Vom Nachttisch geräumt

Eisen verdampft

Von Arno Widmann
17.03.2016. Da lächelt Diogenes von Apollonia: Ein Besuch im umwerfenden Meteoritensaal des Naturhistorischen Museums in Wien.
Es gibt jede Menge Bücher über Meteoriten. Es gibt auch kein naturhistorisches Museum, das nicht auch ein paar Meteoriten hat, aber ich bin im Wiener Naturhistorischen Museum in den seit 2012 neu eingerichteten Meteoritensaal - Saal 5 im Hochparterre - gestolpert und der hat mich umgehauen. Es ist die größte Meteoritenschau der Welt. 1100 Meteorite (darunter 650 verschiedene, mit 300 Fällen und 350 Funden). So sagt das Museum. Es gibt auch ein Buch, gewissermaßen einen Katalog dazu und ich will Buch und Besuch gleichermaßen empfehlen.

Meteoriten werden wahrscheinlich beobachtet, seit es Lebewesen gibt, die nach oben schauen. Was sie dachten, darüber ist wenig bekannt. Ich dachte, die Geschichte vom hammerwerfenden Gott Thor wäre entstanden, weil die Menschen sich vorstellten, die die Himmel bewohnenden Götter würfen mit Gegenständen um sich, wie Ehepaare in italienischen Komödien der sechziger Jahre. Dann dachte ich: vielleicht war es umgekehrt: weil immer mal wieder etwas vom Himmel kam - nicht nur Donner und Blitz, sondern auch sehr massive Gegenstände - habe sich die Überzeugung gebildet, da oben müsse jemand sein, der ab und zu etwas nach uns werfe. Nicht sehr zielgerichtet, aber doch immerhin, dass man glauben konnte, man sei gemeint. Ich bin jetzt zu faul, in Handbüchern nachzuschauen, wie richtig oder falsch diese meine vulgärmythologischen Theorien sind, ein Blick in die Wiener Darstellung der Meteoritengeschichte, aber schafft mir ein Faktum herbei: Als 465 v.Chr. Diogenes von Apollonia (499 - 428) den Meteoritenfall von Gallipoli beobachtete - oder hörte er nur davon -, da erklärte er ihn ganz gottlos als Fall eines erloschenen Sterns. Über den Herrn ist nicht mehr bekannt als was eine Reihe von Autoren von ihm überliefert haben. Also zum Beispiel, dass er "Luft" für den Urstoff hielt, aus dem, von einer intellektuellen Kraft mal verdichtet, mal gelockert, alle Materie und alles Leben hervorginge. In den Himmeln wie auf Erden. Überall im Universum. Völlig allein stand Diogenes von Apollonia mit seiner Ansicht wohl nicht. Allerdings ist überliefert, dass die Bürger von Athen, als er dort war, ihm nach dem Leben trachteten.



Der Meteoritensaal des Naturhistorischen Museums in Wien zeigt uns auch ein Kapitel aus der Dialektik der Aufklärung. Während die unaufgeklärte Welt ganz selbstverständlich davon ausging, dass, was vom Himmel fällt, vom Himmel kommt und sich diesen Sinneseindruck durch die abenteuerlichsten Geschichten plausibilisierte oder verzauberte, meinte, angesichts der Erklärungen von Benjamin Silliman und James Kingsley zum Meteoritenfall bei Weston in Connecticut im Jahre 1807, einer der aufgeklärtesten Köpfe seiner Epoche, Thomas Jefferson (1743 - 1826): "Es ist leichter zu glauben, dass zwei Yankee-Professoren lügen, als dass Steine vom Himmel fallen können." Wer den Himmel leer gefegt hatte, der erwartete sich nichts mehr von dort. Und selbst der Gläubige erwartete sich von dort nichts Materielles mehr. Vielleicht musste man zu vorsokratischen Vorstellungen von der Einheit des Kosmos zurück, um sich denken zu können, dass Steine vom Himmel fallen. Aber selbst wer diesen Schritt getan hatte, machte sich noch lange keine Vorstellung davon, welche Kräfte beim Zusammenprall eines Meteoriten mit der Erdoberfläche freigesetzt wurden. Zum Beispiel der Bergbauingenieur und Geologe Daniel Moreau Barringer (1860 - 1929). Er hatte den in Arizona östlich des Canyons Diablo liegenden Krater, nachdem dort Eisenreste gefunden worden waren, als Folge eines Meteoriteneinschlages erklärt. Zwischen 1905 und 1928 suchte der durch die Funde von Gold- und Silberminen reich gewordene Barringer nach den Überresten des Meteoriten und grub und grub, bohrte und bohrte am Krater. Er fand nichts. In der Ausstellung wird dazu trocken vermerkt: "Wie man heute weiß, ist die Eisenmasse durch die extreme Hitzeentwicklung beim Einschlag fast komplett verdampft." Von ganz weit her lächelt Diogenes von Apollonia.

Meteoriten - Zeitzeugen der Entstehung des Sonnensystems - illustriert an der Wiener Meteoritensammlung, konzipiert von Franz Brandstätter, Ludovic Ferrière, Christian Köberl, Verlag des Naturhistorischen Museums Wien, Edition Lammerhuber, Wien, Baden 2013, 269 Seiten, mit 274 s/w und farbigen Abbildungen, dazu noch Grafiken, Tabellen, Schaubilder, 31,30 Euro.