denn einerseits gibt es sehr viele gute Gründe, die dafür sprechen, dass Websites endlich wieder etwas aufregender, also frühlingshafter werden. Andererseits hält der tägliche Augenschein hart gegen solch einen Optimismus und schreit mit nahezu jedem frischen Seitenaufruf ganz fastenzeitlich hinaus: "Sack und Asche!" Doch der Reihe nach.

Henrik Sünde Wilberg, ein Student, machte mich kürzlich auf eine außergewöhnliche, ausschließlich am Internet verfügbare Zeitschrift aufmerksam: playmusicmagazine.com.

Auf den ersten Blick denkt man, diese Seiten imitieren doch nur am Web die trendigen Hochglanzmagazine wie Wallpaper oder ID. Gewiss, das tun sie auch, doch zugleich blättert man am Schirm, wie es am Papier nicht möglich wäre, und dennoch gibt es keine Links. Dafür bewegt sich der Plattenteller unter den aktuellen Musiktipps, in einem Hintergrundfoto fährt ein Auto von rechts nach links, und ein Ping-Pong-Ball schlägt wieder und wieder auf eine virtuelle Tischplatte. Manchmal spricht unvermutet eine rauchige Stimme aus dem Kästchen zu mir und sagt etwa: "About". Dort steht dann als Selbstbekenntnis der Gestalter zu lesen: "Knowing and adhering to the rules whilst at the same time breaking them is the core of our success. PlaymusicMagazine is the voice and the soul of young at heart people who are interested in music and its lifestyles.?

PaymusicMagazine erscheint weit abseits des geläufigen urbanen Dschungelbeats in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Schon lange habe ich nicht mehr in einem einzelnen Produkt so viele, subtil und aufmerksam eingesetzte Kreativität gesehen wie auf diesen Seiten.

Das reinigende visuelle Gewitter kostete mich zwar prompt einen ganzen Nachmittag, den ich damit verbrachte, auch noch durch andere, großteils ebenso abgelegene Design und Creative Sites zu surfen. Ausgangspunkt für diese Überraschungsreise war weiterhin Oslo, etwa ein Designstudio namens Librium, oder die Seite "Skin". Doch rasch bewegte ich mich ortlos mit einem britischen "Designtaxi", in dem plötzlich das slowenische Ljubljana als kreative Metropole zu entdecken war, und ich verirrte mich zwischen Website-Rezensionen von LinkUp und Moluv, wo ich schließlich in der vielleicht etwas forschen Selbstbeschreibung von Jamungo - was immer das auch ist - die Bestätigung für einen sich verdichtenden Grundverdacht fand.

"2003 was officially the year of the creative crash", verlautbarte Jamungo. "The fat cats and big wigs sit on their thrones, and it?s 'no work, and all pay'. The industry giants repackage the old and make it seem new." Das kann man natürlich auch weniger bombastisch sagen. Was aber die Sache angeht, haben die (vermutlich ebenfalls) jungen Leute schon recht.

Natürlich erscheint es jetzt als völlig unfair, ausgerechnet die Spielplätze von off-off Grafikern und Designern mit den virtuellen Schaufenstern von Buchverlagen und Zeitungen zu vergleichen. Aber warum ist das so? Warum können Bilder lustig und aufregend sein, und Textseiten im Internet oft so voller Langeweile? Naturgesetzlich ist dies sicherlich nicht.

Als ich kürzlich, um ein Workshop vorzubereiten, durch zahlreiche deutschsprachige Verlagsseiten surfte, überkam mich eine tiefe Winterdepression. Ich gestehe, dürfte ich einen Preis für Buch-Websites vergeben, so wäre der Auftritt von Weltbild immer noch ein ernsthafter Kandidat für einen Spitzenplatz, so wie ich auch die Aldi-Beilagen in der Tageszeitung für bemerkenswert halte, was die Klarheit ihrer visuellen Kommunikation anlangt. Die meisten anderen Internetseiten von Verlagen oder Buchläden navigieren indessen unschlüssig zwischen leicht höherwertiger Autoren-PR und verschämten Hinweisen auf die Verkäuflichkeit des Produktes Buch hin und her.

Beklagenswert und beunruhigend bei Weltbild ist freilich die stetige Zunahme von Non-Books auf den prominenten Plätzen, zu Lasten des Buchs. Das deutet nachhaltig auf einen Imageverlust von Büchern insgesamt hin.

Trotzdem, weshalb zieht sich, wer Bücher (oder News) feil bietet, so gerne auf langweilige und defensive Gestaltungspositionen zurück (und wundert sich dann noch über den daraus resultierenden Misserfolg)?

Es fällt bei den Seiten der "Kreativen" auf, dass es hier Kategorien für "Design" und "Illustration", für "Webdesign" und für "Mode" gibt. Das Thema "Buchgestaltung" findet nicht statt. Die Prämierungen für das "schönste Buch" indessen präsentieren regelmäßig Coffeetable books, die nicht für die Gestaltung, und schon gar nicht für den Markt von Büchern aussagekräftig sind.

Nun sollte bloß niemand glauben, hier würde grelle Pixelbuntheit gegen die langsamen Tugenden des Buches ausgespielt. Ganz im Gegenteil. Es ist, finde ich, ein Genuss, die aufs erste gar nicht auffällig Seite von "Arts and Letters Daily" aufzuschlagen, ein geradezu höllisches Tor ins online Leselabyrinth - und zugleich auch ein ebenso schlicht wie stimmig gemachtes Portal.

Noch deutlicher gilt dies für die vielleicht erfolgreichste neue Literaturzeitschrift der jüngsten Zeit, die auch vorbildlich eng die gedruckte und die virtuelle Ausgabe aufeinander bezieht: "Mc Sweeney's", "A Journal Created by Nervous People in Relative Obscurity, and Published Four Times a Year".

Einen Schlüssel zur Auflösung unseres Problems bietet darin eine Glosse von Carlton Doby, in der es heißt: "We love old books. We love the way they look and the way they feel. We even love the way they smell, though we realize the odor is probably mold. The one thing we generally don't like to do with old books is read them."

Was lernen wir nun aus all diesen Geschichten?

Wir sollten einen eigenen Buchpreis stiften, für eine Buch- und Buchwebseitengestaltung, die nicht nur uns, sondern auch einundzwanzigjährigen Leserinnen und Lesern Spaß macht. Vielleicht hilft es überdies, wenn die Jury zu wenigstens der Hälfte aus Norwegerinnen und Norwegern besteht.
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